recap Arm trotz Arbeit: Was uns aus der Krise helfen könnte

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Bildrechte: MDR/Denis Ludwig/Franz-Paul Senftleben

Jeder Fünfte in Deutschland ist arm oder von Armut bedroht. Und es werden immer mehr. Auch Teile der Mittelschicht stürzen in die Existenznot, trotz Vollzeit-Jobs. Was muss passieren, um die Krise zu entschärfen?

Menschen mit Warnwesten streiken auf der Straße. Sie schwenken Fahnen, rufen und haben Trillerpfeifen.
Angestellte der Post streiken in Halle für höhere Löhne. Bildrechte: MDR/dpa

Aktuell streiken wieder tausende Beschäftigte aller möglichen Berufszweige. Diese Woche unter anderem bei der Post, der Bahn und in Kitas. Die streikenden Angestellten und Gewerkschaften fordern höhere Löhne, um steigende Kosten wegen Inflation und Energiekrise abzufedern.

Hilfen der Bundesregierung "kommen nicht an"

Höhere Löhne sind ein wichtiger Faktor, damit Menschen ihren Lebensstandard halten können. Gerade kurzfristig sollte aber auch der Staat helfen, meint Ökonom Maurice Höfgen, der den YouTube-Kanal "Geld für die Welt" betreibt, auf Anfrage der recap-Redaktion. Die Bundesregierung habe zwar einige Pakete auf den Weg gebracht, das sei aber zu wenig: "Die Hilfen kommen nicht da an, wo sie gebraucht werden."

Höfgen hat einen konkreten Vorschlag, wie die Politik direkt im Supermarkt helfen könnte, wo die Lebensmittelpreise innerhalb eines Jahres um durchschnittlich 20 Prozent gestiegen sind: "Das EU-Recht erlaubt zum Beispiel, dass wir die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel streichen. Also dass Brot, Butter, Obst und Gemüse nicht mehr mit sieben Prozent besteuert werden, sondern mit null. Das würde sofort die Preise senken."

Weniger Steuern auf Arbeit, mehr auf Vermögen

Generell können Steuern ein großer Hebel sein, um Ungleichheit zu bekämpfen. Nirgendwo auf der Welt wird Arbeit so hoch besteuert wie in Deutschland, belegt eine Studie der OECD. Julia Jirmann vom "Netzwerk Steuergerechtigkeit" setzt sich für eine sozial gerechtere Verteilung der Abgaben ein. "Die Politik muss dafür sorgen, dass mittlere und niedrige Einkommen bei den Steuern und Abgaben entlastet werden, damit diese Menschen Vermögen aufbauen können", sagt Jirmann.

Gleichzeitig müssten dann Steuern steigen, die sich nicht aufs Einkommen, sondern auf Besitz, zum Beispiel Immobilien, beziehen: "Die Vermögenssteuer muss wieder eingesetzt werden. Und die massiven Ausnahmen für große Vermögen bei der Erbschaftssteuer müssen gestrichen werden."

Ungleichheit bekämpfen

Eine Vermögenssteuer könnte dazu beitragen, die Ungleichheit in Deutschland, die Schere zwischen Arm und Reich zu verkleinern. Das wünschen sich einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zufolge 77 Prozent der Deutschen.

Auch einige Superreiche setzen sich mit der Initiative "Tax Me Now" dafür ein und fordern: Besteuert uns endlich. Millionen-Erbe Antonis Schwarz argumentiert im Interview mit "mehr/wert" vom BR: "Je mehr Vermögen man besitzt, desto mehr sollte man eigentlich prozentual Steuern zahlen. Aber in Deutschland und auch anderswo ist es eben umgekehrt. Also je mehr Vermögen man besitzt desto weniger Steuern zahlt man. Und das ist einfach grundlegend falsch."

Mehr bei recap

Warum so viele Menschen in Deutschland nicht mehr von ihrer Arbeit leben können, ob die Mittelschicht abstürzt, wer überhaupt zur Mittelschicht dazugehört und was eigentlich aus dem Wohlstandsversprechen geworden ist, darüber reden wir in der aktuellen recap-Folge.

Dieses Thema im Programm: recap bei Youtube | 10. Februar 2023 | 17:00 Uhr

4 Kommentare

NochJemand vor 16 Wochen

Das ganze Steuersystem ist undurchsichtig und ungerecht. Wer arbeitet, muss einen beträchtlichen Teil seines Lohns wieder abgeben; wer nach einem langen Arbeitsleben Rente kriegt, ist nie sicher, wieviel er davon behalten darf, weil auch mickrige Renten besteuert werden.
Dazu ist es für Provatpersonen schier unmöglich, all die Regeln, Gesetze, Sonderregeln, Ausnahmen und Ausnahmen von den Ausnahmen zu durchblicken, aus denen die Steuergesetzgebung besteht. Sogar Experten verzweifeln daran.
Warum kann es nicht so einfach sein wie in den Nachbarländern Schweiz und Österreich. Da haben die Leute weit mehr netto vom brutto und trotzdem sind die Sozialsysteme besser, die Renten höher und der Renteneintritt früher. Es geht also im Prinzip - nur eben hier nicht.

Zeitgeist vor 16 Wochen

Die Leute streiken um mehr Geld. Dann steigen die Preise wieder usw.
Das der gut bezahlte Abgeordnete mehr Kohle bekommt ist ein Hohn.
Wer gibt mir als Freiberufler was? Erst raubt mir der Sachsenstaat durch Maßnahmen 2 Jahre Corona meine meine letzten Reserven, wegen Null- Einkommen. Und nun zieht er mir das letzte Hemd durch die Inflation aus.
Wenn ich im Supermarkt gehe, da sehe ich bei meinen alltäglichen Produkten Steigerungen von 20 %, 50 % und auch schon 100 %,
Wo soll ich die Kohle (€ ) hernehmen, wenn meine Kundschaft mir eine 1 Tage Arbeitswoche verpasst ?

THOMAS H vor 16 Wochen

"Die streikenden Angestellten und Gewerkschaften fordern höhere Löhne, um steigende Kosten wegen Inflation und Energiekrise abzufedern."
Dazu zwei Überschriften aus der Sächsischen Ztg. vom 08.02.2023.
"Wegen Inflation - Reallöhne stark gesunken" und "Sachsen - Höhere Zulagen für Abgeordnete"
Der Erste berichtet: "Die vergleichsweise hohe Inflation von 7,9 % hat die Steigerung der Nominallöhne von 3,4 % vollständig zunichte gemacht und zusätzlich die Kaufkraft der Arbeitnehmer ins Negative gedrückt."
Im Zweiten erfährt man: "Die monatlichen Aufwandsentschädigungen, die Sachsens Landtagsabgeordnete zusätzlich zu ihrer Grunddiät von zurzeit 6237,04 Euro erhalten, werden dieses Jahr so stark angehoben wie noch nie. Ab 01. April steigen die pauschalen Zulagen um 7,7 Prozent. Die deutliche Erhöhung ist vor allem den gestiegenen Lebenshaltungskosten im Freistaat geschuldet."

Zusatz von mir: Die Zulage ist steuerfrei und nicht rechenschaftspflichtig.

Das muss man erstmal wirken lassen.

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