Kohlehändler seit 1987 Die Renaissance der Kohle: "So einen Boom habe ich noch nie erlebt"

21. Juli 2022, 18:00 Uhr

Wegen der steigenden Gaspreise suchen die Menschen nach Alternativen. Selbst die längst totgeglaubte Zunft der Kohlehändler erlebt einen Boom, der der Branche aber mehr Sorgen als Freude bereitet. Denn der Markt für Kohlebriketts ist leergefegt und die Kunden, die wirklich auf Kohle angewiesen sind, bleiben auf der Strecke. Ein Tag mit den Kohlehändlern Hendrik und Christopher Möller aus Arnstadt.

"Mein Vater? Er ist einer der besten Freunde, die ich habe", sagt Christopher Möller und schiebt mit seinen kohleschwarzen Händen das Basecap auf seinem Kopf umher. "Er ist vor allem niemand, der irgendjemanden hängen lässt, und er reißt sich ein ums andere Mal ein Bein aus, damit die Kundschaft zufrieden ist."

Christopher Möller ist 35 Jahre alt, hat einen Bachelor in Mechatronik und schleppt von Berufs wegen zentnerschwere Kohlesäcke. Er tut das für seinen Vater.

Denn Hendrik Möller ist seit 1987, dem Jahr, in dem Christopher geboren wurde, Kohle- und Brennstoffhändler. Früher war er nur angestellt, doch 2003 machte sich der heute 57-Jährige selbstständig. Als er 2020 keine Mitarbeiter mehr fand, sprang Christopher ein. Seither fahren Vater und Sohn mit dem Multicar übers Land und liefern zusammen Kohle aus.

Kohlen für Familie Semmler

An diesem Freitag geht es mit fast zwei Tonnen abgepackten Braunkohlebriketts nach Neuroda im Ilm-Kreis zu Familie Semmler. Als der kleine blaue Laster auf den Hof fährt, ist schon alles vorbereitet. Die Schuppentür steht offen, die Einfahrt ist frei, die Semmlers haben die Handschuhe parat und packen trotz ihres Alters fleißig mit an.

Während die 180 je zehn Kilo schweren Kohlepakete von Hand zu Hand gereicht werden und Stück für Stück von der Ladefläche des Lasters in den Schuppen wandern, knetschen die Semmlers und Möllers drauf los. Kein Wunder: Sie haben sich seit einem Jahr nicht gesehen, da gibt es viel zu erzählen.

Schon seit fast 20 Jahren ist das Ehepaar Stammkunde von Hendrik Möller. Es sind Termine wie dieser, die seinen Beruf so besonders machen. "Gerade auf den Dörfern, wo die Strukturen nicht mehr stimmen und es keinen Konsum mehr gibt. Da freuen sich die Leute, wenn du kommst. Dann kriegst du einen Kaffee, kriegst was zu essen und sie erzählen dir Sachen. Das ist das Beste an dem Beruf", erzählt er. Dass es den Brennstoffhandel in Arnstadt noch gibt, liegt nicht zuletzt an der Treue der Kunden.

Gerade auf den Dörfern, wo die Strukturen nicht mehr stimmen und es keinen Konsum mehr gibt. Da freuen sich die Leute, wenn du kommst.

Hendrik Möller

Die Möllers tragen auf Wunsch die Kohle bis in die letzte Ecke. Das unterscheidet die traditionellen Kohlehändler von Baumärkten oder anderen Großhändlern. Durch diesen schweißtreibenden Service entsteht nicht selten eine Kundenbindung, die man bei herkömmlichen Dienstleistern selten erlebt.

"Natürlich kriegst du auch das Leid der Leute mit", sagt Hendrik Möller und legt seine Stirn in Falten. Das Traurigste sei, wenn jemand gestorben ist. Wenn man dann kommt, dann stünde der Mann oder die Frau plötzlich nur noch allein da, wo sie sonst immer zu zweit gestanden und auf ihre Kohlen gewartet hätten. "Das ist manchmal auch tragisch", sagt Möller.

Leere Lager, lange Lieferzeiten

Nach etwa einer Stunde ist die Arbeit bei den Semmlers getan und für die Möllers geht es zurück nach Arnstadt zum alten Ostbahnhof, wo Hendrik Möller seinen Brennstoffhandel hat. Schon zu DDR-Zeiten war hier der örtliche Kohleumschlagplatz. Heute halten hier zwar keine Züge mehr, aber davon abgesehen, hat sich hier wenig verändert.

