Gabi und Achim Döbrich sind auch nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine geblieben, um weiter vor Ort zu unterstützen.
Gabi und Achim Döbrich sind auch nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine geblieben, um weiter vor Ort zu unterstützen. Bildrechte: MDR exactly

Krieg in der Ukraine Ein Jahr Krieg: Wer hilft jetzt noch in der Ukraine?

21. Februar 2023, 05:00 Uhr

Die Hilfsbereitschaft der Deutschen war am Anfang groß: Sachspenden wurden tonnenweise gesammelt, es floss viel Geld für Hilfsorganisationen. Mittlerweile hat die Hilfsbereitschaft stark abgenommen. Aber es gibt immer noch Menschen, die direkt in der Ukraine Unterstützung organisieren – wie etwa ein Ehepaar aus Sachsen, das dort seit 20 Jahren ein Sozialprojekt betreut und auch jetzt noch Bedürftigen hilft.

Der Mann schiebt die graue Metalltür beiseite. "Dobriy vecher!", ruft Achim Döbrich in den Raum: "Guten Abend". Unter einer Pendelleuchte schwebt ein feiner Nebel aus Mehl. Zwei ukrainische Frauen kneten Teig und formen daraus Brote. Seit 20 Jahren betreiben Achim Döbrich und seine Frau in Prototpopiwka ein Sozialprojekt mit Bäckerei und Landwirtschaft. Das Ehepaar aus Sachsen ist auch nach dem Schock durch den Ausbruch des Krieges in dem Dorf in der Zentralukraine geblieben – bis heute.

"Alles ist in Ordnung. Soweit es das im Krieg sein kann", sagt Valentina, die gerade Teig portioniert. Sie ist eine von 20 Beschäftigten. Ihr Sohn wurde vor einem halben Jahr eingezogen und dient als Unteroffizier an der Grenze zu Weißrussland. "Er war noch nicht auf Urlaub. Wir warten auf ein gutes Ende, auf ein Ende des Krieges."

An diesem Tag schieben Valentina und ihre Kollegen 800 Brote in den Ofen – darunter auch das sogenannte Kriegsbrot. "Das ist ein Roggenmischbrot", erklärt Achim Döbrich. "Es ist jetzt nicht so, dass es ein Kriegsbrot ist im Sinne von einer schlechten Qualität." Das Ganze werde durch Spenden aus Deutschland unterstützt. Deshalb könnten sie das Brot für weniger als die Hälfte des Normalpreises verkaufen. "Ein Großes kostet zehn Griwni, also umgerechnet 25 Cent", sagt der 61-Jährige. 

Wir warten auf ein gutes Ende, auf ein Ende des Krieges.

Valentina

Kriegsbrot für Ukrainer mit Spenden aus Deutschland

Währenddessen läuft seine Frau im Stall an den 40 Kühen vorbei. Gabi Döbrich kennt die Tiere alle beim Namen. "Henry, komm. Steh mal auf.", sagt die 61-Jährige zu einem weißen Jungtier, dass auf Stroh hinter dem braunen Gatter liegt. Darüber schwirrt ein Summen von den Lampen. Gerade funktioniert der Strom.

An diesem Abend ist er bereits zweimal ausgefallen. Dann startet die Familie das Notstromaggregat mit VEB-Plakette. Es stammt aus einer Möbelfabrik aus Sachsen, die nach der Wende stillgelegt worden war.  Angeschafft hatten die Döbrichs das Aggregat in den Neunziger Jahren, weil das marode Stromnetz in der Ukraine immer wieder zusammenbrach. Im Krieg hat sich das als Glücksfall erwiesen. Das Aggregat läuft mit Diesel. Achim Döbrich hat sogar noch weiter vorgesorgt: Läuft das Aggregat nicht, stehen große Batterien bereit, um Backofen und Wasserpumpen betreiben zu können.

