Thüringer Urwaldpfade Jüchnitztal: Urwald erleben und begreifen

26. August 2022, 16:43 Uhr

Aussicht, Erholsamkeit und vollkommene Natur. MDR THÜRINGEN hat den Urwaldpfad in im Jüchnitztal bei Ilmenau besucht. Er ist als einer von 16 Thüringer Rundwanderwegen einen Besuch wert. Wanderer können in den urigen Wald eintauchen, Bergbau-Geschichte kennenlernen - und ein Gebiet kennenlernen, das die Trockenheit bisher verschont hat.

Den Wald spielerisch erleben und zusätzlich auch noch etwas zu lernen - das ist eines der Ziele des Schullandheims Geraberg. Heimleiter Jens Hertwig zeigt mir im Laufe unserer Wanderung durch das Jüchnitztal, wie einfach und zugleich komplex es sein kann, den Urwaldpfad tatsächlich mit Körper und Geist zu erkunden.

Die Wanderung startet - mit einer Überraschung

Am Schullandheim, dem Startpunkt des Urwaldpfades angekommen, hört man ein leises und doch pochendes Tropfen. Mein Blick fällt auf einen großen Eimer, der mit Wasser gefüllt im Foyer des Heims steht. Der Hausmeister erklärt, dass es in den letzten Tagen stark im Jüchnitzgrund geregnet hat und der Regen so plötzlich kam, dass das Heim schnell reagieren musste. In Zeiten wie diesen, in denen vor allem Waldgebiete kaum einen Tropfen Regenwasser zu Gesicht bekommen, ist so ein Wolkenbruch recht ungewöhnlich. Wie ich später noch erfahre, scheint Trockenheit auf dem Urwaldpfad aber kein dramatisches Problem zu sein.

Jens Hertwig zeigt mir die große Stele, die neben dem Kardinalsroten Schnellkäfer eines der Erkennungsmerkmale der Thüringer Urwaldpfade darstellt. Gerade der Schnellkäfer fällt den meisten Besuchern direkt ins Auge.

Viele fragen mich immer: Weist der jetzt auf den Borkenkäfer hin? Ne, in dem Fall eher nicht - das ist ein anderer.

Jens Hertwig, Schullandheim Geraberg e.V. zum Käfer-Logo des Urwald-Pfades

Das Käfer-Logo der Urwaldpfade kennen die meisten als solches gar nicht. "Da merkt man auch, dass mehr Aufklärung gemacht werden muss", erklärt er. An jedem einzelnen Pfad in Thüringen findet man so eine Holzfigur, die das Logo trägt - sie sehen zwar auf jedem Pfad ähnlich aus, doch auf der Stele sitzen unterschiedliche Tiere. Auf der Figur im Jüchnitzgrund thront stolz eine große Eule.

Ein Blick nach oben in das Waldstück verrät, dass man einen langen Weg vor sich hat. Hertwig erzählt, dass der eigentliche Urwaldpfad elf Kilometer lang ist. Wir beide laufen aber eine kleinere Runde, die dafür umso naturbelassener ist - nämlich links entlang, neben dem tatsächlich vorgesehenen Weg. Dieser Weg soll jedoch nicht permanent genutzt werden. "Wenn abertausende von Wanderern diesen Weg gehen würden, dann wäre er nicht mehr so urig", gibt er zu bedenken.

Informationen für Wanderer (lange Tour)

  • Start und Ziel: Schullandheim Geraberg e.V. (Rundwanderweg)
  • Länge: etwa elf Kilometer
  • Dauer: etwa vier Stunden mit Pausen

Unterschied zwischen Pflege- und Kernzone

Die beiden Wege sind der größte Unterschied auf dem Pfad, denn man unterscheide hier zwischen Kern- und Pflegezone, sagt Hertwig.

Pflegezone heißt: Hier darf der Mensch. Und drüben in der Kernzone wird nichts passieren.

