Personalmangel Leipzig-Grünau: Vom Alltag in einer Brennpunkt-Kita

06. Mai 2023, 16:48 Uhr

In vielen Kindergärten in Deutschlands Städten und Kommunen ist das Personal knapp. In Stadtteilen, in denen sich Armut und soziale Probleme häufen, müssen die Kita-Teams weitere Aufgaben übernehmen, für die eigentlich die Zeit fehlt. Obwohl es auch in einer Kita im Leipziger Plattenbauviertel Grünau personell brennt, will diese ein Kinder- und Familienzentrum werden. Was Vorteile für Eltern und Kinder bringen soll, bedeutet für das Erzieherpersonal ein Verzicht auf Freizeit.

Kinder rennen inmitten von Elfgeschossern und Hochhäusern die Fußgängerzone direkt am Kinder- und Jugendfreizeitzentrum "Völkerfreundschaft" in Leipzig-Grünau entlang. Sie haben Schulschluss oder laufen an der Hand ihrer Eltern vom Kindergarten nach Hause. Henning Loth sitzt auf einer Bank und schaut zu einem der Hochhäuser hinauf. Der gebürtige Thüringer hat das Leipziger Plattenbauviertel, trotz seiner vielen Probleme, liebgewonnen.

Der 31-Jährige ist Erzieher in einer Kindertagesstätte in Leipzig-Grünau, in der es personell an allen Ecken und Enden brennt. "Jedes Jahr im Sommer sagt gefühlt das halbe Team 'Ich hab keinen Bock mehr, ich gehe'. Das bringt sehr viel Unruhe ins Team", sagt Loth. Ein großes Problem: In den vergangenen vier Jahren hat die Kita-Leitung viermal gewechselt. Das sei ein Teufelskreis, meint Loth: "Wenn eine Leitung oder Leute wechseln, mit denen ich vorher gerne zusammengearbeitet habe, dann gehe ich auch eher."

Was ist das Besondere an einem Kinder- und Familienzentrum (KiFaZ)? Für Kinder- und Familienzentren (KiFaZ) ist die Familienbildung ein wesentlicher Bestandteil. Die Einrichtungen haben dabei die Bedürfnisse der einzelnen Familienmitglieder im Blick. In den KiFaZ werden Angebote geschaffen, in denen sich das Kita-Personal und Eltern über Erziehungsfragen zum Wohle des Kindes austauschen können. Dabei soll die Partnerschaft zwischen Eltern und Kita gestärkt werden. Zudem unterstützen Sprach- und Kulturvermittler Familien mit Migrationshintergrund bei der Integration in die Kita. Quelle: Stadt Leipzig

Entwicklung zur KiFaZ wissenschaftlich begleitet

Trotz des Personalmangels hat sich die Kita vor fünf Jahren auf den Weg gemacht, eines von bisher insgesamt 26 Kinder- und Familienzentren (KiFaZ) in Leipzig zu werden. Ziel dabei ist, die Kindertagesstätten nach außen hin zu öffnen, um die Arbeit mit den Familien zu intensivieren, erklärt die Professorin für Pädagogik der Frühen Kindheit Susanne Viernickel von der Uni Leipzig. "In den Kinder- und Familienzentren sollen Eltern und Familien zusammenkommen. Es soll ein Ort des Vertrauens sein, wo Eltern mit all ihren Fragen und Problemen hinkommen, aber auch Freizeit verbringen können", sagt Viernickel, die die Kita vier Jahre lang wissenschaftlich begleitete.

Wissenschaftliche Untersuchung erfolgte anonym Bei der wissenschaftlichen Untersuchung wurden in der KiFaZ-Kita in Leipzig-Grünau Daten, Gespräche und Ergebnisse in anonymisierter Form erhoben. Aus Gründen des Datenschutzes kann der Name der Kindertagesstätte nicht genannt werden.

