Olaf Parusel
Olaf Parusel komponierte neben Film-Soundtracks u.a. auch die Titelmelodie des MDR Kulturmagazins "artour". Bildrechte: Alexandra Fröb

Porträt Zwischen "artour" und arte: Der Hallesche Filmkomponist Olaf Parusel

09. Februar 2022, 16:08 Uhr

Wie kann der Verlust von Heimat musikalisch ausgedrückt werden? Auf eine Weise, die tief berührt ohne zu überwältigen? Mit diesen Fragen setzte sich Filmkomponist Olaf Parusel für seine jüngste Arbeit auseinander: Es galt, die Tonspur für die arte-Doku "Odsun-Vertreibung" zu erschaffen. Ein Film über tiefe Verletzungen, über Heimatverlust und den langen Weg zur Versöhnung. MDR KLASSIK hat den Komponisten getroffen und mit ihm über seine Werke gesprochen.

Olaf Parusels erste Auftragskomposition für das Fernsehen: die Titelmelodie des Kulturmagazins "artour". Ein Redakteur war auf den Halleschen Musiker und sein international erfolgreiches Bandprojekt "sToa" aufmerksam geworden und hatte den Auftrag erteilt. Später komponierte Parusel für etliche Folgen der "Geschichte Mitteldeutschlands", zum Beispiel für so prunkvolle Sujets wie Konrad von Wettin, Barbarossa und Katharina die Große. Ein Herzensprojekt wurde ihm 2014 die große TV-Doku "Zug in die Freiheit" über die Botschaftsflüchtlinge von 1989, denn die friedliche Revolution sieht der heute 53-Jährige als eine prägende Erfahrung.

"Ostkompetenz" aus Herkunft und Haltung

Damals gehörte der ehemalige Sänger des Stadtsingechors in Halle und gelernte Nachrichtentechniker Parusel zur Punk-Szene. Und zu den wenigen Demonstranten, die schon Anfang Oktober 1989 in Halle auf die Straße gingen und von der Polizei "zugeführt" wurden. Eine Nacht auf dem Hof einer Transportpolizeikaserne, Hände an die Wand, Beine breit und im Rücken Bewaffnete, die auch mal das Geräusch des Durchladens einer Maschinenpistole erklingen ließen. Die eigene Angst zu überwinden und zugleich ein verrottetes System – das war eine Befreiung.

Die friedliche Revolution war für Olaf Parusel auch musikalisch ein Glücksfall – endlich Zugang zu guten Keyboards und Computern. Dann Studium der Musikwissenschaft und der Philosophie. Daneben eigene Bandprojekte, später das Hineinwachsen in die Filmkomposition. Nebenbei arbeitet Parusel als Online-Redakteur für den MDR – sein Herz aber schlägt für seine Musikprojekte und Tonsetzereien.

Von Polka und Smetana zu Ambient und Eno

Aus dem musikalischen Material einer Polka formt Olaf Parusel am Rechner schwebende Klangwolken. Granularsynthese nennt sich das Verfahren, bei dem einzelne Töne und Sequenzen extrem verlangsamt werden. "Musikalisch ist alles 'Ambient' geworden – das ist die Musik die Brian Eno damals geprägt hat. Das genaue Gegenteil einer beschwingten Volksmusik. Und trotzdem ist sie es. Und so verändert sich ja auch Erinnerung. Dass Sachen, die man damals ganz anders empfunden hat im Heute, in der neuen Betrachtung, ganz anders erscheinen", meint Parusel.

Ein stark verfremdetes Smetana-Motiv zieht sich durch den Film und gibt den perfekten Sound zu den Filmbildern aus dem ehemaligen Sudetenland. Und aus dem lieblichen Klang einer Spieluhr macht der Musiker eine irgendwie verbeult klingende Musik – wie ein Symbol für die verlorene Kindheit. "Da ist diese Spieluhr-Melodie zerbrochen, die Welt nicht mehr in Ordnung."

Es geht ja um die deutschen Vertriebenen in einem Gebiet, wo die Deutschen vorher schlimme Sachen gemacht haben. Und durch die Doppelregie eines deutschen und eines tschechischen Regisseurs sollten ja beide Blickwinkel eingenommen werden in dem Film. Und das in die Musik zu bringen, das war die Herausforderung.

Olaf Parusel über "Odsun-Vertreibung"

Und wieder ein zeitgeschichtlicher Stoff

Olaf Parusel
Im Hintergrund tätig, aber ganz vorne dabei für den Gesamteindruck von TV-Dokus: Der Filmkomponist Olaf Parusel. Bildrechte: Alexandra Fröb

Derzeit komponiert Olaf Parusel an einer arte-Doku zum bis heute politisch brisanten Thema Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg. Erste Skizzen sind fertig – sie klingen wehmütig, schwermütig, aber auch anmutig. "Ich will berühren ohne zu verführen, einen (Klang)Raum schaffen für einen emotionalen Zugang zu einem bis heute politisch aufgeladenen Thema. Wir wissen scheinbar so viel über die NS-Zeit – aber was erreicht unser Herz?" sagt er selbst. Wenn es gelinge, so Parusel, für das Leid zu sensibilisieren und das Gefühl anzusprechen, ohne dabei musikalisch gefühlig zu sein, wäre viel gewonnen.

Der neue arte-Film "Die Zwangsarbeiter" in der Regie von Matthias Schmidt und produziert vom MDR mit der Musik des Halleschen Komponisten Olaf Parusel kommt voraussichtlich ab Mitte 2022 im Fernsehen sowie in den Mediatheken von ARD und ZDF.

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 07. Februar 2022 | 09:10 Uhr

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