Zahnärztliche Untersuchung
Eine Parodontitis bleibt oft lange unbemerkt. Umso wichtiger sind regelmäßige Besuche beim Zahnarzt. Bildrechte: imago images / Panthermedia

Mundhygiene Parodontitis: Das macht sie gefährlich

18. März 2024, 11:49 Uhr

Dauerhafte Entzündungen an Mund und Zahnfleisch sind riskant: Uber Wundherde können Bakterien in den Blutkreislauf gelangen und Krankheiten wie Arteriosklerose oder Bluthochdruck fördern. Wir haben mit Dr. Gerhard Schmalz, Oberarzt an der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der Uniklinik Leipzig, darüber gesprochen, auf welche Alarmsignale man achten sollte, welchen Zusammenhang es zwischen Parodontitis und Diabetes gibt, und wie die richtige Mundhygiene aussieht.

Wie kommt es zu einer Zahnfleischentzündung und wie zu einer Parodontitis?

Dr. Gerhard Schmalz: Zunächst einmal muss man unterscheiden zwischen einer Zahnfleischentzündung (Gingivitis) und einer Entzündung, die sich auch auf den Zahnhalteapparat ausdehnt (Parodontitis). Hierbei ist die Gingivitis reversibel. Das heißt, wenn man die Entzündungsursache beseitigt, kann man zum gesunden Ausgangszustand zurückkehren. Bei der Parodontitis kommt es hingegen zum irreversiblen, also unumkehrbaren Knochenabbau. Ursächlich für Entzündungen am Zahnfleisch ist eine Immunreaktion auf Bakterien, die sich als fester Biofilm auf der Zahn- und Wurzeloberfläche ablagern. Dies passiert dann, wenn diese Flächen nicht im Rahmen der Mundhygiene vollständig gereinigt werden.

Was genau passiert bei einer Parodontitis?

Dr. Gerhard Schmalz: Zuerst kommt es zu einer leichten, oberflächlichen Entzündungsreaktion. Das Zahnfleisch kann hier etwas gerötet und geschwollen sein und zudem bei Berührung bluten. Wird diese Entzündung nicht beseitigt, indem der Biofilm z.B. im Rahmen der Mundhygiene oder einer professionellen Zahnreinigung entfernt wird, verändert sich dieser Biofilm dahingehend, dass immer mehr potenziell krankmachende Bakterien hinzukommen, mit denen das Immunsystem nicht mehr fertig wird. In der Folge kommt es zu einer überschießenden Immunreaktion und schlussendlich zum Knochenabbau. Dies ist ein Versuch des Körpers, den Zahn mitsamt des bakteriellen Biofilms abzustoßen. Diese Entzündung verläuft nicht linear; über viele Jahre wechseln sich Phasen des Fortschreitens mit Phasen der Stabilität, in denen die Entzündung stagniert, ab.  

Gerhard Schmalz, Portraitfoto
Dr. Gerhard Schmalz ist Oberarzt an der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der Uniklinik Leipzig. Bildrechte: privat

Gibt es einen Unterschied zwischen einer Parodontitis und einer Parodontose?

Dr. Gerhard Schmalz: Nein. Da es sich bei Parodontitis in der Regel um eine langfristige, chronische Entzündung handelt, wird gemeinhin häufig der Begriff Parodontose verwendet. In der Zahnmedizin existiert jedoch nur der Begriff Parodontitis. Ganz falsch ist der gedankliche Ansatz jedoch nicht: ‚-itis‘ bezeichnet in der Medizin in der Regel eine akute Entzündung, während chronische Entzündungen, insbesondere, wenn sie mit Phasen des Fortschreitens und der Stagnation ablaufen, häufig mit der Endung ‚-ose‘ bezeichnet werden. Ein Beispiel hierfür sind Arthritis als akute Entzündung im Gelenk und Arthrose als chronisch degenerative Gelenkerkrankung. Demnach könnte man eine chronische, insbesondere stabile Parodontitis durchaus Parodontose nennen. Dies tun die Parodontologen jedoch aktuell nicht.

Merkt ein Betroffener in jedem Fall, dass er eine Parodontitis hat?

Dr. Gerhard Schmalz: Im Gegenteil. Leider merken Betroffene, wenn überhaupt, erst sehr spät, dass sie eine Parodontitis haben. Ein relativ frühes Symptom kann Zahnfleischbluten sein, muss jedoch nicht. Oftmals bemerken Patienten erst Zahnlockerungen oder akute Beschwerden wie Schmerzen. Dies sind Spätsymptome bzw. Spätfolgen der Entzündung, sodass hier in der Regel schon eine umfangreichere Therapie vonnöten ist.

Auf welche Signale sollte man achten, wann sollte ein Arzt draufgucken?

