Schülerinnen und Schüler in einem Klassenraum
An der Privatschule BLA Hanoi werden junge Vietnamesinnen und Vietnamesen auf ein Leben und eine Ausbildung in Deutschland vorbereitet. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Kultureller Austausch Oktoberfest in Hanoi: Wie sich Vietnamesen auf ein Leben in Deutschland vorbereiten

08. November 2023, 21:06 Uhr

An der Privatschule BLA Hanoi lernen rund 500 junge Vietnamesen die deutsche Sprache, um sich auf ein Leben und eine Ausbildung in Deutschland vorzubereiten. In Intensivkursen pauken sie aber nicht nur Vokabeln, sondern lernen auch die deutsche Kultur kennen. Gegründet hat diese besondere Schule eine Absolventin der Universität Erfurt.

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Es gibt Geschichten, für die man als Reporter auch mal den Ministerpräsidenten versetzt. Statt am Dienstag Bodo Ramelow (Linke) zu seinen Delegationsterminen in Hanoi zu folgen, lasse ich mich zusammen mit zwei Zeitungskollegen von Trang Phan an unserem Hotel abholen. Die 33-Jährige hat einen Fahrer organisiert, der uns in den Südwesten der Stadt bringt. Hier leitet Phan die BLA Hanoi - eine Privatschule für deutsche Sprache. Hier passiert ganz praktisch das, worüber Ramelow bei seinen Terminen in Vietnam meist theoretisch spricht: die Vorintegration von jungen Vietnamesen, die Lust auf Deutschland beziehungsweise Thüringen haben.

Eine Frau lächelt in die Kamera
Mit dem Auto fahren wir zusammen mit Schulleiterin Trang Phan zur Privatschule BLA Hanoi. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Die Sprache ist das kleinste Problem

Von unserem Hotel aus sind es bis zur Schule nur 14 Kilometer. Doch im hupenden Verkehrsdschungel der 8-Millionen-Metropole Hanoi, wo es keine festen Fahrstreifen gibt und sich unzählige Mopeds zwischen den Autokolonnen durchschlängeln, dauert die Fahrt gut eine Stunde. Deshalb beginnt unser Interview schon im Auto. "Ich liebe Deutschland", sagt Phan und strahlt. "Viele haben mich ja gewarnt, die Deutschen seien so kalt. Aber ich habe immer nur warmherzige Menschen getroffen."

Sprache ist für Vietnamesen in Deutschland das kleinste Problem. Viel öfter haben Sie Probleme Anschluss zu finden, bekommen Heimweh und gewöhnen sich einfach nicht an diese andere Kultur.

Trang Phan Leiterin BLA Hanoi

Von 2013 bis 2018 lebte Phan in Deutschland. Erfurt sei ihre zweite Heimat, sagt sie. 2017 machte sie an der Universität Erfurt ihren Abschluss in Germanistik. Ein Jahr später ging sie zurück nach Vietnam, um mit ihrem Mann, der seinen Doktor in Heidelberg machte, die BLA Hanoi zu gründen. Die Idee: Deutschunterricht für Vietnamesen, die im Herzen Europas arbeiten wollen. Deutschunterricht meint hier aber nicht allein Grammatik und Vokabeln pauken, es geht um weit mehr: "Sprache ist für Vietnamesen in Deutschland das kleinste Problem", sagt Phan. "Viel öfter haben sie Probleme Anschluss zu finden, bekommen Heimweh und gewöhnen sich einfach nicht an diese andere Kultur."

Eine Frau lächelt in die Kamera
Trang Phan hat an der Universität Erfurt ihren Abschluss in Germanistik gemacht. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Um dem vorzubeugen, bereitet die BLA ihre Schüler auch auf den deutschen Kulturschock vor. Denn die Erfahrungen junger Vietnamesen, die in einer Kultur aufwachsen, in der Höflichkeit, Respekt und an Schüchternheit grenzende Zurückhaltung eine gelebte Selbstverständlichkeit sind, decken sich oft nicht mit der manchmal egozentrischen und schroffen westlichen Ellenbogengesellschaft. Die Vermittlung der deutschen Kultur spielt daher eine wichtige Rolle an der BLA. So gibt es hier in der Kantine fast jeden Tag deutsches Essen und immer wieder feiert die Schule deutsche Feste - zuletzt das Oktoberfest.

Vietnamesische Gastfreundschaft

Als unser Fahrer das Auto schließlich zum Stehen bringt, stehen wir am Eingangsbogen zum Schulgelände. Die Oktoberfestdekoration ist noch zu sehen: Bierhumpen und Weizenähren schmücken den Eingang. Auf dem Schulhof vor einer traditionellen asiatischen Pagode steht eine Leinwand mit einer Fachwerkszenerie. Hier begrüßt uns auch Tuan-Nam, Phans Ehemann und der Präsident der BLA.

