Eine Frau mit schwarzen Haaren vor dem Schild mit der Aufschrift "Landesdirektion Sachsen".
Die Irakerin Baydaa Taher-Ali hatte einen Job als Pflegehilfskraft. Doch dafür musste die Asylbewerberin jeweils 30 Kilometer nach Chemnitz fahren. Ihr Antrag auf Umzug wurde auch von der Landesdirektion Sachsen abgelehnt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wirtschaft Wegen Arbeit: Sachsen will Asylbewerbern Umzug ermöglichen

09. Februar 2024, 05:00 Uhr

Das sächsische Innenministerium hat in einem Erlass angeordnet, dass Asylbewerber in eine anderer Kommune umziehen dürfen, wenn sie dort einer Arbeit nachgehen, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Ein Schritt in die richtige Richtung, sagen die einen. Denn nach Schätzungen fehlen Sachsen bis zum Jahr 2030 etwa 150.000 Erwerbstätige. Für andere ist der Erlass lediglich die Umsetzung geltenden Rechts.

Um Asylbewerbern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, senkt Sachsen eine Hürde. Die sogenannte Wohnsitzauflage soll aufgehoben werden, wenn ein Asylsuchender einen Arbeitsplatz hat, mit dem er seinen Lebensunterhalt sichern kann. Dies geht aus einem Erlass des sächsischen Innenministeriums (SMI) hervor, der MDR Investigativ vorliegt. Auch beim Thema Ausbildung wolle man nun so verfahren - vorausgesetzt, die Ausbildung sichere den Lebensunterhalt, teilte das SMI auf Nachfrage mit.

Das Prozedere: Asylbewerber werden in einer Aufnahmeeinrichtung registriert und anschließend in den Bundesländern einer bestimmten Kommune zugewiesen. Das sind Landkreise oder kreisfreie Städte. Hinzu kommt die sogenannte Wohnsitzauflage. Danach ist der Asylbewerber verpflichtet, an dem ihm zugewiesenen Ort zu wohnen.

Bislang war es so: Wenn ein Asylbewerber in eine andere Kommune umziehen wollte, musste die Wohnsitzauflage aufgehoben werden und zugleich eine neue Zuweisungsentscheidung getroffen werden. Doch das war aus den immer selben Gründen meist durch die Ausländerbehörden oder die übergeordnete Landesdirektion abgelehnt worden: Ein Umzug wegen eines Arbeitsverhältnisses oder eines Ausbildungsplatzes seien keine humanitären Gründe, die eine Umverteilung rechtfertigen würden. Humanitäre Gründe waren bis dato laut Landesdirektion beispielsweise Bedrohungslagen wie häusliche Gewalt. Für Asylbewerber, die eine Arbeit außerhalb ihrer zugewiesenen Kommune gefunden hatten, bedeutete dies teils erhebliche Probleme.

Arbeit als Pflegehelferin - aber kein Umzug

So hatte MDR Investigativ etwa im September - drei Monate vor dem Erlass - auch über den Fall von Baydaa Taher-Ali berichtet. Die Irakerin hatte 2020 einen Job als Pflegehilfskraft in Chemnitz angenommen und konnte so auch ihren Lebensunterhalt sichern. Die Wohnsitzauflage bestand für Marienberg im zugewiesenen Erzgebirgskreis.

Taher-Ali musste also 30 Kilometer zur Arbeit pendeln: Die Kosten für das Monatsticket lagen bei 141 Euro. Die Fahrten mit dem Bus dauerten jeweils eine Stunde. Doch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hätte sie nicht einmal alle Schichten rechtzeitig erreichen können. Teilweise griff sie deshalb auf ein teures Taxi zurück, wenn sie nicht mit Kollegen Früh- und Spätdienst tauschen konnte.

Damals befand sich Taher-Ali im laufenden Asylverfahren und musste deshalb einen Antrag auf eine sogenannte Umverteilung, also eine neue Zuweisung, stellen. Doch die zuständige Ausländerbehörde lehnte den Umzug ab und später auch die übergeordnete Landesdirektion - mit derselben Begründung, wie so oft: Es liege kein humanitärer Grund für eine Umverteilung vor.

Als Taher-Ali im Jahr 2021 eine Ausbildung zur Pflegefachkraft begann, stellte sie erneut einen Antrag auf Umverteilung. Ein Umzug wurde wieder aus demselben Grund abgelehnt. Erst als ihr Asylantrag schließlich 2022 anerkannt wurde, konnte die Irakerin nach Chemnitz ziehen.

Bundesministerium legte Asylgesetz anders aus als Sachsen

Dabei legt das Bundesinnenministerium das Asylgesetz anders aus als Sachsen. Schriftlich teilte man MDR Investigativ im September mit: "Der Gesetzgeber nimmt einen humanitären Grund insbesondere dann an, wenn […] konkret bestehende Ausbildungsmöglichkeiten oder konkrete Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit vorliegen."

Der neue Erlass vom SMI stellt nun klar, dass Asylsuchende das Recht auf eine freie Wohnsitznahme sachsenweit haben, wenn sie ihre Lebenskosten sicher durch Arbeit bestreiten können. Kristian Garthus-Niegel vom Flüchtlingsrat Sachsen sagt dazu: "Das ist gut, weil die Landesdirektion dies zuvor in vielen Fällen verhindert hat." Wie etwa im Fall der Irakerin Taher-Ali.

Der Erlass befördert die Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme und Ausbildung während des laufenden Asylverfahrens.

Geert Mackenroth Sächsischer Ausländerbeauftragter

"Ich begrüße den Erlass des Sächsischen Staatsministeriums des Innern vom 18. Dezember 2023", erklärt der Sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth (CDU). Das sei im Interesse der Asylbewerber und der Wirtschaft im Freistaat. Der Landtagsabgeordnete erklärt weiter: "Er befördert die Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme und Ausbildung während des laufenden Asylverfahrens. Gleichzeitig berücksichtigt er die Interessen der Kommunen, die auf eine gleichmäßige Verteilung der in Sachsen ankommenden Asylbewerber angewiesen sind."

Bei Jobverlust geht es zurück

Der Hintergrund: Mit der Zuweisung wird eine etwa gleichmäßige Verteilung der anfallenden Kosten auf die Kommunen bezweckt. Daran soll auch künftig nichts geändert werden. Eine Umverteilung findet auch durch eine neue Zuweisung nicht statt.

Denn Sachsen gestattet zwar einen Umzug innerhalb des Freistaates, wenn ein Asylbewerber seinen Lebensunterhalt selbst sichern kann. Doch damit wird die Wohnsitzauflage nur aufgehoben, wie das Sächsische Innenministerium bestätigt. Das hat Konsequenzen. "Verliert man die Stelle, nachdem man gegebenenfalls umziehen konnte, muss man wieder zurück zum Start", kritisiert Garthus-Niegel.

Ein weiteres Problem: Erst wenn die Probezeit überstanden ist, darf man umziehen. "Bis dahin müsste gependelt werden oder eine Zweitwohnung angemietet und die Kosten dafür selbst getragen werden. Das ist kaum zu stemmen", sagt Garthus-Niegel. Diese Probleme könnten seiner Meinung nach vermieden werden, wenn man eine Regelung wie in Niedersachsen treffen würde. Dort kann die ursprüngliche kommunale Zuweisung schon dann geändert werden, wenn eine Möglichkeit auf Arbeit oder Ausbildung besteht.

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