Peter Grimes Premiere Oper Leipzig
Brenden Gunnell (rechts) überzeugt in der Premiere an der Oper Leipzig als Peter Grimes. Bildrechte: Kirsten Nijhof

Rezension: Premiere an der Oper Leipzig Wer ist der Fischer Peter Grimes?

15. Mai 2023, 08:40 Uhr

Mit der Arbeit an der Oper "Peter Grimes" kehrte Benjamin Britten 1942 in seine Heimat England zurück. Er war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs als Pazifist in die damals nicht am Krieg beteiligte USA emigriert. In London wurde am 6. Juni 1945 "Peter Grimes" uraufgeführt und war sogleich ein Klassiker der englischsprachigen Oper. An der Oper Leipzig ist sie nun zum ersten Mal gezeigt worden.

"Peter Grimes" führt an die Ostküste Englands, in eine Dorfgemeinschaft in der Grafschaft Suffolk, um genau zu sein. Damit also in die Heimat Benjamin Brittens. Zugrunde liegt der Oper eine Verserzählung von George Crabbe aus dem Jahre 1810, die für Britten, als er in den Ort seiner Kindheit zurückkehrte, in der Berarbeitung von Montagu Slater auch autobiografisch interessant war.

Der Außenseiter sucht Anschluss

Peter Grimes Premiere Oper Leipzig
Die Dorfbewohnerinnen und -bewohner der Grafschaft Suffolk. Bildrechte: Kirsten Nijhof

Peter Grimes ist ein Außenseiter, der dennoch Anschluss an die Dorfgemeinschaft sucht. Ist er schuld am Tod seines jungen Gehilfen, mit dem er aufs Meer zum Fischen hinausgefahren ist? Im Prolog wird ihm der Prozess gemacht, wie übrigens auch Britten selbst, allerdings wegen Kriegsverweigerung. Grimes wird zwar freigesprochen, aber die Wahrheit kommt nie ans Licht. Im Dorf wird ihm nicht getraut. Gerüchte gegen ihn verstärken sich immer mehr, was die aufgebrachten Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner dazu bringt, bis zu seiner Fischerhütte vorzudringen, um ihn zu kontrollieren.

Vor allem, als auch noch ein zweiter bei ihm angestellter Junge im Meer stirbt. Dass man nie erfährt, was wirklich mit den Toten passiert ist, macht die Oper äußerst spannungsreich. Gegenspieler des Fischers ist jedoch vor allem das Meer, seine Weite, seine Unergründlichkeit und die plötzlichen Stürme, die hereinbrechen.

Kay Link inszeniert "Peter Grimes"

Auch wenn die einzelnen Dorffiguren vom Pfarrer bis zur drogensüchtigen Hobbydetektivin sehr genau und auch mit Humor vorgeführt werden, so werden in der Inszenierung von Kay Link vor allem die sozialen Strukturen sehr prägnant deutlich. Es gibt kaum Mobiliar auf der Bühne, aber Holzpalletten und viele Stühle.

Drei Sängerinnen stützen sich auf Holzpalletten.
Vor allem Holzpalletten kommen in Links Inszenierung zum Einsatz. Bildrechte: Kirsten Nijhof
Bühnenbild "Peter Grimes" an der Oper Leipzig
Beim Dorffest kleiden sich die Dorfbewohnerinnen und -bewohner in Fischkostüme. Bildrechte: Kirsten Nijhof

Hinter durchsichtigen Plastik-Vorhängen bewegen sich Schatten von Figuren. Dezente Videoeinspielungen vom Meer und Strand zeigen die Simultanität der Vorgänge, die auch die Struktur der Musik bestimmt. Man hört das betende Dorf bei der Messeliturgie hinter dem Vorhang und gleichzeitig das Grübeln von Peter Grimes davor. Bunt und auch musikalisch voll eingängigem Swing. Ein Dorffest, für das sich die Dörflerinnen und Dörfler das Meer als Motto gegeben, ihre Kneipe schräg ausgestattet haben und sich vor allem in Fischkostümen zeigen.

Aufschäumend und mitreißend: Christoph Gedschold dirigiert das Gewandhausorchester

"Peter Grimes" kommt musikhistorisch eine bedeutende Rolle zu: Dem englischen Musiktheater verschaffte die Oper nach einer langen Durststrecke 1945 plötzlich wieder große internationale Bedeutung. Und das erstmals nach Henry Purcell und Georg Friedrich Händel. Christoph Gedschold weiß mit dem Gewandhausorchester die sehr intellektuelle, aber gleichzeitig auch in tiefe emotionale Abgründe führende Musik voll Spannung zur Geltung zu bringen. Ein Meer, mitreißend, aufschäumend, dann wieder nur ein paar Wellen, still und lange leise plätschernd – durch kurze Einwürfe plötzlich hart kontrastiert.

Brenden Gunnell brilliert als Grimes

Bühnenbild "Peter Grimes" an der Oper Leipzig
Grimes wird beschuldigt, am Tod seines jungen Gehilfen schuld zu sein. Bildrechte: Kirsten Nijhof

Benjamin Britten hat – wie viele seiner Opern – wohl vor allem auch für seinen Lebensgefährten, den Tenor Peter Pears, komponiert. Auch Brenden Gunnell in der Rolle des Peter Grimes ist in allen Facetten dieser rätselhaften Figur beeindruckend und ist voll lyrischer Zartheit, aber auch voll Ingrimm, Ehrgeiz und gefährlicher Cholerik. Bei der Premiere wurde er bejubelt. Doch auch die zwölf Rollen der Dorfgemeinschaft sind keine Randfiguren. Besonders herausgehoben ist das Verhältnis Peter Grimes zur Lehrerin Ellen, die den verfemten Fischer unterstützt. Ellen und Peter wollen heiraten und ein neues Leben beginnen. Aber ist Peter Grimes nicht eher den jungen Burschen als ihr zugetan? Ein Dreiecksverhältnis, das in Ellens (Martina Welschenbach) berührender Arie über den Pullover des verschollenen Jungen zum Audruck kommt. In den Pullover hatte sie einen Anker gestickt.

Feindschaften, Shitstorms und ein globales Dorf

Die größte Rolle hat jedoch der Chor der Oper Leipzig (Leitung: Thomas Eitler-de Lint). Und gerade in diesen Chören ist "Peter Grimes" 2023 so aktuell. Es verblüfft nämlich, wie ausgerechnet das Medium Oper eindringlich und unter die Haut gehend darzustellen weiß, wie man sich im Dorf, das heißt, im globalen Dorf, behaupten muss. Und auch wie und auf welche Weise Feindschaften entstehen und sich Stürme und auch Shitstorms aufbauen und Personen in die Tiefe reißen. Und das ganz ohne zu moralisieren.

Weitere Vorstellungen in der Oper Leipzig finden am 20. Mai, 31. Mai, 3. Juni und am 16. Juni 2023 statt.

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 15. Mai 2023 | 08:40 Uhr

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