Blick auf das Kraftwerk Boxberg im Sonnenuntergang.
Blick auf das Kraftwerk Boxberg Bildrechte: IMAGO / Thomas Eisenhuth

Geschichte der Oberlausitz Kraftwerk Boxberg: Altlast oder Zukunftsmodell?

28. Februar 2023, 05:00 Uhr

Einst war es das größte Braunkohlekraftwerk der DDR mit mehr als 4.000 Beschäftigten. Das Kraftwerk Boxberg in der Lausitz ist seit mehr als einem halben Jahrhundert in Betrieb, wurde teilweise stillgelegt, modernisiert und neu gebaut. Obwohl das Ende der Braunkohle besiegelt ist, kommt das Stromnetz im Winter 2022/2023 kaum ohne den Energieerzeuger mit seiner schlechten Klimabilanz aus. Wie aber steht es um die Zukunft des Stromerzeugers?

Der Kohleabbau prägt das Leben der Menschen in der Oberlausitz. Wie das von Ramona Fabian: Als Rettungssanitäterin bei der Werkfeuerwehr des Kraftwerks Boxberg ist die heute 61-Jährige noch immer im Einsatz. Sie ist sieben Jahre alt, als 1968 der Grundstein für den Bau des Kraftwerks der Superlative gelegt wird.

Enorme Braunkohlevorkommen in der Oberlausitz

Dass man sich für Boxberg als Standort für das Kraftwerk entscheidet, hängt mit der Lage der gewaltigen Brennstoffvorkommen zusammen, die gebraucht werden. Die benötigte Kohle kommt zum größten Teil aus den nahegelegenen Braunkohletagebauen Nochten und Reichwalde, wo sie aus einem zwölf Meter mächtigen Flöz (nutzbare Gesteinsschicht) abgebaut wird.

Am 24. Mai 1971 geht Werk I ans Netz. Nur knapp fünf Monate später das zweite Werk. Stromerzeugung und der Bau neuer Anlagen laufen parallel. Als 1979 das dritte Werk ans Netz geht, ist das Kraftwerk mit 3.250 Megawatt Nennleistung das größte Braunkohlekraftwerk Europas. Ein Viertel des Stroms der DDR wird hier erzeugt. Und: 4.700 Beschäftigte halten den Koloss am Laufen.

"Das war eine Zeit, da es in der DDR einen industriellen Aufschwung gab. Den musste man natürlich mit Stromerzeugung absichern. Die DDR hatte nicht allzu viele Optionen: Die einheimische Braunkohle war vorhanden, sodass man fast ausschließlich auf diesen Rohstoff gesetzt hat", erklärt der heutige Kraftwerksleiter Carsten Marschner.

Abbau der Braunkohle ohne Rücksicht auf Anwohner

Die benötigte Menge an Kohle für die Befeuerung des Kraftwerks liegt zu DDR-Zeiten bei täglich bis zu 110.000 Tonnen. Doch der Preis für den Abbau der Braunkohle ist in der DDR hoch und nicht verhandelbar. Dörfer, ganze Landstriche müssen dem Bergbau weichen. Widerstand ist selten und wird erst ab Mitte der 1980er-Jahre lauter. "Braunkohle um jeden Preis" wird zur Devise und schmerzlichen Realität für viele Lausitzer.

Wer sein altes Zuhause verliert, soll in modernen Plattenbauwohnungen sein neues Glück finden. Doch warmes Wasser aus der Wand und Fernheizung entschädigen nicht alle der 80.000 Umgesiedelten.

Zum Verschwinden von Dörfern und Landstrichen kommt die CO2-Bilanz der Braunkohle als klimaschädlichster Energieträger der Stromerzeugung. Das hat sich bis heute kaum geändert. Mit einem CO2-Ausstoß von 15,5 Mio. Tonnen verursachte das Kraftwerk noch im Jahr 2021 die dritthöchsten Treibhausgasemissionen aller deutschen Energieanlagen.

Rückbau des Kraftwerks nach der Wende

Nach 1990 werden einige Kraftwerksblöcke stillgelegt. Veraltete Filtertechnik und zu geringe Effizienz entsprechen nicht den bundesdeutschen Normen. So werden die beiden Werke I und II mit insgesamt zwölf Blöcken im Zeitraum von 1993 bis 1998 zurückgebaut. Tausende Beschäftigte der einstmals hoch angesehenen Energiewirtschaft verlieren ihre Arbeit. Mit den Wenigen die bleiben, wird das Kraftwerk Boxberg modernisiert und teilweise neugebaut. So entsteht beispielsweise ab 1996 Werk IV, dass seit dem Jahr 2000 Strom ins Netz einspeist. Die Braunkohleverstromung wird effizienter, die Schadstoffemissionen verringern sich. Trotzdem bleibt Braunkohle einer der Energieträger mit den höchsten Schadstoff-Emissionen.

