Detail eines Autos der Metropolitan police in London
Zunehmende Spionage seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Die britische Polizei ermittelt deswegen gegen bulgarische Staatsbürger. Bildrechte: IMAGO/ Cover Image

Russische Spionage Bulgarisches Trio als russische Spione in England?

26. August 2023, 05:00 Uhr

Hunderte russische Diplomaten wurden seit Februar 2022 aus europäischen Ländern ausgewiesen. Der Vorwurf: Spionage für Russland. Offenbar setzt der Kreml nicht nur eigene Staatsbürger als Agenten ein. Vor Kurzem wurden drei Bulgaren in England festgenommen. Sie sollen von dort aus für Russland spioniert und Russlands Einfluss im EU-Land Bulgarien befördert haben.

Vessela Vladkova
Bildrechte: Vessela Vladkova

Die britischen Sicherheitsbehörden halten drei Bulgaren fest, weil sie für Russland spioniert haben sollen. Sie sitzen bereits seit Februar in London in Untersuchungshaft, bekannt wurde das erst Mitte August. Wie die Londoner Metropolitan Police mitteilte, waren die drei Verdächtigen wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das britische Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen und der nationalen Sicherheit festgenommen worden. Anschließend wurde bekannt, dass einer der Festgenommenen seit 2015 Verbindungen zum flüchtigen Wirecard-Manager Jan Marsalek unterhielt.

Mit gefälschten Pässen in die EU?

Straße mit englischen Reihenhäusern
Eine Pension im ostenglischen Great Yarmouth diente einem russischen Spion mit bulgarischer Staatsbürgerschaft mutmaßlich als Hauptquartier. Bildrechte: IMAGO / Cover-Images

Der Sender BBC hatte am 15. August die Anklage veröffentlicht. Danach wurden die drei Bulgaren im Zuge einer groß angelegten Ermittlung festgenommen. Die zwei Männer und eine Frau leben seit mindestens zehn Jahren in Großbritannien. Als Drahtzieher gilt der 45-jährige Orlin Russew aus Great Yarmouth, einem Ort an der englischen Ostküste. Er habe seit Längerem Geschäftsbeziehungen zu Russland unterhalten und führe ein Unternehmen, das sich auf das Abfangen von Datensignalen spezialisiert hat. Bisser Dschambasow (41) und Katrin Iwanowa (31) aus Nordwestlondon sind die mutmaßlichen Komplizen Russews. In deren Wohnung fand die Polizei gefälschte Pässe und Personalausweise aus Großbritannien, Bulgarien, Frankreich, Italien, Spanien, Kroatien, Slowenien, Griechenland und Tschechien. Allen Festgenommenen werden Tätigkeiten für russische Geheimdienste und der Besitz von Ausweisdokumenten in "unlauterer Absicht" vorgeworfen.

Bei den mutmaßlichen russischen Spionen soll die Polizei auch gefälschte Presseausweise von "National Geographic" und "Discovery Channel" gefunden haben. Britische Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass sie die Papiere in London und im Ausland benutzt haben. Auch nach Deutschland sollen sie gereist sein, um dort womöglich militärische Anlagen auszuspähen. Entsprechenden Hinweisen gehen die deutschen Behörden derzeit nach.

Der deutsche Verfassungsschutz geht seit Längerem davon aus, dass Russland seine Spionageaktivitäten in Deutschland seit dem Überfall auf die Ukraine sehr wahrscheinlich verstärkt und angepasst hat. Seit Russlands Einmarsch in die Ukraine wurden mehr als 400 russische Spione, die als Diplomaten getarnt waren, aus Europa ausgewiesen. Ende Juli 2022 verwies Bulgarien 70 Angehörige der russischen Botschaft in Sofia des Landes, da die bulgarischen Dienste die Botschaftsangestellten als Spione identifiziert hatten. 

Wirecard-Connection zum untergetauchten Manager Marsalek

Orlin Russew lebt seit 2009 in Großbritannien. Drei Jahre lang soll er für einen Finanzdienstleister im technischen Kundendienst gearbeitet haben. Anschließend gründete er eine eigene Tech-Firma. Nach Russews Festnahme berichtete das "Londoner Dossier Center", hinter dem Kremlkritiker Michail Chodorkowski steht, über einen regen E-Mailaustausch des Bulgaren mit Jan Marsalek.

