Eine Frau trainiert an einem Fitnessgerät und ein Mann gibt ihr Tipps.
Anni (links) nimmt seit mehreren Wochen an einem Trainingsprogramm für Menschen mit Übergewicht teil. Sporttherapeuten wie Toni Fercho (2. von links) geben ihr Tipps, wie sie ihre Leistung steigern kann. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Adipositas Kampf gegen Übergewicht: "Habe es 20 Jahre probiert - bislang ohne Erfolg"

21. Oktober 2023, 08:00 Uhr

Viele Menschen mit Übergewicht haben alles probiert, damit die Kilos purzeln: diverse Diäten, Verzicht und Fitnessstudio. Oft kommen sie verzweifelt und demotiviert ins Adipositaszentrum Dresden. Seit diesem Jahr bietet das zusammen mit dem Dresdner Sportclub ein neues Fitnessangebot an. Eine Adipositaspatientin ist nach jahrelangem Auf und Ab auf der Waage zuversichtlich, dass sie ihr persönliches Ziel erreicht.

Anni hält ihr Armband an ein Display und setzt sich auf ein Fitnessgerät. Auf dem Bildschirm der Beinpresse erscheint eine Art Schlangenmuster. Ihre Aufgabe ist es, in den nächsten 100 Sekunden einen kleinen weißen Ball in dem schlangenförmigen Kanal zu halten. Je nachdem, wie stark Anni gegen die Beinpresse drückt, kann sie den Verlauf des weißen Balls kontrollieren. Schafft sie das besonders gut, gibt es Sternchen und Extrapunkte. Anni hat sichtbar viel Spaß dabei, auch wenn es ihre Beine anstrengt.

Was wie ein lustiges Spiel aussieht, hat für Anni einen ernsthaften Hintergrund. Denn sie hat seit ihrer Kindheit starkes Übergewicht - von Ärzten auch Adipositas genannt. Als sie 15 Jahre alt ist, hatte sie mit 108 Kilogramm ihr Höchstgewicht. Aktuell seien es 103 Kilo, sagt die 35-Jährige: "Ich habe es seit 20 Jahren probiert mit Diäten - ohne Erfolg."

Eine Frau und ein Mann schauen auf ein Display eines Fitnessgerätes.
Die Fitnessgeräte in der DSC-Halle Dresden stellen sich vollautomatisch je nach Trainingsplan auf die Patienten ein. Die Geräte haben einen spielerischen Ansatz. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Jahrelanges Auf und Ab auf der Waage

Diäten und Kuren hätten die unerwünschten Kilos zwar schnell purzeln lassen, erzählt Anni. Aber: "Nach sechs Wochen Kur wird man wieder rückfällig und es kommt der Jo-Jo-Effekt." Aus Langeweile habe sie wieder angefangen, viel und vor allem Süßes zu essen. Während die Dresdnerin davon spricht, wirkt sie enttäuscht über diese Momente, in denen sie wieder schwach wurde. "Ich sagte mir dann immer: 'Das war doch eigentlich klar, dass das wieder so kommt.'"Im Fitnessstudio war man die Dicke, die abnehmen wollte.

Anni versucht es auch mit Fitnessstudio. Doch sie fühlt sich neben den vielen durchtrainierten Menschen unwohl: "Im Fitnessstudio war man die Dicke, die abnehmen wollte." Mit den Jahren nehmen ihre körperlichen Probleme zu. 2016 hat die Mutter einer heute neun Jahre alten Tochter einen Bandscheibenvorfall. Weitere Beschwerden seien dazu gekommen, weil sie als Sekretärin viel sitzen würde. Nach jahrelangem Auf und Ab auf der Waage, war für sie eine Grenze erreicht. "Ich wollte meiner Tochter nicht sagen müssen: 'Da kann ich nicht mitmachen, weil ich zu schwer bin'".

Im Fitnessstudio war man die Dicke, die abnehmen wollte.

Anni hat seit ihrer Kindheit Übergewicht

Wie weit verbreitet ist Adipositas? Der Anteil der Menschen mit Übergewicht in Sachsen ist ungefähr so groß wie in Deutschland. 25 Prozent der Bevölkerung gelten als übergewichtig. Dieser Anteil ist in den vergangenen Jahren stabil geblieben. Jedoch nimmt der Anteil der Menschen zu, die starkes Übergewicht haben. Besonders betroffen ist die Altersgruppe ab dem 45. Lebensjahr. Aber auch Kinder und junge Frauen sind häufige Adipositaspatienten. Adipositaszentrum Dresden

Unter Gleichgesinnten trainiert es sich leichter

Nun trainiert Anni zwei Mal in der Woche in der Halle des Dresdner Sportclubs (DSC) in einem speziellen Trainingszirkel. "Es geht zwar nicht so schnell mit dem Gewichtabnehmen. Dafür nehme ich bewusster wahr, wann und was ich esse." In der DSC-Halle trainiert Anni neben anderen Menschen mit Übergewicht, die teilweise auch weitere Begleiterkrankungen wie Diabetes haben oder einen Herzinfarkt hatten. "Man fühlt sich hier besser unter Gleichgesinnten", sagt Anni.

