Thomanerchor & Gewandhausorchester in der Thomaskirche Leipzig 6 min
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Bachs Johannespassion ist am Karfreitag vor 300 Jahren in der Leipziger Nikolaikirche uraufgeführt worden. Zum Jubiläum wird sie vom Gewandhausorchester und Thomanerchor präsentiert. Claus Fischer berichtet.

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Mo 25.03.2024 22:16Uhr 05:58 min

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Jubiläum der Uraufführung Leipzig feiert 300 Jahre Johannespassion

29. März 2024, 04:00 Uhr

Johann Sebastian Bachs Johannespassion ist erstmals am Karfreitag vor 300 Jahren in der Leipziger Nikolaikirche aufgeführt worden. Zum Jubiläum der Uraufführung wird sie jetzt vom Gewandhausorchester und Thomanerchor in zwei großen Konzerten in Leipzig präsentiert. Was macht die Johannespassion so besonders?

Vier große Oratorien hat Johann Sebastian Bach geschrieben: Das Weihnachtsoratorium, dann die h-Moll-Messe, das wohl feierlichste Werk, und schließlich die beiden Vertonungen der Leidensgeschichte des Jesus von Nazareth aus der Bibel, die Matthäuspassion und die Johannespassion. Letztere dürfte am wenigsten bekannt sein, obwohl sie das erste große Werk des Komponisten war.

"Am Karfreitag 1724 hatte Bach als Thomaskantor das erste Mal die Chance, eine Passionsmusik aufzuführen. Es war ja sein erster Karfreitag, den er in Leipzig erlebte", erzählt Michael Maul, Musikwissenschaftler am Bach-Archiv und Intendant des Bachfestes in Leipzig. Er kennt jede Note der Johannespassion und kann sich gut vorstellen, wie Bach in seiner Komponierstube am Thomaskirchhof in den Wochen vor dem Karfreitag Seite für Seite mit Noten vollgeschrieben hat.

Sieben Wochen Zeit zum Komponieren

Zeit hatte Bach genug, denn in den sieben Wochen vor Karfreitag und Ostern, der Passionszeit, gab es keine Kantatenaufführungen in den Gottesdiensten der Leipziger Hauptkirchen. "Tempus clausum" wurden diese Wochen genannt, auf Deutsch "geschlossene Zeit". Und die war auch mit Auflagen für die Bevölkerung verbunden: Man sollte alle 'Schmausereien und Gastereien' unterlassen, so heißt es in den damaligen Anordnungen.

Ein Gemälde zeigt den Komponisten Johann Sebastian Bach.
Die Johannespassion ist das erste große Werk des Komponisten Johann Sebastian Bach und behandelt die Leidensgeschichte des Jesus von Nazareth. Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Bachhaus Eisenach

"Also man sollte praktisch auch nicht laut, deutlich hörbar feiern in den Häusern", erzählt der Bach-Experte. Das habe auch zur Folge gehabt, dass in der Zeit keine Eheschließungen stattgefunden haben. Das alles mache diese Passionszeit zu einem "Tempus clausum", zu einer schmucklosen Zeit. So kann man gut nachvollziehen, wie wichtig die Passionsmusik am Abend des Karfreitags für die Leipziger Bevölkerung war – nach sieben Wochen Musikabstinenz.

Die Leidensgeschichte des Jesus von Nazareth

Das Werk beginnt mit einem expressiven Eingangschor. Darin wird die Bitte ausgedrückt, Jesus Christus möge sich durch seine Passion, durch sein Leiden und Sterben am Kreuz, als der Erlöser der Welt erweisen. Im weiteren Verlauf wird die Leidensgeschichte singend erzählt, vom sogenannten "Evangelisten". Dazu kommen Arien und Chöre, die die jeweilige Stimmung vertiefen. Bach erzeugt Kino im Kopf, wenn etwa die "angefochtenen Seelen" – heute würde man wohl die "belasteten Psychen" sagen – nach Golgatha eilen lässt, also zum sterbenden Jesus.

Blick von oben auf ein Orchester in einer Kirche. 126 min
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An der Uraufführung von 1724 beteiligt war selbstverständlich der Thomanerchor. Dazu musizierten die Mitglieder der städtischen Kapelle, damals die "Stadtpfeifer" genannt. Wer die anspruchsvollen Arien gesungen hat, wissen wir nicht hundertprozentig, sagt Bachforscher Michael Maul. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Solopartien im Kern von Thomanern besetzt wurden. Ich glaube aber, dass Bach gerade für die tragenden tiefen Partien Studenten an der Hand hatte, vielleicht Ex-Thomaner, die nach wie vor hier bei ihm mitsangen und die einfach ein größeres Stimmvolumen hatten."

Nachdenken über Vergänglichkeit

Bachs Johannespassion enthält allerdings nicht nur plastische, opernhafte Passagen. Als Kontrast und Ruhepole in der musikalischen Schilderung des Leidens und Sterbens Jesu dienen die Choräle, schlichte Kirchenlieder, bei denen die Gemeinde in der Leipziger Nikolaikirche nachweislich mitsingen durfte – und sollte, sagt Michael Maul. "Die Passionsgeschichte insgesamt lässt uns ja innehalten, lässt uns über unser eigenes Menschsein nachdenken, auch über Vergänglichkeit."

Im letzten und eindringlichsten Choral wird die Bitte geäußert, dass die Seele des Menschen doch in "Abrahams Schoss", sprich zu Gott kommen möge. Bach drückt hier auf musikalisch anrührende Weise die christliche Hoffnung aus, die in diesem schwer verständlichen Tod am Kreuz liegt. Allein schon wegen dieses Schlusschorals ist die Johannespassion musikalisches Weltkulturerbe.

Konzerte in der Leipziger Thomaskirche und Nikolaikirche:

Johann Sebastian Bach: Johannespassion BWV 245

Termine:
Donnerstag 28. März, 19 Uhr in der Thomaskirche
Freitag 29. März, 19 Uhr in der Nikolaikirche

Mitwirkende:
Gewandhausorchester und Thomanerchor Leipzig
Dirigent: Andreas Reize
Sopran: Elisabeth Breuer
Altus: Jakub Józef Orliński
Tenor: Daniel Johannsen
Bass (Christus): Benjamin Appl
Bass (Arien): Tomáš Král

Die Johannes-Passion ist auch zu sehen am 29.03.2024, 23.10 Uhr bei ARTE: "300 Jahre Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach" mit dem Thomanerchor Leipzig. Und zu hören im Konzert am 29.03.2024 um 19:05 Uhr bei MDR KLASSIK und MDR KULTUR.

Redaktionelle Bearbeitung: sgie

Dieses Thema im Programm: MDR 1 RADIO SACHSEN | Aufgefallen | 25. März 2024 | 22:16 Uhr

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