Jens Hertwig Schullandheim Geraberg e.V.

In der Pflegezone müsse sogar aufgeräumt und aufgepasst werden, erklärt er. Zum Beispiel gibt es dort kleine Moorstellen, die einzelne Ökosysteme sind und erhalten werden müssen. In der Kernzone wiederum bleibt alles so wie es ist. Falls ein Baum extrem quer liegen sollte, muss zwar überlegt werden, was man macht, aber als Urwaldpfad sieht der Weg auch explizit vor, über Bäume zu steigen oder unten drunter durchzuklettern. Der Schullandheimleiter findet diese Entwicklung sehr spannend. "Wo wird was passieren? Dort, wo der Mensch eingreift und versucht, alles schön zu machen. Oder dort, wo er nichts tun darf, was macht die Natur?", fragt er sich.

Gangsystem und Mangan-Erz: Jüchnitzer Bergbau

Mit Blick auf die Geschichte des Jüchnitzgrunds lässt sich der Unterschied der beiden Zonen gut nachvollziehen. Wenn man den Urwaldpfad entlangläuft, befinde man sich auch auf dem Braunsteinweg, sagt Hertwig. Hier wurde Mangan-Erz abgebaut, da das Jüchnitztal ein ganz besonderes Fördergebiet für Mangan-Erz gewesen ist. Aufgrund des damaligen Bergbaugebiets befindet sich in den Wäldern ein Grubengebiet. Das sei einer von vielen Gründen, weshalb der Wald nicht forstwirtschaftlich genutzt wird, erklärt er. "Man könnte mit keinem großen Gerät reinfahren. Das würde dann wahrscheinlich zwei bis drei Etagen tiefer im Berg stecken bleiben", vermutet der Schullandheimleiter.

Jens Hertwig deutet auf den Schriftzug, der ein paar Meter weiter entfernt auf einem Stein eingeritzt wurde. "Da sehen wir den 'Grüne-Tanne'-Stollen", sagt er und weist daraufhin, dass die Historie des Bergbaus sehr stark mit dem Pfad verbunden ist. Der Stollen soll ungefähr 1000 Meter in den Berg hinein gehen, erklärt er. Quer dahinter versteckt sich aber nicht einfach nur ein Gang, sondern ein richtiges Gangsystem mit Schächten und Gruben.

Hier herrscht eine Symbiose zwischen der Bergwerkgeschichte und dem werdenden Urwald.

Jens Hertwig Schullandheim Geraberg e.V.

Mir selbst wäre es nicht aufgefallen, doch als mich Jens Hertwig daraufhin weist, merke ich einen leichten Windstoß, der mir eine kleine Gänsehaut verpasst. Gerade, weil der Weg bislang sehr windstill war. "Daran merkt man, dass wir uns vor einem Stollen befinden. Faszinierend, nicht?", sagt er begeistert.

Eine Frage, die mich schon etwas länger auf unserer Tour beschäftigt, ist: Warum ist es hier nicht trocken? Mein Blick schweift nach rechts in die Pflegezone, in der die Bäume in Reih und Glied aufgestellt sind und die Moosflächen in einem satten Grün leuchten. Hertwig erzählt, dass vor Kurzem eine Schulklasse aus Sachsen-Anhalt zu Besuch im Schullandheim war. In Sachsen-Anhalt sei nichts mehr grün, bis auf Unkraut vielleicht, hätten die Schüler erzählt. Im Jüchnitztal ist der Wald dagegen relativ gesund. Das merkt man auch, denn bis auf die Blockhalden ist es grün, egal wohin man schaut.