Dr. Gerhard Schmalz: Es gibt einige Alarmsignale, auf die man grundsätzlich achten sollte: Tritt wiederholt Zahnfleischbluten auf, z.B. nach dem Zähneputzen, sollte man den Zahnarzt aufsuchen. Weitere Symptome können schlechter Geschmack, empfindliches Zahnfleisch, Zahnwanderungen oder Zahnlockerungen sein. In diesen Fällen sollten Patienten in jedem Fall zum Zahnarzt gehen. Viel besser ist es noch, sich jedes Jahr beim Zahnarzt vorzustellen, damit dieser das Zahnfleisch beurteilen kann. So kann man bereits frühe Symptome erkennen und gegensteuern.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Diabetes und Zahnfleischentzündungen?

Dr. Gerhard Schmalz: Man spricht bei diesen Erkrankungen über einen bidirektionalen Zusammenhang. Das bedeutet vereinfacht gesagt: Beide Krankheiten beeinflussen sich gegenseitig. Dies hat verschiedene Ursachen. Einerseits haben beide Erkrankungen gemeinsame Risikofaktoren, zum Beispiel Rauchen, Übergewicht und eine unausgewogene, einseitige Ernährung. Weiterhin besteht bei einem Diabetiker, insbesondere, wenn der Blutzucker nicht stabil eingestellt ist, das Risiko, dass sich Zuckermoleküle an Entzündungszellen anhaften. Dies geschieht über spezielle Rezeptoren. Die Folge ist eine veränderte, überschießende Immunantwort und damit eine verstärkte Parodontitis.

Umgekehrt führt eine parodontale Entzündung – bei einer schweren Entzündung kann die entzündete Fläche immerhin so groß wie eine Handfläche sein – auch zu einer Verschlechterung der Zuckerwerte im Blut. Ein weiteres Problem ist, dass ein Diabetes die Durchblutung, insbesondere bei kleinen Blutgefäßen verschlechtert. Solche Gefäße befinden sich auch im Zahnfleisch. Insgesamt gibt es also zahlreiche Wechselbeziehungen zwischen beiden Erkrankungen. Die gute Nachricht ist jedoch, dass sich eine Parodontitistherapie positiv auf die Blutzuckereinstellung auswirken kann – und eine gute Blutzuckereinstellung kann einen positiven Effekt auf den Zahnhalteapparat haben. Darüber hinaus gibt es jedoch auch andere Auswirkungen des Diabetes auf die Mundhöhle: Diabetiker haben oftmals einen verringerten Speichelfluss, zudem kann die Zuckerkonzentration auch im Speichel erhöht sein. Dies führt auch zu einem erhöhten Kariesrisiko. Es ist also nicht so, dass Parodontitis das einzige Problem darstellt.

Sollte entsprechend jeder Diabetiker seine Zahntaschen kontrollieren lassen, um eventuelle Wechselwirkungen auszuschließen? Oder wird das bei diesen Patienten ohnehin routinemäßig gemacht?

Dr. Gerhard Schmalz: Die regelmäßige Kontrolle (mindestens jährlich) ist in jedem Fall zu empfehlen. Dies sollte auch routinemäßig bei jedem Zahnarztbesuch erfolgen – nicht nur, aber vor allem, wenn Patienten einen Diabetes haben. Leider ist es bisher so, dass Diabetiker z.B. im Rahmen des sogenannten Disease-Management-Programms regelmäßig zu Fachärzten überwiesen werden. So müssen Diabetiker stets zur Kontrolle zum Augenarzt oder Nierenspezialisten. Der Zahnarztbesuch ist in solchen Programmen bisher noch kein Baustein, sollte es aber zukünftig werden.

Durch eine Parodontitis können Bakterien in die Blutbahn gelangen. Welche Erkrankungen können dadurch auftreten?

Dr. Gerhard Schmalz: Es gibt verschiedene Erkrankungen, bei denen Zusammenhänge zur Parodontitis gezeigt oder zumindest diskutiert wurden. Man muss jedoch etwas vorsichtig sein, denn eine ursächliche Beziehung ist schwierig zu beweisen. Das bedeutet, es ist auch möglich, dass gemeinsame Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Ernährung etc. sowohl die eine als auch die andere Erkrankung bedingen. Dennoch sind Zusammenhänge zwischen Parodontitis und Herz- und Gefäßerkrankungen, rheumatischen Erkrankungen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Depressionen und auch einigen Tumorerkrankungen in Mundhöhle und Verdauungstrakt beschrieben worden.

Und anders herum: Bei welchen Erkrankungen sollten Patienten auch ihren Zahnfleischstatus prüfen lassen?