Am Hofeingang steht rechts ein kleines Büro, in dem ständig das Telefon klingelt, links ein großer Verschlag, unter dem Gasflaschen und Paletten voller Kohlebriketts der Marke "Rekord" lagern. Hinter dem Gebäude stehen Kohleförderbänder und trichterförmige Tagessilos.

In der hinteren Ecke des Hofes sind noch zwei mit Planen abgedeckte Kohlehaufen, wo die losen "Union"-Briketts liegen. Davor zehn, fünfzehn oder zwanzig Meter gähnende Leere. "Eigentlich müssten die Haufen bis hier vorn liegen", zeigt Hendrik Möller. 

Doch in diesem Jahr ist vieles anders. Der russische Angriffskrieg stürzte nicht nur Millionen Ukrainer ins Unglück, sondern auch Deutschland in eine Energiekrise. Schon im März zog mit den Erdgaspreisen spürbar die Nachfrage nach Kohle an.

Seither arbeiten Kohlehändler in ganz Thüringen unter extremen Bedingungen. 12-Stunden-Tage sind die Regel geworden. Neben der schweren körperlichen Arbeit sind es vor allem die ständigen Anrufe der Kunden, die zehren. 50 Anrufe am Tag sind in Arnstadt keine Seltenheit. Im letzten Jahr waren es an guten Tagen zehn.

Wie viele Thüringer heizen noch mit Kohle? (Zum Aufklappen)

Einer Studie des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V von 2019 zufolge, gibt es in Thüringen noch rund 10.380 Häuser und Wohnungen, die allein mit Kohle beheizt werden. Hinzu kommen rund 23.000 Häuser und Wohnungen, die Kohleöfen als Zweitheizung angeben. Damit sind noch etwa zwei Prozent der Wohnungen und Hauser in Thüringen mit Kohle beheizbar.

Weil die Bestellungen sich häufen, werden die Wartezeiten immer länger und nähern sich allmählich den Lieferzeiten von Möbelhäusern an. Drei oder vier Monate wartet man heute nicht nur auf eine neue Küche, sondern auch auf die Kohlen für den Winter.

Allein mit der Warteliste könnten die Möllers bis zum Jahresende durcharbeiten, sagt Christopher. Rational sei das alles jedenfalls nicht mehr. "Es geht eine Panik durchs Volk. Die haben alle Angst, dass sie im Winter frieren müssen."

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Christopher Möller ist Kohlehändler in Arnstadt. Hier erzählt er, wie er die aktuelle Energiekrise in seiner Branche erlebt.

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Doppelte Preise, halbierte Produktion

"So einen Boom habe ich noch nie erlebt", sagt auch Vater Hendrik und wieder zeichnen Sorgenfalten seine Stirn. "Wir könnten heute locker das Doppelte oder Dreifache verkaufen, wenn wir die Ware hätten."

Doch der Markt sei leergefegt. Rund 60 Prozent weniger Kohlen hätten sie in diesem Jahr bekommen, schätzt Möller. Grund dafür ist vor allem der Produktionsrückgang, denn zum Ende des Jahres plant RWE die rheinische Brikettfabrik in Frechen zu schließen und hat deswegen schon jetzt die Produktion der "Union"-Kohlen gedrosselt.

Wir könnten heute locker das Doppelte oder Dreifache verkaufen, wenn wir die Ware hätten.

Hendrick Möller

Ende 2022 verbleibt dann allein die LEAG mit der Brikettproduktion am Industriepark Schwarze Pumpe in Brandenburg als einziger europäischer Hersteller. Zusammen mit der enormen Nachfrage führt das schon jetzt zu empfindlichen Preisanstiegen: 100 Prozent bei der abgepackten Kohle und circa 75 Prozent bei den losen Briketts, schätzt Möller. Eine Tonne abgeschüttete lose Kohlen kostet inzwischen 320 Euro.

Für die hohe Nachfrage seien auch die vielen "Zu-Heizer" verantwortlich. So nennt Möller die Kunden, die eine Gas- oder Ölheizung haben, sie aber durch einen Ofen entlasten wollen. Hier spielt wohl auch der stark gestiegene Brennholzpreis eine Rolle, der den Kohlepreisen nicht nachsteht.

Je nach Holzart kostet der Schüttraummeter Brennholz derzeit rund 150 Euro. Das entspricht sowohl vom Preis als auch vom Heizwert einer halben Tonne loser Kohlen. Da Kohlen die Glut besser halten, orientieren sich viele Holz-Kunden gerade um. Besser gesagt, sie versuchen es, wenn sie einen Kohlehändler finden, der noch neue Kunden bedienen kann.

