Glauben Queere Menschen feiern Weihnachtsandacht in Erfurt
Hauptinhalt
03. Dezember 2023, 15:48 Uhr
In der Adventszeit füllen sich die Kirchen wieder. Doch viele Predigten schließen die Lebensrealitäten queerer Menschen oft immer noch aus. In Erfurt gibt es deswegen das Angebot einer Queeren Weihnachtsandacht. Was das ist und warum es dieses Angebot oftmals noch für viele queere Menschen braucht.
Aktuelle Nachrichten des Mitteldeutschen Rundfunks finden Sie jederzeit bei mdr.de und in der MDR Aktuell App.
Es ist Freitagabend in der Erfurter Äegidienkirche. Von Draußen ist das Stimmengewirr der vielen Weihnachtsmarktbesucherinnen und -besucher zu hören, drinnen bereitet Sandy Arnold zusammen mit einigen anderen Helfern eine ganz besondere Andacht vor: Eine Queere Weihnachtsandacht. Die Altersspanne der kleinen Gruppe an Gästen reicht von circa Anfang 20 bis Anfang 60.
Arnold ist die Chefin der Erfurter Ortsgruppe von "Zwischenraum e.V.". Das ist ein deutschlandweites Netzwerk queerer Christinnen und Christen, das queeren Menschen einen Schutzraum bieten möchte, um sich angstfrei mit sich selbst, seinem Glauben und der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität auseinander zu setzen. Das Netzwerk selbst ist ökumenisch und grundsätzlich für alle Christen offen.
Queere Lebenswelt auch in Andacht sichtbar machen
Eine Weihnachtsandacht vor dem ersten Advent? Ja, sagt Sandy Arnold und fügt hinzu: "Das ist eher in Richtung Weihnachtszeit zu verstehen. Der Gedanke dabei ist eine Art queeres Weihnachtsfest vorzuziehen und gemeinsam eine weihnachtliche Andacht zu feiern."
Es geht bei der Andacht auch darum, Menschen, die sich sonst aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität nicht von ihrer Gemeinde gesehen fühlen, eine Alternative zu bieten, um auch weiter ihren Glauben ausleben zu können. Ein Grund dafür ist, dass die Lebenswelt zum Beispiel in vielen Predigten nicht vorkommt.
"Das hat auch ganz viel mit Sprache zu tun", sagt Arnold. "Ganz oft wird zum Beispiel beim Thema Partnerschaft von einem Mann und einer Frau, die gesegnet werden, gesprochen und da sehe ich mich als queere, gleichgeschlechtlich liebende aber auch als nicht-binäre Person natürlich nicht vorkommen. Und das hat natürlich auch auf den Alltag sehr viel Einfluss."
Lebensläufe queerer Gläubiger oftmals nicht mehr nachvollziehbar
Einen großen Heiligabend-Gottesdienst, wie ihn viele Christinnen und Christen kennen, sollte man sich unter der queeren Andacht jedoch nicht vorstellen. Zwar werden, ähnlich wie in vielen Messen und Andachten, auch Weihnachtslieder gesungen und es wird auch gebetet und musiziert, doch inhaltlich unterscheiden sich die Worte in der Predigt schon deutlich von dem, was man üblicherweise in vielen christlichen Gemeinden in der Adventszeit hört.
So hat sich Arnold, die mit einer Kollegin aus der Ortsgruppe auch durch die Andacht führt, für die Predigt an diesem Abend die Frage ausgesucht, welche Personen der Zeitgeschichte queer waren und auch mit welchen Hürden sie in ihrem jeweiligen christlichen Glauben konfrontiert waren. "Das ist schon länger auch ein historischer Diskurs, wer war queer und wer hat irgendwann mal etwas weggeschrieben, weil es nicht mehr in das gesellschaftliche oder politische Weltbild passte. Je länger diese Lebensläufe zurückliegen, desto schwieriger wird es aber auch genau das nachzuvollziehen", sagt Arnold.