Definition Blockhalde Blockhalden sind große Ansammlungen von Steinblöcken, die unter frostgeprägten Klimabedingungen durch Ausspülung von Feinmaterial entstanden sind. spektrum.de

Warum Trockenheit im Jüchnitztal bisher kein Problem ist

Jens Hertwig vermutet, dass zwei große Faktoren die Trockenheit im Gebiet etwas eindämmen: Einmal, weil der Wald über lange Zeit in Ruhe gelassen wurde. Zum anderen weil das Tal sehr eng ist und die Sonne nur kurz in das Teil hinein scheint. Weiter oben im Tal, insbesondere dort wo die Fichten stehen und der Borkenkäfer zuschlagen kann, sei es jedoch umso trockener, erklärt er.

Auch der Jüchnitzteich sei dieses Jahr ausgetrocknet gewesen und musste wieder aufgefüllt werden, bemerkt Hertwig. In der Zwischenzeit, in der der Teich wieder aufgestaut wurde, floss das Wasser nicht vollständig ab. Grund dafür war der undichte Überlauf: "Das gab hier also eine doppelte Trockenheit", erinnert er sich.

Inzwischen sind wir an der entscheidenden Kreuzung angekommen. Normalerweise geht der Pfad rechts lang. Wir beschließen, aber links entlangzuwandern. Denn dort ist der Weg etwas naturnaher. Und hier könne man richtig in den Urwald eintauchen, weiß Hertwig.

Informationen für Wanderer (kurze Tour)

  • Start und Ziel: Schullandheim Geraberg e.V. (Rundwanderweg)
  • Länge: vier Kilometer
  • Dauer: etwa zwei Stunden mit Pausen

Kletternd und kriechend in den Urwald - und dann über den Fluss

Sobald man in den Urwald schlüpft, wird es automatisch kühler und schattiger. Auch die Luftfeuchtigkeit scheint eine andere zu sein. Während wir den urigen Pfad passieren, muss ich über dicke Holzstämme klettern, unter einer quer liegenden Fichte durchkriechen und aufpassen, dass ich nicht auf den kleinen schwarzen Käfer vor mir trete.

Mit weiteren schweren Schritten über den steinigen Weg höre ich mit zunehmenden Metern Wasser plätschern. "Hier haben wir die erste Team-Herausforderung, nämlich den Fluss zu überqueren", sagt Hertwig. Am Wasser müssen die Schulklassen, die im Schullandheim untergebracht sind, auf Matten versuchen, über den Fluss zu gelangen.

Das stärkt insbesondere den Zusammenhalt der Gruppe. Denn egal wie ängstlich ein Kind sei, das Wasser zu überqueren: Jeder muss auf die andere Seite gelangen, erklärt Hertwig. Spannend sei zu erleben, wie eine Gruppe damit umgeht. "Es sind ganz verschiedene Charaktere, die da aktiv werden - positiv wie auch negativ", sagt er.

Eine Urwaldpfad-App ist geplant

Die Schüler sollen die Natur kennenlernen und begreifen. Auch die Digitalisierung sei in diesem Zusammenhang hilfreich, erzählt Hertwig. "Unsere Jugend ist ja sehr technikaffin", sagt er. Deshalb ist Jens Hertwig seit einiger Zeit, dabei über die Technik in die Natur zu leiten. Er arbeitet an einer App, die das Erleben der Natur mit digitalen Infos vor Ort kombinieren soll. Durch Koordinaten und der Handykamera des Smartphones soll es möglich sein an bestimmten Stellen des Waldes wissenswerte Informationen zu erhalten, erklärt der Schullandheimleiter das Ziel.

Zwischen den Baumwipfeln, in denen sich die Sonnenstrahlen schlängeln, erkennt man weiteres Bruchgestein. Hertwig erklärt, dass es sich um eine weitere Blockhalde handelt. "Das ist im Grunde alles Bruchgestein aus dem Felsen", sagt er.

Auf einmal donnern Baumstämme den Hang hinunter

Und exakt eine Viertelstunde später, nachdem mir der Urwaldpfad-Experte erzählt hat, dass sich die Bäume auf der Blockhalte seit Jahren nicht mehr bewegt haben, ertönt ein lautes Grollen. Sofort drehen wir uns um und sehen, wie sich die alten Baumstämme inklusive großen Gestein den Hang herunterdonnern. Jens Hertwig war so erstaunt darüber, dass wir uns die Sache etwas genauer ansehen mussten. "Tja, zumindest lagen die Bäume fast mein ganzes Leben lang unverändert dort - bis heute", lacht er.