Der Kohleausstieg wird beschlossen

Die Auswirkungen des Braunkohleabbaus in der Region spürt auch Ramona Fabian. Jahr für Jahr rückt der Tagebau näher an ihren Wohnort, dem kleinen Dorf Mulkwitz, nur 20 km von Boxberg entfernt, heran. Dass auch ihr Dorf - wie so viele in der Lausitzer Region - dem Braunkohleabbau weichen soll, erfährt sie 2006.

Wir haben die Nachricht bekommen, dass unser Dorf umgesiedelt werden soll. Und das sollte ungefähr zehn Jahre dauern.

Ramona Fabian

Dann die erstaunliche Wendung: Auch wenn die Bagger immer näher kommen, das Dorf von Ramona Fabian werden sie nicht mehr erreichen.

2017 kam dann die Nachricht, dass Mulkwitz stehen bleibt. Es wird nur noch das Abraumgebiet I in Anspruch genommen. Ich bin zufrieden, dass wir nicht umsiedeln müssen.

Ramona Fabian

Grund für den Stopp ist der geplante Kohleausstieg. Im Januar 2020 beschließen die Bundesregierung zusammen mit den vier Kohle-Ländern, dass im Kohlekraftwerk Boxberg die ersten beiden Blöcke bis Ende 2029, die restlichen Blöcke bis 2038 abgeschaltet werden sollen. Das Kraftwerk Boxberg wird so - wie viele andere Kohle-Kraftwerke in Deutschland - zum Auslaufmodell.

Stilllegeplan der Braunkohlekraftwerke in Mitteldeutschland

Boxberg Block N, Ausstieg: 31.12.2029
Boxberg Block P, Ausstieg: 31.12.2029

Schkopau Block A, Ausstieg 31.12.2034
Schkopau Block B, Ausstieg 31.12.2034

Lippendorf Block R, Ausstieg: 31.12.2035
Lippendorf Block S, Ausstieg: 31.12.2035

Schwarze Pumpe Block A, Ausstieg: 31.12.2038
Schwarze Pumpe Block B, Ausstieg: 31.12.2038

Boxberg Block R, Ausstieg: 31.12.2038
Boxberg Block Q, Ausstieg: 31.12.2038

Keine Reduzierung der Kraftwerksleistung, um Stromversorgung sicherzustellen

Das Ende der Braunkohle markiert einen wichtigen Schritt zur Reduzierung von Treibhausgasen. Doch der Krieg in der Ukraine und ausbleibende Gaslieferungen aus Russland machen das "geächtete Schmuddelkind" unverzichtbar für die Energiegewinnung der Republik. So läuft auch das Kraftwerk Boxberg im Winter 2022/2023 unter Volllast.

Direktor Carsten Marschern
Kraftwerksleiter Carsten Marschner Bildrechte: MDR/Dunja Engelbrecht

Diesen Widerspruch spürt auch Kraftwerksleiter Carsten Marschner, der ganz unterschiedliche Anforderungen an das Kraftwerk unter einen Hut bringen muss: "Es ist ein Mix aus Generationswechsel, Transformation und die Sicherstellung der Stromerzeugung. Das sind drei Punkte, die nicht immer die gleiche Zielrichtung haben.

Den Generationswechsel brauchen wir, damit wir unsere Anlagen sicher betreiben können. Umgestaltungen sind notwendig, wir sollen als Kohlekraftwerk bis 2038 aussteigen. Also müssen wir uns darauf vorbereiten und jetzt anfangen. Aber gleichzeitig habe ich noch die Stromerzeugung sicherzustellen. Gerade in der heutigen Situation merkt man, wie wichtig das ist. Das sind aus meiner Sicht zurzeit die größten Herausforderungen, vor denen wir stehen."

Statt der Braunkohle sollen in Boxberg zukünftig erneuerbare Energien die Stromerzeugung garantieren. Solar, Biogas, Wasserstoff – an Ideen mangelt es nicht.

Wir müssen jetzt als Unternehmen dafür sorgen, dass wir den jungen Leuten, die hier herkommen sollen, die wir jetzt auch händeringend brauchen, natürlich eine Perspektive bieten. Das ist die Transformation, die wir vor uns haben.

Carsten Marschner

Verschiedene Ideen zur Umgestaltung sind notwendig, damit Boxberg ein Standort für die Stromerzeugung bleibt, ob aus erneuerbaren Energien oder aus der thermischen Sekundärstoff-Verwertung. So plant beispielsweise der Abfallentsorger Veolia auf dem Kraftwerksgelände den Bau einer Trocknungsanlage für Klärschlamm. Die Anlage soll rund 50.000 Tonnen kommunalen Klärschlamm trocknen können, der anschließend als Ersatzbrennstoff im Boxberger Kraftwerk verwertet wird.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke, wo du lebst | 28. Februar 2023 | 21:00 Uhr

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