In Deutschland arbeitete Gabi Döbrich in der Behindertenhilfe – jetzt unterstützt sie hier Leute – zum Beispiel mit Alkoholproblemen, um Halt durch Arbeit zu finden. Im Krieg vermisst sie vor allem ihre Familie. Die vier Töchter leben in Deutschland und Israel. "Wir haben Kinder, wir haben Enkel und die kommen im Moment zu kurz", sagt sie, während sie Futter für die Kühe schaufelt. Früher seien die Kinder gerne auf den Hof gekommen. Doch es sei verständlich, dass derzeit niemand komme. "Sie unterstützen uns. Sie sind mit uns, aber sie haben auch ein Recht, dass wir auch für Sie da sind."

Draußen ist es immer noch dunkel. Kurz vor sieben Uhr kommt Iwan auf den Hof und begrüßt Achim Döbrich mit einem Klopfen auf den Rücken. Gemeinsam tragen sie dann Körbe voller Milchflaschen in einen Transporter. Iwan bringt auch die Backwaren, Quark, Käse und Butter zu den drei Verkaufsstellen des Projekts. Er arbeitet seit rund 20 Jahren bei den Döbrichs – damals kam er aus den Karpaten, fand im Dorf seine Frau und brauchte einen Job. Als Iwan im Nachbardorf bei Dämmerung ankommt, wartet schon die erste Kundschaft. Gerade bei den Älteren, die oft wenig Rente bekommen, ist das billige Kriegsbrot der Döbrichs sehr begehrt.

Der erste Tag des Krieges in der Ukraine

Auf der Fahrt berichtet Iwan, wie er den ersten Tag des Krieges erlebt hat: "Es war ein Alptraum. Ich bin früh um sechs aufgestanden, um zur Arbeit zu gehen und drei russische Jagdflugzeuge tauchten auf." Der große kräftige Mann gesteht, dass er geschockt war. Dann sei er zu Achim Döbrich gegangen, um zu überlegen: Was nun? "Achim und ich schlagen vor, dass wir arbeiten, dass wir helfen. Dass es weitergeht."

Iwan ist 51 Jahre alt, hat eine militärische Spezialausbildung. Es könnte also passieren, dass er demnächst eingezogen wird. Männer bis 60 Jahre dürfen das Land nicht verlassen. Durch das Fenster des Transporters sind Grabsteine zu sehen. "Auch drei Soldaten, dort auf dem Friedhof. Junge Männer", sagt Iwan. Die Gräber sind frisch. Dass dort Gefallene beerdigt sind, ist an den ukrainischen Fahnen zu erkennen, die dort im Wind flattern. 

Nach dem Schock haben alle weitergemacht

In den Neunziger Jahren brachten die Döbrichs für die Kirche Hilfsgüter in die Ukraine. Sie merkten, dass sich vor Ort mehr bewegen lässt – bis der Krieg kam. "Und wir hatten dann uns auch gleich ausgemacht. Koffer für die Flucht und also die Grenze, wo wir dann sagen: Dann, dann gehen wir", berichtet Gabi Döbrich. Die selbstgesteckte Grenze der Familie war der Dnepr. Der große Strom fließt etwa 60 Kilometer von ihrem Dorf vorbei. "Wenn die Russen über den Dnepr gehen in Krementschuk, dann wäre es allerhöchste Zeit gewesen", sagt Achim Döbrich. Bis dahin hätten sie abgemacht, bleiben sie dort.

Nach dem Schock zum Beginn des Krieges machten die Döbrichs und ihre Belegschaft einfach weiter. "Also die haben das als große Hilfe angesehen, dass wir dageblieben sind und dass wir Arbeit geben", erzählt Gabi Döbrich. Viele Angestellte wollten keinen Urlaub in diesem Jahr, sie wollten arbeiten und versuchen ein normales Leben zu führen.

Das Ehepaar stemmt sein Projekt mithilfe des christlichen Nehemia-Vereins in Deutschland. Doch auch sie spüren die Kriegsmüdigkeit in ihrer Heimat. "Es kommt auf alle Fälle weniger an, als nach Ausbruch des Krieges", so Achim Döbrich. Das sei ja auch logisch. Viele hätten nicht das Budget um etwa jeden Monat zu spenden und nun komme auch noch die Teuerung durch die Inflation hinzu. Dennoch sei an jedem Tag wenigstens eine kleine Spende angekommen. "Und das macht uns schon mal sehr viel Mut, dass es auch weitergeht."

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