Kirchengeschichte "Zur Geschichte stehen": Wie Juden im Erfurter Dom dargestellt werden

14. Juni 2022, 13:54 Uhr

Man muss schon etwas genauer hinsehen, um Juden in den Schnitzereien, Glasmalerien und Steinfiguren zu erkennen. Doch was für uns heute schwer zu deuten ist, war für die Menschen im Mittelalter Allgemeinwissen. In einer Sonderführung führte Kunsthistoriker Dr. Falko Bornschein Interessierte durch den Erfurter Dom - und eröffnete so einen neuen Blickwinkel auf das Wahrzeichen der Landeshauptstadt.

Bekannt ist der Erfurter Dom vor allem für seine "Gloriosa", die größte freischwingende, aus dem Mittelalter stammende Glocke der Welt. Aber nimmt man Abstand vom allseits Bekannten und dem touristischen Blick und schaut genauer hin, gibt es im Dom noch einiges mehr zu entdecken.

Szenen vom Jüngsten Gericht am Jungfrauenportal

Zum Beispiel am Jungfrauenportal, das hinter dem Haupteingang zu finden ist. Hier ist das Jüngste Gericht dargestellt: In der Mitte Christus als Richter, rechts und links je fünf Jungfrauen beziehungsweise Bräute. Diese werden jeweils von einer vorangestellten Figur angeführt. Steht man davor, sind links die sogenannten "weisen Bräute", angeführt von Ecclesia, die das personifizierte Christentum darstellt.

Auf der rechten Seite zu sehen sind die "verlorenen Bräute", die keinen Eintritt in das Paradies enthalten. Sie werden angeführt von Synagoge, dem personifizierten Judentum. Ihr Blick ist abgewendet.

Wie Kunsthistoriker Falko Bornschein erklärt, steht diese Haltung für "das Abwenden von der christlichen Wahrheit". Heutzutage erkennen Laien die Figur der Synagoge nicht mehr als solche, aber im Mittelalter sei das allen klar gewesen, so Bornschein. Das Jungfrauenportal sei in der Nutzung des Doms auch sehr präsent gewesen. Das Tor in der Mitte wurde auch als "Totentür" bezeichnet, sagt Bornschein, hier haben bei Beerdigungen wohl die Trauerzüge durchgeführt.

Das Portal selbst sei um 1335 entstanden - nicht weit entfernt vom Judenpogrom 1348/49. "Wahrscheinlich war auch das Stiftskapitel von St. Marien selbst der Ideen- und Auftraggeber für das Portal", vermutet der Kunsthistoriker.

Der Jude auf dem Schwein

Weniger präsent für die Menschen des Mittelalters waren die Schnitzereien am Chorgestühl. Der Bereich war abgesperrt, auch noch bis vor einigen Jahren mit einem Gittertor. Gleich vorne, an der linken Seite, findet man im unteren Bereich folgende Schnitzerei: Eine Person sitzt auf einem Pferd, bewaffnet mit Lanze und Schild. Darauf ein Fischsymbol - das ist der Christ.

Mit der Lanze sticht er auf eine Person ihm gegenüber ein. Diese trägt eine spitze Mütze und sitzt auf einem Schwein. "Das ist ganz klar der Jude", erklärt Bornschein. Judendarstellungen mit Schweinen gäbe es häufig, zum Beispiel auch im Kölner Dom. Heute noch einigen bekannt sind Schimpfworte wie "Saujude" oder "Judenschwein", auch diese sind mit derartigen Darstellungen assoziiert.

"Zur Geschichte stehen"

Aus der Besucherrunde kommt eine Frage: "Hat denn daran niemand Anstoß genommen?" - "Damals nicht", erklärt Bornschein. "Heute hat sich der Blick auf andere Religionen natürlich geändert". Der Kunsthistoriker hat dazu aber auch eine Position: "Man muss zur Geschichte stehen, man kann sie nicht rückgängig machen", sagt er.

Wir stehen zu dieser Sicht, aber wir versuchen heute eben, ein Miteinander zu gestalten.

Weihbischof Dr. Reinhard Hauke

Und dieser Meinung ist auch Weihbischof Reinhard Hauke, der die Führung ebenfalls begleitet. "Wir stehen zu dieser Sicht, aber wir versuchen heute eben, ein Miteinander zu gestalten", sagt Hauke. Er habe bereits ein Kunstprojekt mit der katholischen Edith-Stein-Schule in Erfurt angefragt. "Vielleicht können die Schüler in irgendeiner Form die Ecclesia und die Synagoge zusammenbringen", schlägt er vor. Das Ergebnis könne man dann im Dom präsentieren, um sich von den Darstellungen aus dem Mittelalter abzugrenzen, ohne diesen Teil der Geschichte zu verleugnen.

Die Sonderführung wurde zum zweiten und vorerst letzten Mal angeboten und war im Rahmen des Themenjahres "900 Jahre Jüdisches Leben in Thüringen" geplant worden.

Warum die Figur der "Judensau"? Schweine gelten im Judentum als unrein und dürfen werder gegessen noch geopfert werden. Mensch und Tier als "Judensau" gleichzusetzen, gilt daher als öffentliche Demütigung dieser Religionsgemeinschaft.

MDR (dvs)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | | 14. Juni 2022 | 10:30 Uhr

28 Kommentare

hinter-dem-Regenbogen am 16.06.2022

@Germinator __" jegliche abscheuliche Art der Judendarstellung . . . "

Dem setze ich entgegen !
Jegliche abscheuliche Art der Darstellung von Menschen, gehört nicht in den öffentlichen Raum. . . . . und insbesondere sei das Internet, welches es vor 500 Jahren noch nicht gab, betroffen.

Beschimpfungen, Beleidigungen, Erniedrungen, Diskreditierung, Verunglimpfung Demütigung usw. gehören heutzutage zum Alttagsgeschäft. Das Internet quillt förmlich über mit dieser Art der Kommunikation . . . . und so sollte man auch das Mittelalter verstanden wissen..

martin am 15.06.2022

Auch diesen Beitrag nehme ich im Rahmen der selbstverständlich auch Ihnen zustehenden Meinungsfreiheit zur Kenntnis und beende meinerseits den Austausch zu diesem Themenbereich - übrigens ohne herabwürdigende Wertungen Ihrer Äußerungen oder Ihrer Person.

Habe die Ehre.

Ilse am 15.06.2022

martin

Sie müssen unbedingt an sich arbeiten, Text richtig zu verstehen. Ich schrieb "durch Innlandgeheimdienste, um Missbrauch von Religion zu verfolgen".

Sie verstehen anscheinend "dass Kirchen von Inlandsgeheimdiensten (wie der Stasi) verfolgt würden".

Das ist ein Unterschied, ob ich die "Kirche" oder den "Missbrauch von Kirche" verfolgen möchte.

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