Eine Frau trainiert an einem Fitnessgerät und lacht.
Anni fühlt sich wohl im Trainingszirkel des DSC. Hier ist sie unter Gleichgesinnten. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Es geht zwar nicht so schnell mit dem Gewichtabnehmen. Dafür nehme ich bewusster wahr, wann und was ich esse.

Anni nimmt an einem Fitnessprogramm für Adipositaspatienten teil

Motivation der Patienten entscheidend

Während sie die Gewichte der Brustpresse stemmt, schaut Toni Fercho auf ihre Werte. Der Sporttherapeut betreut sieben Übergewichtige, die an der Kooperation zwischen DSC und dem Dresdner Adipositaszentrum - das zum Städtischen Klinikum Dresden gehört - teilnehmen. "Sie haben die Möglichkeit zwei Mal in der Woche kostenfrei zu trainieren", erklärt Fercho. Zusammen mit Medizinern, Ernährungsberatern und Sporttherapeuten würden individuelle Trainingspläne für die Adipositaspatienten erstellt.

Dabei sei die Motivation der Menschen mit Übergewicht das "A und O", sagt Fercho. "Es soll nicht heißen 'Der Arzt sagt, ich soll ins Adipositas-Zentrum gehen' oder 'Die Frau sagt, dass man sich mehr bewegen soll'". Zu der Therapie gehöre nicht nur der Trainingszirkel mit seinen sieben Geräten, sagt Fercho.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es bei Adipositas?

Es gibt zwei hauptsächlich angewendete Therapiewege. Bei der konservativen Therapie wird versucht, durch eine Kombination aus Bewegung, Ernährung und Verhaltensänderung eine Gewichtsreduktion bei den Patienten zu erreichen. Eine zweite Therapievariante ist eine Operation, bei der der Magen verkleinert wird. Es gibt auch Medikamente, die Übergewicht reduzieren. Diese sind jedoch teuer und nicht unumstritten etwa wegen der hohen Kosten.

Per Armband stellen sich Fitnessgeräte automatisch ein

Zur sogenannten konservativen Therapie gegen Übergewicht - die auch Anni verfolgt - gehören regelmäßiger Sport und eine gesündere Ernährung. Die Patienten sollten sich im Alltag zusätzlich bewegen, erklärt der Sporttherapeut. Denn: "Jeder Schritt zählt." Und das sei die große Herausforderung, denn das Leben müsse umgedacht werden, wenn man langfristig abnehmen will.

Eine Frau und ein Mann schauen Diagramme auf einem Bildschirm an.
Toni Fercho gibt immer wieder Tipps, wie Patienten ihr Fitnessprogramm verbessern können. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Wegen der teils schweren Erkrankungen der Patienten unterscheiden sich die Trainingsgeräte von herkömmlichen in Fitnessstudios. "Wir haben einen Altersdurchschnitt von 71 Jahren in unserer Abteilung. Viele haben chronische Erkrankungen. Deswegen brauchen wir ein einfaches System." Deswegen müssen die Patienten nur ihr Armband an ein Gerät halten. Dieses stellt sich dann automatisch nach ihrem Trainingsplan ein - Bewegungen und Geschwindigkeit sind voreingestellt.

Nicht im Klinikumfeld trainieren müssen

20 Mal könnten die Patienten den Kraftzirkel kostenlos benutzen. Danach könnten sie als Mitglied beim DSC - und der Zahlung eines Mitgliedsbeitrags - weiter trainieren. "Unser Ziel ist es, dass die Patienten am Ball bleiben. Sie sollen sich hier wohlfühlen und gerne hier her kommen."

Positiv aus Sicht der Patienten: Die Trainings haben mehr Freizeitcharakter, weil sie eben nicht im Umfeld einer Klinik möglich wären, sagt Jana Hoyer. Sie ist Leitende Psychologin im Adipositaszentrum Dresden, die im engen Austausch mit den Sporttherapeuten des DSC steht. "Wir wollen Spaß an der Bewegung vermitteln", erklärt Hoyer.

