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Partnersuche scheitert in Polen immer häufiger an den politischen Anschauungen des Gegenübers. Bildrechte: imago images/NurPhoto

Beziehungskiller Politik Dating-Frust in Polen: Warum junge Frauen kaum noch den Mann fürs Leben finden

19. Juli 2023, 17:50 Uhr

Sterben die Polen bald aus? Zugegeben: Die Frage ist ein wenig zugespitzt. Doch jungen Frauen fällt es in Polen zunehmend schwer, den Mann fürs Leben zu finden. Schuld daran sind Bildung und politische Einstellungen. Während immer mehr Frauen gut gebildet, weltoffen und liberal sind, pflegen junge Männer immer häufiger ein ausgesprochen konservatives Weltbild. Das wirkt sich nicht nur auf die Partnersuche aus, sondern könnte einen enormen Einfluss auf die Parlamentswahl im Herbst haben!

MDR AKTUELL Mitarbeiter Cezary Mariusz Bazydlo
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

An diesen Abend erinnert sich Julia noch heute mit Ärger: Die 33-jährige Personalmanagerin sitzt mit ihrem neuen Freund in einem Warschauer Restaurant. Ein Dinner wie aus dem Bilderbuch, mit Kerzenschein und Harmonie – bis der Kellner die Rechnung bringt. Als Julia zum Portemonnaie greift, zischt ihr vermeintlicher Traummann durch die Zähne: "Mach mich nicht lächerlich vor den Leuten hier!" Er fühlt sich in seiner Männlichkeit gekränkt, weil sie als Frau bezahlen will, berichtet Julia der polnischen "Newsweek".

Sein Vorschlag für die Zukunft: Beide überweisen Geld auf ein gemeinsames "Ausgehkonto", damit beim Bezahlen er die Kreditkarte zücken und den "großzügigen" Herrn der Schöpfung spielen kann – so wie es den Dating-Vorstellungen der Eltern- und Großelterngeneration entspricht. Für Julia ist diese Begebenheit symptomatisch dafür, wie sehr junge Polen und junge Polinnen auseinanderdriften. Die Männer – rechts, konservativ, in alten Rollenbildern verhaftet, nationalistisch und EU-kritisch, lediglich in Wirtschaftsfragen (neo)liberal. Viele Frauen sind das absolute Gegenteil: links, progressiv, emanzipiert, sozial eingestellt, prowestlich und weltoffen.

In Polen ticken die Geschlechter politisch anders

Ein Mann und eine Frau gehen an einem love-Schriftzug aus Blüten vorbei
Valentinstag im polnischen Krakau. Immer häufiger steht die Politik der Romantik im Wege. Bildrechte: imago images/NurPhoto

Diese Diagnose ging in Polen durch alle Medien und wurde in zahllosen Experteninterviews analysiert. Dass es sich nicht nur um eine "gefühlte Wahrheit" handelt, belegt eine Umfrage zu den politischen Einstellungen der 18- bis 24-Jährigen in Polen, die das Meinungsforschungsinstitut CBOS seit Jahren regelmäßig durchführt. Bei der letzten Auflage 2021 kam heraus, dass 40 Prozent der jungen Frauen politisch links standen und nur 17 Prozent rechts (der Rest verteilte sich hälftig auf die Optionen "gemäßigt" und "keine Angabe"). Bei den Männern waren die Proportionen genau umgekehrt: 36 Prozent standen politisch rechts, nur 22 Prozent links. Die Folge: Junge Männer und junge Frauen können sich immer häufiger nicht ausstehen.

Und immer mehr junge Männer finden bei einer neuen polnischen Partei ihre politische Heimat – der Konfederacja (zu Deutsch "Konföderation"), die seit Monaten im Aufwind ist. Inzwischen hat sie sich mit fast 15 Prozent Zustimmung auf Platz drei in den Umfragen vorgearbeitet. Damit könnte sie nach der anstehenden Parlamentswahl im Herbst zum Zünglein an der Waage bei der Regierungsbildung werden. In den Augen vieler Frauen ist das Programm der Konfederacja allerdings Horror pur:

Wir sind gegen Juden, Homosexuelle, Abtreibungen, Steuern und die EU. Diese Losungen sprechen unsere Wähler am meisten an.

Sławomir Mentzen, Spitzenkandidat der Konfederacja

Konfederacja – eine Männerpartei

Sławomir Mentzen
Sławomir Mentzen ist der Spitzenkandidat der von jungen Männern dominierten Partei Konfederacja. Bei der polnischen Wahl im Herbst könnte sie auf Platz drei kommen. Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Und die Wähler sind ganz überwiegend Männer: 86 Prozent der Konfederacja-Anhänger sind laut einer Umfrage männlich, zwei Drittel davon junge Männer bis Ende 30. Wie Piotr (34), Lehrer aus einer Kleinstadt in Schlesien. Er bezeichnet sich als konservativ, wolle eines Tages kirchlich heiraten und eine Familie gründen, verrät er der "Newsweek". Doch eine passende Frau zu finden ist schwierig – die letzte Kandidatin, die er auf Tinder gefunden hatte, machte sich nach dem dritten Date aus dem Staub.

Wer in der Beziehung fürs Wäschemachen, Kochen und Putzen zuständig ist, darüber könne man reden, so Piotr. Keine Zugeständnisse würde er aber in Sachen Abtreibung machen. "Ich kenne ein paar Feministinnen. Wir können uns gerne auf ein Bier treffen oder miteinander im Bett landen, aber eine Beziehung? Sehe ich nicht. Das wäre auf Dauer nicht auszuhalten."

