Bundesverfassungsgericht Kleinerer Bundestag, große Diskussion: Die Wahlrechtsreform auf dem Prüfstand
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23. April 2024, 20:01 Uhr
CSU und Linke befürchten erhebliche Nachteile durch die jüngste Reform des Wahlrechtes. Deshalb haben sie sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt. Das soll nun entscheiden, ob die geplante Verkleinerung des Bundestages verfassungskonform ist.
- Schwerpunkt der Verhandlung soll Grundmandatsklausel sein.
- Union befürchtet fehlende Repräsentation von Wahlkreisen.
- Verfassungsgericht will Chancengleichheit der Parteien prüfen.
Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich zwei Tage lang mit dem neuen Wahlrecht. Dabei ist der Wegfall der sogenannten Grundmandatsklausel ein Schwerpunkt. Es geht um die Frage, inwieweit eine Partei über Direktmandate in den Bundestag einziehen kann, auch wenn sie weniger als die erforderlichen fünf Prozent der Stimmen erzielt hat.
Zum Auftakt der Verhandlung am Dienstag gab es scharfe Kritik von den Klägern gegen die Pläne der Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP. Mit der Reform der Ampel soll die Zahl der Sitze im Bundestag auf 630 gedeckelt werden. Dafür sollen Überhang- und Ausgleichsmandate wegfallen, die den Bundestag bisher immer weiter anwachsen ließen. Nach der jüngsten Bundestagswahl zählte das Parlament 736 Abgeordnete.
Union kritisiert Reform scharf
Eine Reform war notwendig, weil das Bundesverfassungsgericht bereits 2012 das Ausufern der Überhangmandate für verfassungswidrig erklärt hatte. Künftig soll für die Zahl der Sitze einer Partei im Parlament allein ihr Zweitstimmenergebnis entscheidend sein – auch dann, wenn sie mehr Direktmandate geholt hat. Dann gehen die Wahlkreisgewinner mit dem schlechtesten Erststimmenergebnis leer aus. Das träfe vor allem die Unionsparteien.
Das führt zu Frust bei den Wählern.
Wäre das neue Wahlrecht schon bei der letzten Bundestagswahl 2021 in Kraft gewesen, hätten es von 46 gewonnen Wahlkreisen in Bayern sieben der erfolgreichen Wahlkreisbewerber nicht in den Bundestag geschafft", sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Das führe zu Frust auch bei den Wählern.
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Friedrich Merz sagte, das Gesetz mit seinen erheblichen Änderungen sei überstürzt verabschiedet worden, ohne dass sich die Opposition hätte beraten können. Quasi auf den letzten Drücker habe die Ampel die sogenannte Grundmandatsklausel gestrichen. Das könnte die CSU treffen, wenn sie ein besonders schlechtes Ergebnis holen sollte.
Linkspartei durch Reform gefährdet
Vor allem aber gefährdet das neue Wahlrecht die Linkspartei. Denn bisher zogen Parteien auch dann mit der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag ein, obwohl sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewannen – wie die Linke bei der jüngsten Wahl.
Neben der bayerischen Staatsregierung sowie der CSU, 195 Mitgliedern der Unionsfraktion im Bundestag, der Linkspartei und ihrer früheren Fraktion hatten sich auch Linken-Abgeordnete und mehr als 4.000 Privatpersonen, gebündelt vom Verein Mehr Demokratie, an das Gericht gewandt. Die Fünf-Prozent-Hürde sei nicht in Stein gemeißelt, argumentierte dessen Vorstandssprecher Ralf-Uwe Beck in Karlsruhe. Sie müsse neu justiert werden.
Regierung verteidigt "faires Wahlsystem"
Vertreter der Regierungsfraktionen verteidigten am Dienstag die Reform. "Das Wahlsystem ist fair", sagte etwa der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann vor der Verhandlung. Es gebe "keinerlei Verzerrung mehr".
Die Menschen in Deutschland hätten "kein Verständnis dafür, wenn der Bundestag immer größer wird", sagte der FDP-Politiker Konstantin Kuhle. Er sehe dem Verfahren in Karlsruhe "mit Gelassenheit und auch mit einer Portion Optimismus" entgegen.
Entscheidung wohl erst in ein paar Monaten
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes hatte am Dienstag viele Fragen. "In der Verhandlung wird vor allem zu klären sein, wie weit der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers reicht und ob die Fünf-Prozent-Klausel ohne das Korrektiv der Grundmandatsklausel mit der Chancengleichheit der Parteien vereinbar sind", erklärte die Vorsitzende des Zweiten Senats, Doris König. Außerdem sei zu klären, ob diese Klausel möglicherweise strenger geprüft werden müsse. Sei die Sperrklausel zu hoch, weil zu viele Wählerstimmen nicht im Bundestag repräsentiert seien?
Am Mittwoch soll weiterverhandelt werden. Ein Urteil aber dürfte erst in einigen Monaten fallen – möglichst deutlich vor der nächsten anstehenden Bundestagswahl im Herbst kommenden Jahres. Denn falls das oberste Gericht Änderungen an der Reform einfordert, müssten diese noch eingearbeitet werden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 23. April 2024 | 15:36 Uhr