Wenn der Kohlehändler Sozialpolitik macht

Aufgrund der Mangellage haben Möllers angefangen, die Kohlelieferungen zu rationieren. "Es gibt Kunden, die für meine Begriffe hamstern, wo wir dem auch einen Riegel vorschieben. Weil wir sicherstellen wollen, dass jeder was bekommt", erklärt Christopher Möller. Denn während manche Kunden die Kohlen nur zum "Zu-heizen" bräuchten, wären mindestens 75 Prozent ihrer Stammkunden wirklich auf die Kohlen angewiesen. Ohne diese bliebe die Wohnung im Winter kalt.

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Hendrik Möller ist Kohlehändler in Arnstadt. Hier erzählt er, wie er die aktuelle Energiekrise in seiner Branche erlebt.

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"Wir hatten im Winter eine Kundin - die hat mir so leidgetan", holt er aus. "Die ist körperlich ein bisschen benachteiligt, finanziell auch, weil sie eben nicht arbeiten kann, und wohnt allein in einem Haus, das mehr als sanierungsbedürftig ist. Da rufen wir immer an, wenn wir in der Nähe sind und bieten ihr an, dass wir was mitbringen könnten, denn allein kann sie sich die Anfahrt nicht leisten."

In diesem Winter habe sie aber abgesagt, um zu sparen, und weil Möllers dann doch längere Zeit nicht in der Gegend waren, gingen ihr die Kohlen aus. "Schlussendlich saß sie über eine Woche ohne Kohlen, nur in Jacke, Schal und dicken Strümpfen in ihrer Wohnung und hat auf uns gewartet. Das nimmt einen mit", erzählt Christopher.

Wenige Kohle gerecht verteilen

Es sind Geschichten wie diese, die vielleicht Einzelfälle sein mögen, aber doch zeigen, wie schwer diese Energiekrise, manche Menschen treffen wird. Vielen Älteren sei es auch schlicht nicht zu vermitteln, dass sie keine Kohlen bestellen können. "Erklären Sie mal einer 80- oder 90-Jährigen, dass es keine Kohlen zu kaufen gibt", sagt Vater Hendrik. "Das verstehen die nicht, denn die haben ihr ganzes Leben lang mit Kohle geheizt." 

Um solche Kunden zu schützen, versucht Hendrik Möller die wenige Kohle, die er hat, gerecht zu verteilen, und zuerst diejenigen zu versorgen, die sie wirklich brauchen. Deshalb gäbe es gerade auch keinen Hofverkauf ohne Anmeldung und Absprache mehr.

Dass er als Dienstleister, der eigentlich nur verkaufen will, jetzt entscheiden müsse, was gerecht ist und wer es im Winter warm hat und wer nicht, empfindet er als "nicht angenehm." Er formuliert das bewusst zurückhaltend, aber die Falten auf seiner Stirn lassen erkennen, dass es ihm schwer an die Nieren geht. Hendrik Möller ist nun mal niemand, der andere hängen lassen will.

MDR (ask)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 21. Juli 2022 | 18:00 Uhr

19 Kommentare

DanielSBK am 23.07.2022

Brikett geht aber nicht in jedem Holzofen - da kann sogar den Ofen kaputt machen, weil dass dann zu heiß wird. Ob man das will?! Das geht meiner Kenntnis nach nur mit solchen Dauerbrandöfen. Und die Fabriken sind geschlossen, weil keiner mehr diese Drecksarbeit machen will... Arbeitermangel halt. Pellets sind auch vom Bundesumweltamt als schädlich wegen Verbrennung, CO2 und nicht mehr Förderfähig eingestuft, obwohl Holz ein nachwachsender Rohstoff ist. Die Grüne Politik will eben nur noch Wärmepumpe oder Solar/Wind haben - alles 3 aber nicht Grundlastfähig. Mfg

MDR-Team am 22.07.2022

Dennoch haben Sie ein Zitat in die Diskussion eingebracht, dass in keinem direkten Zusammenhang zum Thema des Artikels steht und daher fehlinterpretiert werden könnte. Darauf wollten wir hinweisen.

MDR-Team am 22.07.2022

In diesem Forum soll es aber nicht um die letzten 3 Jahre gehen, sondern um aktuelle Entwicklung der Kohle. Wir bitten Sie dies beim Verfassen Ihrer Kommentare zu beachten.

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