Kind liegt Tagträumend auf dem Bett.
Nur, weil ein Kind traurig ist, hat es nicht gleich eine Depression. Ärztin Annick Martin kennt die Zeichen, auf die Eltern achten sollten. Bildrechte: IMAGO / photothek

Was Eltern wissen sollten Wenn Kinder psychische Probleme haben

02. August 2022, 17:07 Uhr

Kinder und Jugendliche haben laut einer aktuellen Studie der Universität Leipzig unter der Corona-Krise besonders stark gelitten. Wann psychische Auffälligkeiten behandelt werden sollten und wie Eltern ihrem Kind helfen können, erklärt die Leipziger Ärztin Annick Martin im Interview. Generell würden bei Kindern und Jugendlichen besonders häufig Depressionen, Angst- und Anpassungsstörungen sowie Schlafstörungen festgestellt. Und auch Essstörungen seien keine Seltenheit mehr.

Wie erkenne ich, dass mein Kind psychische Probleme hat?

Annick Martin, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde: Anzeichen können sein, dass das Kind sich zum Beispiel vermehrt zurückzieht, sich mehr in seinem Zimmer aufhält, nicht mehr zugänglich ist, die Freunde nicht mehr trifft. Wenn man die Rückmeldung aus der Schule (oder der Kita) bekommt, dass sich Lehrer Sorgen machen oder jemand anderes aus der Familie ein Zeichen gibt, beispielsweise eine Oma, ist es wichtig, hinzuhören.

Eine junge Frau mit langem dunklen Haar
Annick Martin stammt aus Sachsen-Anhalt und arbeitet seit vielen Jahren als Ärztin in Leipzig. Bildrechte: privat

Bei Kindern, die zum Beispiel mit Essproblematiken oder Depression zu tun haben, sind Zeichen wie diese typisch: Die Kinder essen nicht mehr, nehmen ab, vernachlässigen ihr Äußeres über das Maß hinaus. Oder sie weinen viel, sie reden gar nicht mehr von sich. Kinder mit Essstörungen verstecken das beispielsweise, indem sie immer während der Familienmahlzeiten etwas zu tun haben und nicht da sind.

Es gibt Kinder, die immer wieder Bauchschmerzen haben und nicht in die Schule gehen wollen, obwohl der Kinderarzt keine organische Ursache finden konnte. Da kann eine Angststörung dahinterstecken. Oder es gibt Kinder und Jugendliche, die sich selbst verletzen und nicht mehr ins Schwimmbad gehen wollen, weil sie etwas verstecken wollen.

Mädchen mit Bauchschmerzen auf Sofa
Bauchschmerzen ohne Ursache können auf Probleme hinweisen. Bildrechte: imago images / Panthermedia

Bei kleineren Kindern kann man beobachten, dass sie zum Beispiel unruhig schlafen, dass sie ausgeprägte Wutanfälle haben oder Aggression sich gegen andere Kinder richtet – oder gegen sich selbst. Das können natürlich auch normale Entwicklungsphänomene sein. Jedes Kind hat ein anderes Temperament. Doch man merkt, wenn ein Kind sich verändert.

Das Wichtige: Wenn man als Eltern das Gefühl hat, es stimmt etwas nicht, da ist etwas anders und ich mache mir Sorgen, dann ist das eine Sorge, die auch ernst genommen werden darf.

Was kann ich dann tun?

Es ist wichtig, dem unguten Gefühl nachzugehen und mit dem Kind zu sprechen – zu sagen: "Ich mache mir Sorgen um dich". Wichtig ist auch zu versuchen, sich in das Kind hineinzuversetzen. Das nennen wir Mentalisieren. Also zu überlegen, warum es sich so fühlen könnte.

Sprechen Sie auch mit einer anderen Bezugsperson wie einem Erzieher oder einem Lehrer, ob sie die Auffälligkeiten auch beobachtet haben oder tauschen Sie sich in der Familie aus. Es ist nicht selbstverständlich, dass Eltern über das, was sie bemerkt haben, sprechen.

Wohin sollte ich mich bei Auffälligkeiten wenden?

Ich möchte alle Eltern ermutigen: Wenn Sie eine Sorge haben, gehen Sie zum Kinderarzt. Dort finden Sie am schnellsten einen Ansprechpartner. Es gibt auch Kinder, die Einnässen oder Einkoten. Da ist immer vorstellbar, dass eine organische Ursache beteiligt sein könnte. Der Kinderarzt wird Ihnen helfen das einzuordnen oder Sie zum Beispiel zu einem Kinderpsychiater weiterleiten.

Auch beim Jugendamt kann man sich melden, wenn man Schwierigkeiten mit dem Verhalten des Kindes hat. Das ist eine Stelle, die Familien unterstützt.

Wie überbrücke ich die Wochen oder gar Monate, bis die Behandlung beginnt?

Für Notfälle gibt es immer Notfallsprechstunden. Jedes Krankenhaus und auch jeder Psychologe muss ein Kontingent an Notfallsprechstunden vorhalten, für den Fall, dass ein Kind akut eigengefährdend oder fremdgefährdend ist. Es gibt Kinder oder Jugendliche, die in ihrer Not andere bedrohen oder Dinge zerstören. Oder Fälle, in denen die Eltern sagen, dass sie die Verantwortung nicht mehr übernehmen können – wenn das Kind zum Beispiel das Essen vollkommen eingestellt hat oder sagt, dass es nicht mehr leben möchte.

Bei uns in der Uniklinik Leipzig gibt es zum Beispiel eine Akutsprechstunde. Es gibt aber auch immer einen Dienstarzt, sodass man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit vorstellen kann.

Zwei junge Frauen umarmen sich
Wenn die Familie nicht mehr helfen kann, ist professionelle Hilfe wichtig. Bildrechte: imago images/Panthermedia

Meistens geht man dann zum Arzt, wenn der Druck schon sehr hoch ist und die Sorge schon sehr groß ist. Das ist insofern schwierig, als dass sich dann das Warten sehr schlimm anfühlt. Die Ressourcenlage ist leider so, dass man nicht in 14 Tagen einen Termin anbieten kann.

Was immer gut ist: Holen Sie sich Unterstützung von Großeltern, von dem anderen Elternteil, je nachdem, wie die familiäre Situation ist. Und wenn es nicht aushaltbar ist, melden Sie sich wieder in der Klinik und unterstreichen Sie die Dringlichkeit.

Eine junge Frau mit langem dunklen Haar
Bildrechte: privat

Unsere Expertin Annick Martin ist Ärztin auf der Jugendstation der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters in Leipzig. Sie ist ausgebildete Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und Ärztin in Weiterbildung für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Quelle: MDR um 4

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 02. August 2022 | 17:00 Uhr

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