Jüchnitzteich: Nur Wasserrauschen und Vogelgezwitscher

Nach dem Schreck laufen wir weiter nach oben und sind an meinem persönlichen Höhepunkt der Wanderroute angekommen - am Jüchnitzteich. Ein idyllischer Ort, umgeben von dichten Bäumen, an dem man nichts außer das Fließen von Wasser und Vogelgezwitscher hört. Eine kleine Sitzecke vor dem Teich gibt es auch. Schullandheimleiter Hertwig erzählt mir, dass er besonders oft her kam, wenn ihm der Abitur-Stress zu viel wurde.

Einfach dort vorne in die Wiese liegen und einfach mal sein.

Jens Hertwig Schullandheim Geraberg e.V.

Ein Blick nach rechts verrät, dass oberhalb des Teichs der Weg der Pflegezone verläuft. Wenn man oben entlangwandert und dem Jüchnitzteich einen Besuch abstatten will, ist aktuell keine sichere Möglichkeit vorhanden, um heil am Teich anzukommen. "Dort war mal eine Treppe, die soll aber wieder hergerichtet werden", erzählt Hertwig. Ab hier laufen wir wieder zurück zum Schullandheim, nur diesmal auf dem Weg der Pflegezone.

Weitere Startmöglichkeiten zum Wandern

Wenn man weiterläuft, kommt man zum Mönchhofs. Dort könne man sehr schön rasten, erzählt er. Von dort geht es über die Gaststätte "Hohe Warte" weiter, und über den Klimaweg kommt man dann wieder zurück. Genauso gut könne man auch an ganz anderen Stellen beginnen, rät Hertwig. Gerade Erfurter kennen den Mönchhofs als Ausflugsziel und beginnen deshalb dort den Kamm entlangzuwandern. Das sei besonders für Leute, die die Steigung nicht schaffen oder nicht laufen wollen, zu empfehlen, sagt er.

Vandalismus im Jüchnitztal

Der Schnellkäfer zeigt uns, dass wir uns auf dem richtigen Weg in Richtung Schullandheim befinden. Doch die kleinen Schilder des Urwaldpfad-Logos hängen erst wieder seit ein paar Monaten am Baum. "Leider wurden die Schilder letztens zerstört", erzählt Jens Hertwig.

Ein Wanderer habe die abgerissenen Schilder auf dem Weg liegen sehen und ins Schullandheim zurückgebracht. Das ist nicht der einzige Fall von Vandalismus auf dem Pfad. Am "Grüne-Tanne"-Stollen gab es lange Zeit mal eine Sitzgelegenheit. Diese habe den letzten Männertag nicht überlebt und liegt nun unten am Hang, sagt Hertwig kopfschüttelnd.

Ich hoffe einfach, dass wir Menschen bald mal wieder bewusster mit uns selbst umgehen.

Jens Hertwig Schullandheim Geraberg e.V.

Nach knapp vier Kilometern ist der Rundwanderweg des Urwaldpfades im Jüchnitztal geschafft und wir sind wieder am Schullandheim Geraberg angekommen. Ich war mit langen Pausen insgesamt zwei Stunden mit Jens Hertwig unterwegs. Die Wanderung ist sehr zu empfehlen - doch bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil und lassen Sie sich vom urigen Naturschutzgebiet faszinieren!

MDR (rom)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 26. August 2022 | 15:00 Uhr

1 Kommentar

Manfred65 am 27.08.2022

Danke für diese spannende Reihe. Ich hätte nicht gedacht, daß Thüringen doch so viel zu bieten hat. Da habe ich in meinen alten Jahren sogar noch etwas dazu gelernt.

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