Gemeinsam führen sie uns durch die Eingangshalle, wo eine weitere große Leinwand uns namentlich willkommen heißt. Einige Schüler kommen in die Halle, um uns einen "guten Tag" zu wünschen. Im Konferenzraum stehen Unmengen Kuchen und Getränke bereit. Vietnamesen überschütten ihre Gäste geradezu mit Herzlichkeit.

Ein Mann und eine Frau lachen in die Kamera
Trang Phan und ihr Ehemann Tuan-Nam Nguyen leiten die BLA Hanoi. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Die Hochzeit von Kerstin und Holger

Phan lädt uns ein, einem Unterricht beizuwohnen. Als wir den Klassenraum betreten, tuscheln und giggeln die Schüler aufgeregt. Als es aber im Stoff weitergeht, werden sie schnell still und konzentriert. Die heutige Lektion dreht sich um das Beschreiben von Bildern. Im Lehrbuch sind Fotos abgedruckt: Ein Mann auf einem Motorrad oder eine Hochzeitsgesellschaft, die an einer Tafel sitzt. Die Lehrerin spielt ein begleitendes Audio ab, das die Schüler aufmerksam hören sollen: "Das ist die Hochzeit von Kerstin und Holger", beschreibt eine Frauenstimme das Foto. "Kerstin war in ihrem weißen Braukleid eine sehr schöne Braut." Die Schüler machen sich Notizen.

Eine Schülerin schreibt auf einem Block
Eifrig machen sich die Schülerinnen und Schüler Notizen. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Das Pensum an der BLA ist hoch. Drei bis sechs Stunden dauert der Unterricht täglich. Wer nicht hinterherkommt, muss zur Nachhilfe. Es gibt einen Anbau mit Zimmern, in denen die Schüler übernachten können, wie in einem Internat. Nach acht bis zehn Monaten Intensivkurs erreichen die Schüler das Sprachniveau B1. An deutschen Universitäten braucht es dafür nicht selten vier Semester. Auch das ist Ausdruck der vietnamesischen Kultur, in der es eine Philosophie des lebenslangen Lernens gibt. Bildung und das fortwährende erwerben neuer Fähigkeiten hat einen hohen Stellenwert.

 Schülerinnen und Schüler in einem Klassenraum
Die Schülerinnen und Schüler pauken täglich drei bis sechs Stunden die deutsche Sprache. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Schon mehr als 100 Azubis vermittelt

In der Schule treffen wir drei Schülerinnen und einen Schüler, die uns erzählen wollen, was sie sich für ihre Zukunft in Deutschland wünschen. Ich gebe das Mikrofon einer jungen Frau in die Hand. Sie kichert verlegen und stellt sich vor: "Hallo ich bin Linh. Ich bin 20 Jahre alt. Ich lerne Deutsch, weil ich eine Ausbildung als Krankenschwester in Deutschland machen möchte." Auch Le, die etwas schüchtern wirkt, erzählt von ihrem Traum als Krankenschwester. Etwas selbstbewusster ist die 26-Jährige Tuyet Nu. Sie sagt, sie wolle zu ihrem Freund nach Deutschland ziehen. Tuan ist 19 Jahre alt und Fan von Borussia Dortmund. Er will Krankenpfleger in Zwickau werden, weil seine Schwester dort wohnt und irgendwann will er mal zum BVB ins Stadion.

Wäre Corona nicht gewesen, hätten wir schon mehr Azubis vermitteln können.

Trang Phan Leiterin BLA Hanoi

Mehr als 100 Auszubildende hat die BLA Hanoi schon nach Deutschland gebracht. "Bisher hat keiner abgebrochen" sagt Tuan-Nam und lacht. "Unsere Erfolgsquote liegt also bei 100 Prozent." Trang Phan räumt aber auch ein: "Wäre Corona nicht gewesen, hätten wir schon mehr Azubis vermitteln können."

Fünf Personen lachen in eine Kamera
Tran Thi Tuyet Nu, Nguyen Nhat Le, Trang Phan, Doan Thuy Linh und Nguyen Van Tuan. (v.l.n.r.) Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Das Geschäft mit den Azubis

Auch das leistet die Schule. Sie vermittelt die Schüler an Ausbildungsbetriebe in Deutschland, organisiert Kennenlern-Calls, kümmert sich um Visa, Flugtickets und betreut die Schüler auch während ihrer Ausbildung in Deutschland weiter. In Hanoi bietet sie außerdem Integrationskurse an und bereitet auch auf den kommenden Beruf vor. "Wir haben auch Pflege- oder Gastronomiekurse und bringen ihnen auch die Fachsprache bei", erklärt Phan. "Etwa 70 Prozent unserer Schüler wollen Krankenpfleger in Deutschland werden", ergänzt ihr Mann Tuan-Nam. Aber es seien auch Gastronomen und handwerklich interessierte junge Menschen dabei. "Wir wollen für jeden Schüler die Ausbildung finden, die zu ihm passt."

