Kommentar Bundesregierung blamiert sich bei Gasumlage
Hauptinhalt
19. August 2022, 20:03 Uhr
Für die Bundesregierung wird die Gasumlage mehr und mehr zum Debakel. Übereilt beschlossen, lässt sie von Anfang an viele Frage offen: Wie hoch ist sie? Wer muss zahlen? Und was ist mit Entlastung? Das verunsichert Verbraucher und Wirtschaft gleichermaßen.
Nachdem Sozialverbände Sturm laufen und erste Unternehmen wegen der Mehrkosten Kurzarbeit ankündigen, versucht der Bundeskanzler am Donnerstagmittag zu beruhigen. Doch in der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz im Kanzleramt unterläuft Olaf Scholz ein peinlicher Kommunikationsfehler. Mit der Absenkung der Mehrwertsteuer beim Gas von 19 auf 7 Prozent "entlasten wir die Gaskunden insgesamt deutlich stärker, als die Mehrbelastung, die durch die Umlagen entsteht, beträgt", sagt der SPD-Politiker.
Bürger müssen dennoch mehr bezahlen
Scholz erweckt damit den Eindruck, als würden Gaskunden nun unterm Strich weniger bezahlen. Doch wie Beispielberechnungen des Verbraucherportals Verivox zeigen, sinkt dadurch zwar die Mehrbelastung, draufzahlen werden dennoch alle müssen. Bei einem Singlehaushalt mit einem Jahresverbrauch von 5.000 Kilowattstunden sind es nun statt 129 Euro nur noch 25 Euro mehr im Jahr. Und bei einer Familie mit zwei Kindern und einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden sinkt die jährliche Mehrbelastung von 517 auf 105 Euro.
Hat der Kanzler also gelogen? Nein, Scholz meint lediglich etwas anderes, als er gesagt. Er bezieht sich bei seiner Aussage auf die Einnahmen, die der Staat durch die Mehrwertsteuer erzielt. Bei 19 Prozent würde der Fiskus durch die Gasumlage 1,4 Milliarden Euro mehr einnehmen. Durch die nun geplante Absenkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent auf den kompletten Gaspreis entstehen Mindereinnahmen von knapp 5 Milliarden Euro. Bleibt für den Staatshaushalt also ein deutliches Minus. Doch so hat es der Kanzler eben nicht gesagt.
"Gerecht-möglichster" Kompromiss und Bürokratiemonster
Die Belastung für den Staatshaushalt wirft zudem erneut eine Frage auf: Warum ein so intransparentes Konstrukt wie die Gasumlage schaffen und die Gasversorger nicht gleich mit Steuermitteln unterstützen? Dadurch würden schließlich nicht nur Gaskunden zur Kasse gebeten. Das aber ist von Anfang an abgelehnt worden, weil es eine Mehrbelastung für den Staatshaushalt bedeutet hätte. Eine Gegenfinanzierung zum Beispiel durch eine Übergewinnsteuer wäre zudem am Widerstand der FDP gescheitert. Für Wirtschaftsminister Robert Habeck ist die Gasumlage deshalb die "gerecht-möglichste Form die zusätzlich aufgelaufenen Kosten in der Bevölkerung zu verteilen".
Mit der Mehrwertsteuerabsenkung belastet die Gasumlage nun aber Staatshaushalt und Gaskunden. Zudem entwickelt sie sie sich zum Bürokratiemonster. Die Gasversorger müssen auf ihren Rechnungen nun nicht nur zusätzlich die Gasumlage ausweisen, sondern in ihren Abrechnungssystemen auch noch befristet die Mehrwertsteuersätze anpassen. Auch das verursacht zusätzliche Kosten.
Offene Fragen bleiben
Und die Gasumlage lässt noch immer wichtige Fragen offen: Müssen Kunden mit Festpreisverträgen sie auch zahlen? Was ist mit Beziehern von Fernwärme? Und wie sollen Menschen entlastet werden, die trotz Mehrwertsteuerabsenkung durch die Gasumlage in finanzielle Bedrängnis geraten? Die Bundesregierung verspricht zwar Antworten darauf, bleibt diese aber bislang schuldig.
Zweifelsohne sind die Herausforderungen für Olaf Scholz und Co. groß, seitdem die Russen Deutschland den Gashahn teilweise zugedreht haben: explodierende Gaspreise, strauchelnde Versorger und die Suche nach kurzfristigen Alternativen. Das Debakel mit der Gasumlage sollte der Bundesregierung aber als Lehrstück dafür dienen, dass nicht hektisches Stückwerk Vertrauen schafft, sondern ein ausgewogenes Gesamtkonzept.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. August 2022 | 06:00 Uhr