Deutschland Was kann Feministische Außenpolitik leisten?

15. April 2023, 05:00 Uhr

Anfang März hat Annalena Baerbock Leitlinien für eine "Feministische Außenpolitik" vorgestellt. Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus: viele dieser Ziele sind schon seit dem Jahr 2000 festgeschrieben. Was kann die Ankündigung der Außenministerin also überhaupt bewirken?

Seit Wochen und Monaten ist es ein Thema: Die Feministische Außenpolitik von Annalena Baerbock. Die Leitlinien dafür hat die Außenministerin schließlich Anfang März gemeinsam mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) vorgestellt. "Wir rufen nicht eine Revolution aus, sondern wir tun eine Selbstverständlichkeit", sagte die Grünen-Politikerin dazu.

Im Wesentlichen sollen diese Leitlinien dazu beitragen, Frauen, Mädchen und marginalisierte Gruppen weltweit zu stärken und ihre Rechte zu fördern. Im entsprechenden Papier finden sich Begriffe wie Rechte, Repräsentanz und Ressourcen. Ein Ziel ist demnach auch, bis zum Ende der Legislaturperiode Genderbudgeting auf die gesamten Projektmittel des Auswärtigen Amtes anzuwenden. Doch was soll das alles konkret bedeuten und warum muss Außenpolitik feministisch sein?

"Herkömmliche Außenpolitik fokussiert sich beispielsweise auf militärische Sicherheit, militärische Stärke, die man durch Aufrüstung erreicht oder auch wirtschaftliche Interessen", erklärt Kristina Lunz. Die feministische Aktivistin hat das Auswärtige Amt bei den Leitlinien beraten. "Feministische Außenpolitik sagt, wir müssen uns menschliche Sicherheit anschauen. Das bedeutet: Haben Menschen ein Dach über den Kopf? Sie leben hoffentlich nicht in Armut? Haben sie Zugang zu Gesundheitsversorgung?" Daneben fokussiere sich feministische Außenpolitik auf die Einhaltung der Menschenrechte für alle Menschen.

Sind Leitlinien mit deutschen Interessen vereinbar?

"Wenn man sich die Leitlinien anschaut, dann gibt es eigentlich kaum jemanden, der etwas dagegen haben kann, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit weltweit geht", sagt Serap Güler. Die CDU-Bundestagsabgeordnete engagiert sich derzeit aus der Opposition für Frauenrechte. Aber: "Die Frage ist halt nur, inwieweit diese Leitlinien tatsächlich realistisch sind und auch mit deutschen Interessen vereinbar sind."

Aus Sicht von Güler sei das derzeit beste Beispiel Katar. "Wir haben Interesse am Gas aus Katar. Aber was die Frauenrechte im Katar betrifft es ist auch nicht so gut bestellt", sagt die Christdemokratin. "Und in dem Moment scheint es uns nicht wirklich zu interessieren."

Wenn man sich die Leitlinien anschaut, dann gibt es eigentlich kaum jemanden, der etwas dagegen haben kann, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit weltweit geht.

Serap Güler CDU-Bundestagsabgeordnete

Wie neu ist die Grundidee der Feministischen Außenpolitik?

Werden die Frauen- und Menschenrechte in den Fokus gerückt, dann ist die Grundidee der Feministischen Außenpolitik auch nicht ganz neu: Bereits im Oktober 2000 hatten internationale Frauenorganisationen die Resolution 1325 im UN-Sicherheitsrat, dem wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen, einstimmig durchgesetzt.

Unter dem Motto "Frauen, Frieden und Sicherheit" ging es um den Schutz von Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten. An politischen Prozessen und in Institutionen sollten Frauen mehr beteiligt werden, ebenso bei Friedensabkommen und UN-Missionen.

In der Resolution sind Inhalte zu finden, die auch Außenministerin Baerbock immer wieder einfordert: Jegliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit, besonders Vergewaltigung und sonstige Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisensituationen sollen strafrechtlich verfolgt werden.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist neben der Feministischen Außenpolitik auch die Umsetzung der Resolution 1325 verankert. Dort steht: "Wir wollen mehr Frauen in internationale Führungspositionen entsenden, den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Resolution 1325 ambitioniert umsetzen und weiterentwickeln." Dazu gibt es Aktionspläne vom Auswärtigen Amt. Bereits seit 2013 wird darin alle vier Jahre ausführlich über die Fortschritte bei der Umsetzung der Resolution berichtet.