Im Durchschnitt begleitet das Adipositaszentrum seine Patienten bis zu fünf Jahren. Ziel sei, dass regelmäßige Bewegung und gesündere Ernährung in den Alltag der Patienten übergehen.

Abnehmen ist ein großer Kraftakt

Zu Jana Hoyer kämen viele Menschen mit Übergewicht, die schon viele Diäten oder Fitnessangebote durchprobiert hätten. "Sie sind teilweise verzweifelt und hoffnungslos, wenn sie zu uns kommen." Für Patienten sei das ein großer Kraftakt: "Es ist eine Lebensstilveränderung, die sie aufrechterhalten müssen."

Eine Frau schaut in die Kamera.
Billig zu habende kalorienreiche Speisen und zuckerhaltige Lebensmittel begünstigen in Deutschland Übergewicht, sagt Psychologin Jana Hoyer. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Sie sind teilweise verzweifelt und hoffnungslos, wenn sie zu uns kommen.

Jana Hoyer Leitende Psychologin im Adipositaszentrum Dresden

Rückschläge wären da nicht selten, betont Hoyer: "Wir haben Patienten, die nach zwei, drei Jahren sagen, dass sie es nicht schaffen." Für viele sei dann eine Magenverkleinerung der einzige Ausweg, weil die konservative Therapie ihre Grenzen habe: "Manche können so wenig essen und Sport machen, wie sie wollen. 50 Kilo konservativ abzunehmen, ist sehr, sehr schwierig."

Deutschland hat ein Umfeld, das Adipositas fördert

Studien haben gezeigt, dass es in Deutschland ein Umfeld gibt, dass Übergewicht eher fördert. In den vergangenen Jahren gab es da keine Verbesserungen. So sind fetthaltige und zuckerhaltige Lebensmittel in Deutschland sehr günstig. Darauf greifen gerade einkommensschwache Familien zurück. In manchen Staaten wurde eine sogenannte Zuckersteuer eingeführt, etwa in Großbritannien. Dadurch wurden zuckerhaltige Lebensmittel teurer und der Anteil an Menschen mit Adipositas konnte reduziert werden.

Magenverkleinerung als letzter Ausweg

Das zeige sich auch in der Statistik: Im Idealfall reduzieren Patienten 20 bis 30 Prozent ihres Gewichts, sagt Hoyer. "Das erreichen 20 Prozent." Erfolgreich sei die konservative Therapie bei bis zu 35 Prozent der Adipositaspatienten. Mehr als die Hälfte würde sich schließlich für eine Magenverkleinerung als letzten Ausweg entscheiden.

Wenn Übergewichtige über mehrere Jahre in den Therapien teilweise alles gegeben haben und sich dennoch keine Verbesserung einstellt, sei der Frust bei vielen groß, sagt Hoyer. "Wir bestärken die Patienten darin, dass sie alles gegeben haben."

Kostenübernahme stellt Problem dar

Problematisch sei die Kostenübernahme, sagt Hoyer. Magenverkleinerungen würden von den Krankenkassen bezahlt, die konservative Therapie jedoch nicht. Durch einen Exklusivertrag der die vier Adipositaszentren in Sachsen mit der AOK Plus können auch die Kosten für diesen Therapieweg übernommen werden, sagt Hoyer.

Die konservative Therapie soll hoffentlich Ende des Jahres über alle Krankenkassen an den Tageskliniken in Sachsen übernommen werden.

Jana Hoyer Leitende Psychologin im Adipositaszentrum Dresden

Seit Mai könnten auch andere Kassenpatienten dieses Angebot in Anspruch nehmen. Und bis Ende des Jahres solle es eine Einigung geben. "Die konservative Therapie soll hoffentlich Ende des Jahres über alle Krankenkassen an den Tageskliniken in Sachsen übernommen werden."

Annis Ziel: Von mehr als 100 auf 82 Kilo

Adipositas-Patientin Anni legt derweil den Endspurt auf dem Laufband ein. Sie lächelt, wenn sie darüber nachdenkt, was sie bisher erreicht hat: "Seit August trainiere ich hier. Seitdem habe ich zwei Kilo abgenommen und wiege jetzt 101 Kilo. Mein persönliches Ziel sind 82 Kilo in den nächsten zwei Jahren", sagt sie. Für heute hat es Anni geschafft. Sie packt ihre Sporttasche und verabschiedet ihre Trainingskollegen: "Bis nächste Woche!"

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