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Die Bundesregierung muss eine Haushaltslücke im Umfang von vielen Milliarden Euro schließen. Bildrechte: IMAGO / epd

Bundesregierung ohne Etat So könnte die Haushaltskrise gelöst werden

23. November 2023, 14:05 Uhr

Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgericht stellt die Bundesregierung vor große Probleme. Ihr fehlen viele Milliarden Euro – und das sowohl für den laufenden Haushalt 2023 als auch für den Etat 2024. Wie groß die Lücken tatsächlich sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Um die Löcher zu stopfen, bleiben vier Möglichkeiten: das vorübergehende Aussetzen der Schuldenbremse, eine grundlegende Reform der Schuldenbremse, Einsparungen oder Steuererhöhungen. Eine Übersicht.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Alexander Laboda
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Was ist das Problem beim Haushalt und wie viel Geld fehlt?

Die Karlsruher Richter bemängelten zunächst die Umbuchung von 60 Milliarden Euro an Corona-Hilfsgeldern aus dem Haushalt 2021 in den Klima- und Transformationsfonds (KTF). Das ist ein bedeutender Teil des KTF, über den zwischen 2024 und 2027 über 211 Mrd. Euro investiert werden sollten, unter anderem in Gebäudesanierungen, Erneuerbare Energien, E-Ladeinfrastruktur oder Chipfabriken. Der Fonds speist sich allerdings auch aus Einnahmen, etwa aus der nationalen CO2-Bepreisung.

Nach dem Urteil stehen außerdem weitere schuldenfinanzierte Sonderfonds infrage. Insbesondere geht es um den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) mit einem Umfang von 200 Milliarden Euro. Den WSF schuf die Bundesregierung in Reaktion auf die steigenden Energiepreise. Aus dem Topf wird etwa die Strom- und Energiepreisbremse bezahlt. Der WSF ist wie der KTF auf mehrere Jahre ausgelegt. Auch hier werden Kredite, die nicht im Einklang mit der Schuldenbremse sind, in die Zukunft verschoben. Aus dem WSF nutzte die Regierung nach Angaben des Wirtschaftsministeriums in diesem Jahr bis Ende Oktober rund 37 Milliarden Euro an Krediten. Das ist nach Auffassung von Sachverständigen Geld, über das die Bundesregierung gar nicht hätte verfügen dürfen.

Bundeskanzler Olaf Scholz , Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner bei einer Pressekonferenz
Von Geldsorgen geplagt: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner. (v.l.) Bildrechte: IMAGO / Frank Ossenbrink

Schließlich muss auch hinter das 100-Millarden-Sondervermögen der Bundeswehr ein Fragezeichen gesetzt werden. Auch diese kreditfinanzierten, mehrjährigen Ausgaben stehen möglicherweise auf der Kippe. Allerdings dementierte das Verteidigungsministerium einen entsprechenden Bericht. Anders als KTF und WSF wurde das Sondervermögen der Bundeswehr mit der Unterstützung der Union im Grundgesetz verankert – eigens um es von der Schuldenbremse auszunehmen.

Um wie viel Geld es also insgesamt geht, hat die Regierung abschließend noch nicht öffentlich gemacht. Zählt man die 60 Milliarden Euro aus dem Klimafonds und die dieses Jahr ausgegebenen 37 Milliarden Euro aus den Stabilisierungsfonds zusammen, ergibt sich aber eine horrende Summe von mindestens 97 Milliarden Euro in diesem und den nächsten Jahren. Allein diese Summe entspricht ungefähr einem Fünftel eines jährlichen Bundeshaushalts.

Die Bundesregierung möchte an ihren geplanten Investitionen festhalten. Kanzler Olaf Scholz sprach am Mittwoch von der Weiterentwicklung des Sozialstaates, der Modernisierung der Volkswirtschaft und einer ökologischen Transformation. Wie die Ausgaben verfassungskonform abgesichert werden sollen, sagte der SPD-Politiker nicht. Scholz erklärte lediglich: "Insofern, glaube ich, ist bei allen der Ehrgeiz und der Wille da, das gut und richtig, zügig, aber nicht überhastet zu machen." Um das Problem zu lösen, hat die Regierung drei Möglichkeiten.

Lösung 1: Schuldenbremse aussetzen

Um in diesem Jahr die Kredite in Einklang mit dem Grundgesetz bringen, könnte die Bundesregierung die Schuldenbremse aussetzen. Dazu müsste sie eine Notlage erklären. Begründen könnte sie das eventuell mit den Folgen von Krieg und Energiekrise. Im Bundestag würde die Regierungsmehrheit der Ampel genügen.