Dr. Gerhard Schmalz: Das lässt sich relativ einfach beantworten: bei allen. Es ist wichtig – und das passiert leider viel zu selten –, dass Patienten ihre Zahnärzte darüber informieren, dass sie an einer Grunderkrankung leiden. Und anders herum ist es noch seltener der Fall: Haus- oder Fachärzte wissen oftmals gar nicht, mit welchen Erkrankungen an Zähnen und Zahnfleisch ihre Patienten unterwegs sind. Daher kann ich nur empfehlen: Informieren Sie Ihre Ärzte über Ihren Mundgesundheitszustand. Und gehen Sie regelmäßig zur Kontrolle zum Zahnarzt. Auch wenn man nicht unter einer Allgemeinerkrankung leidet, ist der Zahnarztbesuch wichtig und sinnvoll. Es lassen sich nämlich durchaus auch Frühzeichen von Allgemeinerkrankungen in der Mundhöhle oder am Zahnfleisch entdecken. So führen wir zum Beispiel bei bestimmten Patienten ein Diabetes-Screening durch und tragen als Zahnärzte dazu bei, dass der Diabetes schon in einer frühen Phase erkannt wird und so viel leichter behandelt werden kann.

Wenn die Parodontitis als Ursache beseitigt wird, sind dann auch die Krankheiten reversibel?

Dr. Gerhard Schmalz: Leider nicht. Wir reden häufig über chronische Krankheiten, welche zu irreversiblen, also unumkehrbaren Veränderungen führen. Aber: Die Parodontaltherapie kann das Risiko für Folgeerkrankungen senken und die Therapie der vorhandenen Erkrankung verbessern bzw. erleichtern.

Lässt sich eine Parodontitis in jedem Fall vermeiden?

Dr. Gerhard Schmalz: Grundsätzlich kann man die Entstehung einer Parodontitis durch regelmäßige, gründliche Biofilmentfernung verhindern, oder zumindest das Auftreten stark verzögern bzw. das Fortschreiten verringern. Der Mensch wurde allerdings ursprünglich nicht dazu konzipiert, mit 85 Jahren noch seine Zähne zu benutzen, daher wird dieser Kampf mit zunehmendem Alter schwieriger. Mit guter Mundhygiene und professioneller Betreuung durch Zahnarzt und Prophylaxe-Team lässt sich jedoch in den meisten Fällen ein Erkrankungsfortschreiten verhindern und ein Zahnerhalt erzielen.

Dr. Nicole Primas von der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt 1 min
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MDR SACHSEN-ANHALT So 30.07.2023 12:00Uhr 00:25 min

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Wie wird man eine Parodontitis wieder los?

Dr. Gerhard Schmalz: Hat man einmal eine Parodontitis, wird man das Problem nicht allein wieder los. Es existieren jedoch sehr gute und erfolgreiche Behandlungsstrategien. Im Wesentlichen zielen auch diese auf die Entfernung des Biofilms ab. Durch professionelle Zahnreinigungen, eine Verbesserung der persönlichen Mundhygiene und eine Zahnfleischbehandlung, bei der der Biofilm von der Wurzeloberfläche entfernt wird, kann man die Entzündung eliminieren. Damit sie nicht wieder zurückkommt, bedarf es anschließend einer weiterführenden Betreuung. Hier muss darauf geachtet werden, dass sich nicht erneut ein Biofilm etabliert, der die Erkrankung wieder aufflammen lässt. Da die Schäden, die eine Parodontitis verursacht, irreversibel, also nicht umkehrbar sind, bleibt man leider zeitlebens ein Risikopatient für ein erneutes Auftreten der Entzündung.   

Zähneputzen mit einer elektrischen Zahnbürste 4 min
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Tipps für eine gute Mundhygiene von Dr. Gerhard Schmalz

  1. Zähneputzen: Patienten, die bereits an einer Parodontitis erkrankt sind oder ein erhöhtes Risiko aufweisen, profitieren von einer elektrischen Zahnbürste. Wichtig ist hierbei, dass jeder Zahn einzeln umfahren wird, damit alle Zahnflächen gereinigt werden.
  2. Zahnzwischenraumreinigung: Die Reinigung der Zahnzwischenräume mittels passender Zahnzwischenraumbürsten ist entscheidend, um Entzündungen vorzubeugen. Damit die Bürsten die richtige Größe haben, ist eine Beratung durch eine Dentalhygienikerin, Prophylaxe-Kraft oder den Zahnarzt sinnvoll.
  3. Regelmäßige Zahnarztbesuche und professionelle Zahnreinigung: Auch wenn letztere nicht oder nur teilweise von der Krankenkasse übernommen wird – mit der Ausnahme der ersten zwei Jahre nach einer Zahnfleischbehandlung –, ist sie ein entscheidender Baustein zur Vorbeugung von Gingivitis, Parodontitis und Karies.

MDR (cbr) Erstmals erschienen am 17.03.2022.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 17. März 2022 | 21:00 Uhr

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