Kostenpunkt dieses Leistungspaketes: rund 6.000 Euro. In Vietnam ist das ausgesprochen viel Geld. Nicht selten sparen sich die Eltern die Ausbildung ihrer Kinder vom Munde ab oder nehmen Kredite auf. Doch der Preis der BLA ist vergleichsweise moderat. Andere Agenturen und Schulen verlangen bis zu 15.000 Euro. Der Export von Arbeitskräften hat sich in Vietnam in den vergangenen Jahren zu einem lukrativen Geschäftsmodell entwickelt.

Auch die Unternehmen Hanoi IEC und die angeschlossene German Competence Academy, über die zum Beispiel die Handwerkskammer Südthüringen seit 2016 Auszubildende rekrutiert und mit denen auch die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) kooperiert, sind Teil dieser Entwicklung. Das Geschäft, das manche daraus machen, kann man durchaus kritisch sehen.

Wer sich mit Vietnamesen in Thüringen unterhält, die diesen Weg gegangen sind, erfährt, dass es sehr gute und sehr schlechte Agenturen und Schulen gibt. Immer wieder kommt es vor, dass den Azubis falsche Vorstellungen vermittelt werden, sie sich in Deutschland nicht zurechtfinden und fernab der Heimat keine Hilfe finden. Ministerpräsident Bodo Ramelow weiß um dieses Problem und wird nicht müde zu betonen, dass der Freistaat und die Landesentwicklungsgesellschaft nicht mit windigen Headhuntern zusammenarbeite.

Deutschland hat in Vietnam einen sehr guten Ruf

Damit es auch den Schülern der BLA Hanoi nicht schlecht ergeht, arbeitet die Schule nur mit Unternehmen zusammen, denen sie voll vertraut und die sie bereits in Deutschland besucht haben. Außerdem bleibt die Schule mit ihren Absolventen auch während der Ausbildung in Deutschland in Kontakt. "Wir bekommen viel Feedback von unseren Schülern und von den Firmen in Deutschland. Das Meiste ist positiv", sagt Phan. Eine Thüringer Firma, die in Jena und Weimar aktiv ist, gehöre zu ihren Partnern.

Die Vietnamesen sind unglaublich fleißig und sehr, sehr lernbereit. Sie opfern viel Zeit, um die Sprache zu lernen und ihre Arbeit gut zu machen.

Kevin Fest BLA Hanoi

Das bestätigt uns auch Kevin Fest, der für seine Frau nach Hanoi gezogen ist. Seit drei Jahren arbeitet der 29-jährige Berliner für die BLA Hanoi. Er kümmert sich um den Austausch und Kontakt mit den deutschen Unternehmen und unterrichtet auch.

Ein Mann lächelt in die Kamera
Kevin Fest arbeitet für die BLA Hanoi und steht mit den deutschen Unternehmen in Kontakt. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Der deutsch-vietnamesischen Austausch biete beiden Nationen große Vorteile, sagt Fest. "Deutschland genießt in Vietnam einen sehr guten Ruf. Hier hat die deutsche Qualität einen hohen Stellenwert." Das sei einer der Gründe, warum immer mehr Vietnamesen ihr Glück in Deutschland versuchen wollen. Aber auch die Firmen würden profitieren, sagt Fest. "Die Vietnamesen sind unglaublich fleißig und sehr, sehr lernbereit. Sie opfern viel Zeit, um die Sprache zu lernen und ihre Arbeit gut zu machen." 

 

MDR (ask/cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 08. November 2023 | 18:00 Uhr

6 Kommentare

Karin vor 51 Wochen

Ich war sehr enttäuscht, dass im "Thüringen Journal" am 09.11.2023 über Vietnam gesagt wurde: "Ein Land, das keine Demokratie ist"! Vietnam hat in den Jahren nach dem Krieg der USA, hervorragendes geleistet und eine Reporterin sollte sich nicht anmaßen, dieses Land einzuschätzen, in welchem Sie sich mal ein paar Tage aufhält!

Nudel81 vor 51 Wochen

Fast wie zu DDR Zeiten mit Vietnamesen als Gastarbeiter und nach der Wende als Zigarettenverkäufer. Jetzt betreiben sie meist Obstläden oder Restaurants und Imbisse.

Petronella vor 51 Wochen

Lieber mdr! Mich würde interessieren, wieviele der Azubis dann auch nach der Ausbildung dauerhaft in D arbeiten und bleiben? Es sollte auch auf negative Erfahrungen in diesem Bereich hingewiesen werden, wie z.B. im Hufeland Klinikum Bad Langensalza (https://www.tagesschau.de/inland/regional/thueringen/mdr-klinik-projekt-mit-azubis-aus-vietnam-offenbar-gescheitert-100.html)

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