Wird bei den Leitlinien der Feministischen Außenpolitik also ein alter lila Hut mit neuer pinker Schleife präsentiert? MDR Investigativ wollte dazu mit Annalena Baerbock sprechen, ein Interview gibt sie nicht. Schriftlich heißt es: Die feministische Außenpolitik gehe über den von der UN -Resolution 1325 abgedeckten Bereich "Frauen, Frieden, Sicherheit" hinaus.

Abzug aus Afghanistan – welche Hilfe ist danach möglich?

Im Sommer 2021 zog auch Deutschland seine Truppe überhastet aus Afghanistan ab. Es bleibt ein Beispiel außenpolitischen Versagens des westlichen Bündnisses. Seitdem hat sich die brutale Unterdrückung von Frauen und Mädchen durch die Taliban weiter verschärft. Die Islamisten verhängten im Dezember 2022 sogar ein völliges Arbeitsverbot für Frauen.

Die Außenministerin stand vor dem Dilemma: Leistet man trotzdem humanitäre Hilfe, oder nicht? Sie sagte: "Es ist für mich ein klares Signal an das Regime, dass wir nicht hinnehmen, dass Frauen ausgeschlossen werden und zugleich alles dafür tun, dass 26 Millionen Menschen, die auf unsere internationale Hilfe angewiesen sind, diese Hilfe weiter bekommen." Das zeige auch, das Feministische Außenpolitik mit sehr schweren Entscheidungen verbunden und mehr als nur schöne Worte sei. "Es geht um reale Probleme von realen Menschen."

Was denken Betroffene über Feministische Außenpolitik?

Sultana Sediqi ist mit ihrer Mutter vor der Verfolgung durch die Taliban aus Afghanistan geflohen. Die 19-Jährige lebt seit ihrer Kindheit in Erfurt und engagiert sich inzwischen von Deutschland aus für Frauenrechte in Afghanistan. "Es ist gerade unbeschreiblich. Die Frauen werden sowohl aus der politischen Gesellschaft als auch kulturellen Bereichen völlig ausgeschlossen und systematisch ausgegrenzt."

Das bestätigt auch eine Freundin von Sultana Sediqi, die sich zu einem Telefon-Interview mit MDR Investigativ bereit erklärt. Das kann für die Frau, die noch in Afghanistan ist, extrem gefährlich werden – deshalb will sie anonym bleiben: "Uns wurden alle Rechte genommen, Recht auf Meinung, Bildung, Arbeit. Es gibt kein Brot, kein Essen. Ich fühle mich nirgends sicher."

Aus Sicht der Frau in Afghanistan sei eine deutsche, feministische Außenpolitik gerade genau das richtige, aber es müsste viel mehr passieren. "Ich fordere die Weltgemeinschaft und die feministische Außenpolitik dazu auf, uns Frauen, die gerade von der Weltpolitik vergessen werden, nicht zu vergessen."

Die Oppositions-Politikerin Güler sagt: "Ich glaube, wir riskieren hier gerade, unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen, indem unsere Worte und unsere Taten einfach ziemlich weit auseinanderfallen."

Wie weit die feministische Außenpolitik für die Frauen in Afghanistan hilfreich ist, will Sultana Sediqi abwarten. "Es ist wirklich revolutionär, dass es jetzt eine Ministerin gibt, die sagt ich möchte eine feministische Außenpolitik machen und dabei vor allem die Perspektiven der Frauen mit in den Fokus zu rücken." Aus ihrer Sicht wäre es fatal, das direkt zum Scheitern zu verurteilen. "Allerdings findet die feministische Außenpolitik überhaupt in der Praxis keine Anwendung."

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Dieses Thema im Programm: Das Erste | FAKT | 11. April 2023 | 21:45 Uhr

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