Je länger diese Lebensläufe zurückliegen, desto schwieriger wird es aber auch genau das nachzuvollziehen
Schlechte Erfahrungen und Traumata mit Kirche
Neben den Inhalten in der Predigt unterscheidet sich auch die Dekoration in der Kirche vom Weihnachtsschmuck der meisten Gemeinden in dieser Zeit. So hängt zum Beispiel rechts neben der Kanzel die Progress-Flagge neben einem Banner mit der Aufschrift "Halleluja" in bunten Lettern. Die Flagge steht für Vielfalt, Stolz und queere Sichtbarkeit und genau damit passt sie an diesem Abend auch zum Inhalt der Andacht.
"Ich glaube wir brauchen so lange queere Andachten, wie Kirche keinen Raum hat und auch kein sicherer Raum ist an dem sich queere Menschen aufhalten können", so Sandy Arnold. "Die meisten Erfahrungen, die viele queere Personen bei uns bei Zwischenraum mit der Kirche gemacht haben, sind im besten Fall schlimm oder nicht so gut. Im schlimmsten Fall sind sie aber auch traumatisierend."
Ich glaube wir brauchen so lange Queere Andachten, wie Kirche keinen Raum hat und auch kein sicherer Raum ist an dem sich queere Menschen aufhalten können.
Diese Traumata brauchen laut Arnold nicht immer große Trigger. Manchmal reiche schon kirchliche Musik oder auch nur der Gang in ein Kirchenschiff aus, damit schlimme Erinnerungen wieder wach werden. Das sei traurig, denn aus ihrer Sicht soll die Kirche ja gerade ein Ort sein, an dem Nächstenliebe lebendig sein sollte.
Queer sein und Glauben ausleben
Inzwischen ist die Andacht beendet und die kleine Gruppe von Zuhörerinnen und Zuhörern tauscht sich danach noch bei warmen Getränken aus. Die Stimmung ist locker.
Wenn man mit Sandy Arnold redet, ist schnell zu spüren, dass es ihr und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern auch darum geht, dass queer sein und seinen Glauben ausleben sich nicht ausschließen sollte. "So lange das in vielen Gemeinden aber noch zur Realität gehört, braucht es eben auch noch queere Andachten.", so Arnold.
MDR (jw)
martin vor 45 Wochen
Sie haben völlig Recht: Auch queere Menschen MÖCHTEN als völlig normal respektiert werden. Die gesellschaftliche Realität ist leider eine andere und das spiegelt sich an vielen Stellen auch in den Kirchen.
Theologisch oder geistlich betrachtet sind alle Menschen Gottes geliebte Geschöpfe. Wenn Kirche (n) das aber in der Praxis nicht umsetzen, ist es doch angemessen sich dafür zu entschuldigen - oder Ihrer Meinung nach nicht?
Ob man aufgrund dieses Defizits austritt oder versucht die notwendigen Veränderungen zu unterstützen muss m.M.n. jede Person für sich selbst entscheiden.
MAENNLEiN-VON-DiESER-WELT vor 45 Wochen
Ich verstehe das nicht :
wollen "queere" Menschen nicht ebenso "normal" behandelt werden -
wie alle anderen Kirchenglieder auch ? Warum dann eine "Extrawurst"
im Gottesdienst, wenn doch auch der Herr "queer" ist, wie uns der Kirchentag in Nürnberg 2023 gelehrt hat ? Warum müssen sich Bischöfe öffentlich dafür entschuldigen , dass in unseren Kirchen queere Menschen im Kirchen-Dienst
nicht gleichberechtigt behandelt werden ... ????
Nein , wenn wir diese (Er-)Mahnungen tatsächlich heute
noch immer nötig haben , dann ist das nicht mehr
"meine Kirche" !! Dann ist da irgendwas falsch
verstanden worden ...
Jeder Mensch ist ein geliebtes Kind G:ttes . Jede(r) .
Ganz egal, ob hetero, homo, Mann, Frau, ...
... und wie heisst es in der neuen Jahreslosung für das heute,
am 1 . Advent, neu beginnende Kirchenjahr so treffend :
" Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. " ( 1 Kor 16,14 )
martin vor 45 Wochen
Schön, dass es ein derartiges Angebot gibt. Traurig, warum es ein derartige spezielles Angebot überhaupt gibt.