Es wäre allerdings das vierte Jahr in Folge, in dem die Schuldenbremse auf diese Art ausgesetzt wird. Unklar wäre zudem, wie die Lücken 2024 geschlossen werden sollen. Außerdem pochte die FDP bislang darauf, die Schuldenbremse formal einzuhalten.

Lösung 2: Schuldenbremse reformieren

Die Schuldenbremse setzt einen sehr engen Rahmen für die Aufnahme von Krediten. Sie begrenzt die maximale Schuldenaufnahme auf jährlich 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dieser Wert könnte heraufgesetzt werden. Denkbar wäre auch, bestimmte Investitionen von der Regel auszunehmen, etwa solche für Infrastrukturprojekte oder Wirtschaftsförderung. Führende Ökonomen befürworten solche Ausnahmen, weil bestimmte staatliche Investitionen wiederum zu höheren staatlichen Einnahmen führen, etwa auch in der Bildungspolitik.

Für eine Reform der Schuldenbremse wäre eine Grundgesetzänderung nötig. Dafür braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Die Regierungskoalition wäre dafür also auf die Stimmen der Union angewiesen. CDU und CSU lehnen Änderungen an der Schuldenbremse jedoch ab. Auch die Regierungspartei FDP will an der Bremse in der jetzigen Form festhalten.

Lösung 3: Ausgaben kürzen, Einnahmen erhöhen

Wer am Ende des Monats kein Geld mehr auf dem Konto hat, kann entweder sparen oder die Einnahmen erhöhen. Was für jeden Privathaushalt gilt, trifft auch auf den Staat zu. Die Ampel könnte also zum Stopfen der Lücken Abschied von bestimmten Vorhaben nehmen oder die Steuern erhöhen. Da es um sehr hohe Summen geht, wären die Einschnitte oder Zumutungen jedoch beträchtlich.

Die Union befürwortet diesen Weg und schlägt unter anderem vor, auf die geplante Kindergrundsicherung und das Heizungsgesetz zu verzichten. Die Kindergrundsicherung nicht einzuführen, würde laut CDU jährlich 2,5 Millarden Euro einsparen. Die Förderung neuer Heizungen einzustellen würde demnach zehn Milliarden jährlich sparen. Beides würde also nur einen kleineren Teil der Lücke schließen. Auch die FDP brachte bereits die Kürzung von Sozialausgaben in die Diskussion. Mit 170 Milliarden Euro ist der Sozialbereich auch der mit weitem Abstand größte Posten im Haushalt. Grüne und SPD stellen sich jedoch klar gegen solche Kürzungen.

Darüber hinaus sind zahlreiche weitere Posten in der Diskussion. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sprach sich etwa für Rentenkürzungen aus. So könnte man etwa die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren oder die Mütterrente "zur Disposition stellen". Das Umweltbundesamt schlug vor, "klimaschädliche Subventionen" abzubauen. Ein Beispiel dafür sei die günstigere Energiesteuer für Diesel, die den Umstieg auf die Elektromobilität behindere. Genauso solle das Dienstwagenprivileg fallen, das den Verkauf großer Verbrennerautos fördere.

Die Finanzierungslücken ließen sich selbstverständlich auch durch höhere Einnahmen schließen. In Gespräch ist etwa eine stärkere Erhöhung der CO2-Abgabe, die ohnehin dem Klima- und Transformationsfonds zufließt. Weitere Steuererhöhungen werden jedoch noch von keiner Seite vorgeschlagen – und von der FDP wiederum kategorisch abgelehnt.

Die Notlösung

Sollte es nicht gelingen, bis zum Jahresbeginn einen Bundeshaushalt vorzulegen, gibt es noch einen Notfallmechanismus. Dann beginnt eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung. Vorerst sind ab diesem Zeitpunkt nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien jedoch bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen.

Das Verfahren ist in der Bundesregierung bereits eingeübt, denn es greift üblicherweise nach einer Bundestagswahl, wenn die neue Regierung in der kurzen Zeit zwischen Koalitionsbildung und Jahreswechsel keinen eigenen Haushalt aufstellen kann.

dpa/AFP/Reuters/MDR (ala)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL - das Nachrichtenradio | 23. November 2023 | 10:05 Uhr

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