Häufige Personallücken sind Problem

In den vergangenen vier Jahren wurden Daten erfasst, Gespräche mit Erzieherinnen und Erziehern geführt, um der Frage nachzugehen: Wie schafft es eine Brennpunkt-Kita, sich zu einem Kinder- und Jugendzentrum zu entwickeln? "Die Eltern und Kinder kommen hier mit viel mehr und vielfältigeren Problemen als in anderen Stadtteilen" , erklärt Viernickel die Situation in Leipzig-Grünau. Das erfordere deswegen auch ein "Mehr" an Zeit etwa für Elterngespräche mit nicht deutschsprachigen Eltern. Problematisch seien die vielen Wechsel des Personals gewesen, so Viernickel. So sei die Stelle des Jugendsozialarbeiters nur lückenweise besetzt gewesen, um das Kita-Team bei Zusatzangeboten zu unterstützen.

Kita-Team sieht Mehraufwand problematisch

Der Mehraufwand sei für viele ein Problem, sagt der Erzieher und KiFaZ-Koordinator der untersuchten Kita Henning Loth: "Nach Dienstende haben die Erzieher dann keine Lust mehr, eine Veranstaltung zu begleiten, was ich total nachvollziehen kann. Es ist schwer, in einem Team zu arbeiten, das nicht komplett hinter dem KiFaZ steht."

Nach Dienstende haben die Erzieher dann keine Lust mehr, eine Veranstaltung zu begleiten, was ich total nachvollziehen kann. Es ist schwer, in einem Team zu arbeiten, das nicht komplett hinter dem KiFaZ steht.

Henning Loth Erzieher und KiFaZ-Koordinator

In einem Interview während der wissenschaftlichen Untersuchung sagt eine Kita-Fachkraft: "Klar bringt es für unsere Kita einen Mehrwert, aber für uns geht wieder ein Stück unserer Freizeit verloren". Eine andere Stimme aus dem Kita-Personal: "Es steigert die wöchentliche Arbeitszeit um ein bis zwei Stunden."

Elterncafé und Austauschplattformen geschaffen

Gerade wegen der schwierigen personellen Situation gebührt dem Kita-Team Respekt, sagt Uni-Professorin Viernickel: "Das ganze Team hat hier eine wahnsinnige Arbeit geleistet, weil viel geschafft wurde." Unter anderem können sich Eltern und Erzieher einmal im Monat in einem Elterncafé austauschen. Zudem gibt es eine neue Plattform, in der sich Eltern untereinander über Erziehungsfragen diskutieren oder sich Expertenmeinung einholen können. "Wenn Eltern Schulden hatten oder versäumt haben, den Essenbeitrag zu bezahlen, wurde geholfen. Das sind alles Aufgaben, die in einem gut funktionierenden KiFaZ übernommen werden. Das lief eine Weile sehr gut", so Viernickel.

Das ganze Team hat hier eine wahnsinnige Arbeit geleistet, weil viel geschafft wurde.

Susanne Viernickel Professorin für Pädagogik der Frühen Kindheit an der Uni Leipzig

KiFaZ-Ausbau braucht festes Kita-Personal

Zusätzlich entstand ein Angebot für Eltern, um diese beim Übergang des Kindes vom Kindergarten zur Schule zu unterstützen, so Kita-Koordinator Henning Loth: "Es ist echt gut, dass wir viele Veranstaltungen für die Eltern und die Kinder haben." Doch für die weitere Entwicklung zum KiFaZ sei vor allem eine Kita ohne ständige Wechsel notwendig, sagt er: "Ich wünsche mir ein festes Team, dass einfach Bock hat, die KiFaZ-Arbeit zu leisten. Das geht nur, wenn das Team gut aufgestellt ist."

Kinder- und Familienarbeit nicht zum "Nulltarif" zu haben

Ein Kinder- und Familienzentrum sei nicht zum "Nulltarif" zu haben, sagt Professorin Viernickel. Das hätten die Studienergebnisse gezeigt. Ausreichend Personal und Geld müsse vorhanden sein. Um das Kita-Personal zu entlasten, sollten bürokratische Hürden abgebaut werden, empfiehlt sie. Die Kindergärten sollten zudem Erzieherinnen und Erzieher stärker für das Thema Selbstfürsorge sensibilisieren. Vor allem brauche es viel mehr Geld für solche Projekte, so Viernickel: "Wenn wir darin investieren, die Familien zu stärken, dann stärken wir im hohen Maße auch die Kinder."

MDR (phb)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Leipzig | 08. Mai 2023 | 16:30 Uhr

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