Kritik Oper Leipzig: "Amadis" enttäuscht trotz Thomaskantor
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23. September 2024, 14:06 Uhr
Erstmals hat Thomaskantor Andreas Reize mit der Oper Leipzig zusammengearbeitet: Bei der Inszenierung "Amadis, der Ritter" hat er die musikalische Leitung übernommen. Die Oper von Johann Christian Bach, dem jüngsten Sohn von Johann Sebastian Bach, hat am Wochenende in Leipzig Premiere gefeiert. Mit dabei war MDR-KULTUR-Theaterkritiker Claus Fischer. Während ihn Regie und Bühnenbild irritiert haben, war er von der musikalischen Leistung des Chors und des Gewandhausorchsters begeistert.
- An der Oper Leipzig hat "Amadis, der Ritter" von Johann Christian Bach Premiere gefeiert.
- Kritiker Claus Fischer war von vielen Regie-Entscheidungen irritiert.
- Die musikalischen Leistungen unter Thomaskantor und Dirigent Andreas Reize überzeugten ihn hingegen.
Es beginnt mit einer Videoprojektion auf der noch leeren Bühne. In einem dunklen Kellergewölbe irren zwei Gestalten umher. Sie tragen seltsame Raumanzüge, die sich bei Licht als Ritterrüstungen entpuppen. Ritterrüstungen aus flexiblem Kunststoff, wie sie sich kleine Jungs zu Weihnachten wünschen. Und wie kleine Jungs reden und benehmen sich die beiden vollbärtigen Männer irgendwie auch. Sie nennen sich "Pi" und "Pa" und führen durch die Handlung.
Diese Hanldung – so steht im Programmfaltblatt – ist nämlich so verworren, dass man sie sowieso nicht versteht. Deshalb lässt Regisseurin Antje Thoms die beiden Tölpel, verkörpert von den Schauspielern Paul Wenning und Pius Maria Cüppers, die Oper moderieren. Mir als Kritiker schwant Übles – und ich bin froh, dass Dirigent Andreas Reize erstmal die Ouvertüre intoniert.
Grelles Bühnenbild in Leipzig
Ich habe es geahnt: Die beiden tölpelhaften Plaste-Ritter, die ihren Kollegen Amadis suchen und dabei ständig munter in Johann Christian Bachs wunderbare Musik hineinquatschen, waren erst der Anfang. Die Bühne, gestaltet von Dirk Becker, wird sich in den nächsten zweieinhalb Stunden in eine grelle Asservatenkammer der Popkultur verwandeln.
Da gibt es Horrorclowns, Einhörner, grüne Katzen, die im Rudel auftreten und über allem thront am Ende ein riesiger Eisbär aus Plüsch. Einen tieferen Sinn scheint dieses – alle Sinne überfordernde – Panoptikum nicht zu haben. Und als 57 Jahre alter hochkultursozialisierter weißer Mann sind mir die meisten Bezüge zu irgendwelchen Hollywood-Blockbustern und Fernsehserien, die Regisseurin Antja Thoms da zusammengeklaubt hat, sowieso ein Buch mit sieben Siegeln. So versuche ich lieber, das an Handlung zu erfassen, was ich zu erfassen in der Lage bin.
Anders als etliche meiner Kritikerkollegen verlasse ich in der Pause die Oper nicht.
Lovestory und Liebeshimmel
Der Ritter Amadis und seine Herzensdame Oriana befinden sich in der Gewalt des Zauberers Arcalaus. Der bleibt – im Gegensatz zu Sarastro in Mozarts "Zauberflöte" – auch bis zum Ende des Stücks böse. Dann gibt es noch die böse Zauberin Arcabonne. Die wird am Ende die Gute und bringt Ritter sowie Edeldame glücklich unter die Haube. Dazu flimmern mal Videoprojektionen von Zahnrädern und Eisenträgern über den Hintergrund – das soll wohl die Höllenwerkstatt von Arcalaus darstellen. Dann wird die Lovestory zwischen Amadis und Oriana auch noch als Puppenspiel inszeniert.
Zu allem Überfluss tut sich schließlich auch noch – quasi als Gegenpol zur Hölle, aber ebenfalls unterirdisch – der "Liebeshimmel" auf, der von rund fünfzig Damen der Statisterie in rosafarbenen Lack-Kleidern bevölkert wird. Der definitiv schrägste Einfall von Kostümbildnerin Lorena Diaz Stephens. Um es mit Wolfgang Petry zu sagen: "Höllehöllehölle".
Auch Gesang überzeugt nicht
Anders als etliche meiner Kritikerkollegen verlasse ich aber in der Pause die Oper nicht. Denn die musikalischen Leistungen sind zum Glück weit weniger haarsträubend als die Regie. Begeisterung löst das Gesangsensemble bei mir allerdings auch nicht aus. Matthias Stier als Amadis singt einen soliden Tenor, der aber weder mit strahlende Höhen, noch mit besonderer stimmlicher Ausdruckskraft überzeugt.
Die musikalischen Leistungen sind zum Glück weit weniger haarsträubend als die Regie.
Ebenfalls nur teilweise überzeugte Sarah Traubel in der Partie der erst böse, dann guten Zauberin Arcabonne. Die Partie, die bisweilen an die der Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte erinnert, meisterte sie zwar hervorragend in den Koloraturen, dafür fiel ihre Stimme in den weniger expressiven Passagen manchmal so ab, dass man sie kaum noch hören konnte.
Lob für Oper Leipzig und Gewandhausorchester
Nach der für mich unerträglichen Regie und des erträglichen Gesangs zum Schluss noch das Positive. Das sind die Leistungen des Chors der Oper Leipzig und des Gewandhausorchesters. Dem Dirigenten und Thomaskantor Andreas Reize ist es gelungen, einen überaus transparenten und farbigen Klang zu kreieren, der die Stärken der hochtheatralischen Musik Johann Christian Bachs voll auslotete, wenn sie denn nicht gerade durch das sinnlose Gequatsche der beiden Plaste-Ritter gestört wurde.
"Amadis, der Ritter" von Johann Christian Bach in der Regie von Antje Thoms und unter musikalischer Leitung von Andreas Reize war inszenatorisch ein Desaster, sängerisch solide und in puncto Chor und Orchester ein Genuss. Eine konzertante Aufführung hätte mir daher definitiv besser gefallen.
Angaben zum Stück:
"Amadis, der Ritter"
Tragédie lyrique in drei Akten von Johann Christian Bach
Libretto von Alphonse-Denis-Marie de Vismes, nach Philippe Quinault
ab 8 Jahre
Dauer: 2 1/4 Stunden
Musikalische Leitung: Andreas Reize / Yura Yang
Inszenierung: Antje Thoms
Bühne: Dirk Becker
Kostüme: Lorena Diaz Stephens
Besetzung:
Amadis: Matthias Stier / Daniel Arnaldos
Oriane: Samantha Gaul / Olga Jelínková
Arcabonne: Olena Tokar / Sarah Traubel
Arcalaus: Franz Xaver Schlecht / Jonathan Michie
Ardan / Der Hass: Joan Vincent Hoppe / Vincent Wilke
Chor: Chor der Oper Leipzig
Orchester: Gewandhausorchester
Quelle: MDR KULTUR (Claus Fischer), Oper Leipzig
Redaktionelle Bearbeitung: lig, bh
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 23. September 2024 | 07:20 Uhr