Adam aus Krakau (32), Beamter und ebenfalls Konfederacja-Anhänger, sieht es ähnlich: "Ich wünsche mir eine Partnerin, die im Bett total verrückt ist, außerhalb aber völlig normal", sagt er der "Newsweek". Was er sich unter "normal" vorstellt, wird aus seiner Zeitgeist-Schelte deutlich: "Man kann es kaum noch ertragen, was die Linken mit diesen sexuellen Orientierungen und diesem Transgendergedöns treiben. Alles, was jeder normale Mensch vor ein paar Jahren noch krank gefunden hätte, wird heute als äußerst mutig angepriesen."

Moderne Welt überfordert junge Männer

Polen Abtreibung
Während Polens Frauen gegen das restriktive Abtreibungsrecht auf die Straße gehen, fordern junge Männer oft ein komplettes Verbot von (ohnehin seltenen) Schwangerschaftsabbrüchen. Bildrechte: imago images/ZUMA Wire

Doch warum ticken Polens Männer so anders als die Frauen? Viele Experten stellen eine ähnliche Diagnose: Sie verstehen die Welt nicht mehr. Die aktuellen Veränderungsprozesse – die Emanzipation von Frauen und sexuellen Minderheiten, eine wachsende Sensibilität für Klimafragen und die fortschreitende Säkularisierung – machen ihnen Angst, weil sie das alte Männlichkeitsideal in Frage stellen. Und so verschanzen sie sich trotzig in der konservativen Bastion und flüchten in die "heile Welt" der alten Rollenbilder, in der der Mann die Frau hofiert, ihr die Tür aufhält, beim Date die Rechnung zahlt und nach der Heirat das Geld heranschafft, während sie im Gegenzug die Kinder versorgt und den Haushalt schmeißt.

Auf junge Frauen wirken solche Erwartungshaltungen wie ein rotes Tuch: "Er geht doch ins Fitnessstudio, hat sich fürs Date schick gemacht, die Schuhe geputzt, die Haare gewaschen, mir einen Kaffee spendiert, kurzum, alle Aufgaben 'abgehakt', und nun ist die Zeit für eine Gegenleistung gekommen ", regt sich in der "Newsweek" Paulina auf, eine IT-Managerin aus Krakau.

Frauen und Minderheiten als Konkurrenz?

Der Kulturwissenschaftler Jakub Dymek geht in seiner Analyse für das Portal onet.pl noch weiter: Die jungen Männer sehen sich durch emanzipierte Frauen, sexuelle Minderheiten, Migranten und Klimaaktivisten übervorteilt. Deren Themen und Ziele, so glauben sie, bekämen so viel Vorschub in der Gesellschaft, dass es den Wettbewerb verzerre. Im Kampf um Jobs, Wohnungen und Beförderungen hätten diese Gruppen einen unverdienten Vorteil, während sie selbst sich alles hart erkämpfen müssten. In dieser Situation taucht die Konfederacja auf, die Feministinnen, Regenbogen- und Klimaaktivisten wieder in die Schranken weisen und für "Gerechtigkeit" sorgen will.

Junge Frau wendet sich von ihrem Verehrer ab.
Männer und Frauen haben sich in Polen immer häufiger nichts zu sagen. Bildrechte: Colourbox.de

Der Soziologe und Politologe Mikołaj Cześnik weist schließlich auf die Bildungsunterschiede zwischen Männern und Frauen hin. Mehr als jede zweite Frau im Alterssegment 25 bis 34 hat in Polen einen Hochschulabschluss – dagegen nur knapp jeder dritte junge Mann. Dies hat auch ökonomische Gründe, denn Männer haben in der Provinz auch ohne Studium Aussichten auf einen mäßig bezahlten Job in der Produktion oder zumindest darauf, den elterlichen Bauernhof zu erben – Frauen dagegen müssten studieren und in die Stadt gehen, wenn sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollen.

Die Folge: "Die gebildeten Single-Frauen und die Single-Männer aus der Provinz haben sich kaum etwas zu sagen. Und letztere haben unseren Studien zufolge obendrein noch Angst vor gebildeten Frauen. Sie haben Angst, nicht mitzukommen, Wissenslücken zu offenbaren oder in ein Fettnäpfchen zu treten", sagt Cześnik der Newsweek-Redaktion.

Polens Frauen mit überzogenen Erwartungen?

Doch auch die Frauen sind dem Wissenschaftler zufolge nicht ohne Schuld. Oft genug ließen sie ihre Geringschätzung gegenüber den Männern in ihren Heimatdörfern und -städtchen raushängen. Hinzu kommen laut Cześnik überzogene Erwartungen bei der Partnersuche – die studierten Frauen selbst, aber auch ihre Familien, betrachten die "langweiligen" Provinz-Männer als nicht standesgemäß. Sie hätten doch auch deshalb studiert, um in der Großstadt eine gute Partie zu machen.

Doch in Polens Städten gibt es einen Frauenüberhang. Gut verdienende, gebildete und einfühlsame "Traumprinzen", die obendrein noch politisch und weltanschaulich in Frage kommen, sind Mangelware. So entsteht ein Teufelskreis: Bauer sucht Frau, doch die Frau will keinen Bauern! Immer mehr frustrierte Männer verfallen der Konfederacja, während immer mehr frustrierte Frauen die Hoffnung aufgegeben. "Ich habe keine Ahnung, wie ich jemand Passenden finden soll, vernünftige Männer sind wirklich rar", sagt Julia aus Warschau. Paulina aus Krakau hat das Dating bereits komplett aufgegeben.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Polinnen unter Druck – Streit um Abtreibungen | 03. Juni 2023 | 18:00 Uhr

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