Marsalek, ehemaliger Vorstand des insolventen Finanzdienstleisters Wirecard, ist untergetaucht und soll sich in Russland aufhalten, wo er offenbar unter der Aufsicht des dortigen Militärgeheimdienstes GRU steht. Bereits 2015 soll Russew dem früheren Wirecard-Manager Smartphones und einen Zugang zum sogenannten Telekommunikationsprotokoll SS7 beschafft haben. Dieses Protokoll erlaubt Mobilfunkanbietern, untereinander zu kommunizieren. Sicherheitsexperten wiesen jedoch nach, dass Nutzer Gespräche Dritter abhören können, wenn sie Zugang zum Protokoll haben. Auch Ortungen seien demnach möglich.

Aber es gibt noch einen weiteren Verdacht gegen Russew. So untersucht die bulgarische Staatsanwaltschaft in einem parallel laufenden Ermittlungsverfahren, ob der mutmaßliche russische Spion Russew hinter einer möglichen Ausspähung des bulgarischen Investigativjournalisten Christo Grozev steht. Grozev arbeitet für das investigative Recherchenetzwerk Bellingcat und wurde Ende vergangenen Jahres von Moskau zur Fahndung ausgeschrieben. Der Journalist geht davon aus, dass sein Leben in Gefahr ist, wie er bulgarischen Medien gegenüber mehrmals betont hat.  

Wahlmanipulation für pro-russische Partei?

Die beiden anderen Personen des mutmaßlichen Spionage-Trios, Bisser Dschambasow (41) und Katrin Iwanowa (31), sind nach Angaben britischer und bulgarischer Medien ein Paar. Er soll Krankenwagenfahrer und sie Laborassistentin sein. Beide leben seit über zehn Jahren in Großbritannien. Aus Facebook-Einträgen ist zu entnehmen, dass beide wohl einen gemeinnützigen Verein gegründet haben, um bulgarische Staatsbürger bei der Integration auf der Insel zu unterstützen.

Zudem sollen sie für Wahlkommissionen in London gearbeitet haben, die für im Ausland lebende Bulgaren die Beteiligung an bulgarischen Parlamentswahlen organisieren. Dem bulgarischen Botschafter in London Marin Rajkow zufolge sind Dschambasow und Iwanowa aber nicht von der Zentralen Wahlkommission in Sofia, sondern von der Zentrale einer der angetretenen Parteien nominiert worden. Nun ermittelt die bulgarische Staatsanwaltschaft, ob es bei den fünf Urnengängen binnen zwei Jahren "Ungereimtheiten" in den Londoner Wahllokalen gegeben hat. Vermutet wird, dass Dschambasow und Iwanowa die Wahlergebnisse zugunsten der prorussischen Parlamentspartei "Wasraschdane" (dt.: Wiedergeburt) gefälscht haben könnten.

Grund zu dieser Annahme geben die Wahlergebnisse. Die moskaunahe Partei wäre, gemessen an den Stimmen aus Großbritannien, bei den letzten Wahlen im April zweitstärkste Kraft geworden. Das wiederum ist für viele politische Beobachter in Bulgarien überraschend, da im Westen lebende Bulgaren in der Regel zwar regierungskritisch sind, allerdings wohl kaum für eine antidemokratische und offen prorussische Partei abstimmen würden. Parteichef Konstantin Kostadinow beschimpft die neue prowestliche Regierung in Sofia als ein "Projekt der amerikanischen Botschaft", die Bulgarien "in einen Krieg mit Russland werfen" würde. 

Für Spionage drohen hohe Haftstrafen

Der Kreml versucht immer wieder, Einfluss auf das zu Ostblockzeiten moskautreue Bulgarien zu nehmen: Durch Spionage, Nervengiftanschläge auf Waffenhändler, die die Ukraine beliefern, oder die Strafverfolgung des Bellingcat-Journalisten Grozev, der als Mitautor des Dokumentarfilms "Nawalny" dieses Jahr den Oscar bekommen hat. 

Die Ermittlungen im Fall des mutmaßlichen Spionage-Trios dauern nach Angaben der britischen Polizei an. Im September sollen die Verdächtigen wieder vor der Justiz und dann im Januar nächsten Jahres zur Hauptverhandlung vor dem Londoner Kriminalgericht Old Bailey erscheinen. Ihnen drohen Freiheitsstrafen zwischen 14 Jahren und lebenslänglich.

Ein Fahndungsaufruf nach Jan Marsalek, Ex-Vertriebsvorstands des Dax-Konzerns Wirecard, ist im Stadtteil Horn auf einer Leuchtreklame angezeigt 4 min
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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 12. August 2023 | 07:20 Uhr

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