Zwei Männer arbeiten an einem historischen Doppeldecker-Flugzeug 45 min
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100 Jahre Luftsport Laucha an der Unstrut: Die Geschichte der Fliegerstadt

23. April 2024, 19:58 Uhr

Seit rund 100 Jahren ist die Fliegerstadt Laucha an der Unstrut ein Sehnsuchtsort für Luftsportbegeisterte. Über vier politische Systeme hinweg wurden in Laucha Generationen von Sportpiloten ausgebildet, haben an der weinbewachsenen Hangkante ihren ersten Flug gewagt. Der autoritäre Geist, der die Fliegerei lange geprägt hat, ist heute Vergangenheit.

Es ist Segelflugwetter in Laucha an der Unstrut im Burgenlandkreis. Die Piloten vom "Haus der Luftsportjugend" haben sich auf einen langen Flugtag eingestellt. Fluglehrerin Sarah St. Clair und Flugleiter Max Wäldrich koordinieren die Vorbereitungen. Die Segelflugzeuge müssen zum Startplatz gebracht werden, genauso wie die mobile Leitstelle, ein etwas in die Jahre gekommenes Wohnmobil. Segelfliegen ist ein Team-Sport. Es braucht viele helfende Hände, damit bei Start und Landung alles möglichst sicher zugeht.

Ein Segelflugzeug steht auf einer Wiese
Seit rund hundert Jahren starten und landen in Laucha die Flieger. Bildrechte: MDR/Daniel Berg

Sarah St. Clair macht sich mit ihrem Flugschüler Albert, 16 Jahre alt, bereit für den Take-off. Gestartet wird per Windenschlepp. An einem 1.200 Meter langen Seil werden Schüler und Lehrerin in die Luft gezogen und dann das Windenseil ausgeklinkt. Ganz ohne Motor gleiten Sarah St. Clair und ihr Flugschüler über die weinbewachsenen Hänge im Unstruttal, in der warmen Luft, der aufsteigenden Thermik. Das Fliegen hat die 40-jährige Sarah St. Clair einst von ihren eigenen Eltern gelernt. Nun gibt sie ihr Wissen an den Fliegernachwuchs weiter. "Das Wichtigste ist, dass man den Respekt nicht verliert", sagt sie, "Sobald man den Respekt verliert, wird es unsicher."

Das Wichtigste ist, dass man den Respekt nicht verliert. Sobald man den Respekt verliert, wird es unsicher.

Sarah St. Clair Fluglehrerin in Laucha

Eine Pilotin im Cockpit eines Segelfliegers.
Sarah St. Clair ist ehrenamtliche Fluglehrerin in Laucha. Bildrechte: MDR/Daniel Berg

Laucha: Gründungsort der Segelfliegerei in Deutschland

Seit rund 100 Jahren wird in Laucha an der Unstrut bereits Luftsport betrieben. In der jungen Weimarer Republik war das Motorfliegen mit strengen Auflagen belegt, eine Konsequenz des Ersten Weltkrieges. Das Segelfliegen wurde für die damaligen Piloten zur willkommenen Alternative. Auch in der Saale-Unstrut-Region machten sich die frühen Luftpioniere auf die Suche nach möglichen Startplätzen und fanden an den Weinbergen im Unstruttal ideale Bedingungen: Einen kilometerlangen Hang mit Südwestlage, frei von Hindernissen und dazu durch die Beschaffenheit des Bodens aus Muschelkalkstein thermisch sehr aktiv. 

Unter Piloten wurde Laucha schnell als "Mitteldeutsche Rhön" bekannt, in Anspielung auf die Hessische Rhön, den Geburtsort der Segelfliegerei in Deutschland. Gestartet wurde mit Hilfe eines Gummiseils und viel Muskelkraft. Sarah St. Clair erklärt: "Da rennen pro Seite fünf bis zehn Leute los und das Segelflugzeug wird von hinten festgehalten. Und wenn das Gummiseil genug gespannt ist, dann wird hinten entriegelt."

Archivbild vom Start eines Segelflugzeugs
Im Stadtarchiv Laucha lagern einige historische Aufnahmen der frühen Segelflieger in der Saale-Unstrut-Region. Bildrechte: Stadtarchiv Laucha

Die ersten Segelflugzeuge waren kaum mehr als Tragflächen aus Holz mit Sitz und Steuerknüppel. Für die oftmals wenigen Sekunden Flug war viel Aufwand notwendig. Seltene Filmaufnahmen aus den frühen 1930er-Jahren zeigen, wie nach erfolgreichem Gleitflug über die Unstrut das Fluggerät erst mit dem Floß zurück über den Fluss gesetzt und dann von Hand die 130 Höhenmeter hinaufgezogen wurde. Für den nächsten Start, den nächsten tollkühnen Piloten.

Das dunkle Kapitel der Reichssegelflugschule

Ab 1932 wurde die Startstelle bei Laucha-Dorndorf ganz offiziell Flugplatz und Hochburg des deutschen Segelflugs. Wer heute nach Laucha fährt, für den ist der Flugplatz nicht zu übersehen. Direkt über den Weinbergen prangt ein ausladendes Gebäude, leerstehend, zunehmend verfallen. Es erinnert an ein dunkles Kapitel der Fliegerei im Burgendlandkreis. In den 1930er-Jahren traf der Enthusiasmus der frühen Fliegerei auf den erstarkenden Geist des Nationalsozialismus.

Laucha wurde zum Ausbildungsort für die Nazis. Das Nationalsozialistische Fliegerkorps übernahm den Flugplatz, baute die Infrastruktur aus und installierte eine Reichssegelflugschule für die Luftwaffe der Wehrmacht. Mehr als 100 Segelflugzeuge waren hier vor Kriegsende stationiert, mit dem einen Ziel, den fliegerischen Nachwuchs systematisch an die Luftfahrt heranzuführen.

Die Jüngsten kamen über den Modellflug zu den Luftsportscharen der Hitler-Jugend. Nachschub für den Krieg der Nazis, für die Bomber und Jagdflieger. "Die haben hier ihre drei Hüpfer gemacht auf dem Habicht oder einem Segelflugzeug und danach ging's in Kampfflugzeuge", sagt Sarah St. Clair, "Also 2/3 haben das dann ja nicht überlebt."

Kurz vor der Besetzung durch die Alliierten wurden Hallen und Flugzeuge von den Nazis zerstört. Nur die alte Reichssegelflugschule ist stehen geblieben. Das Gebäude ist heute verfallen. Nichts erinnert an die dunkle Zeit des Nationalsozialismus. Über die Geschichte von damals ist Gras gewachsen.

Von Weltrekorden und Flugverboten

Dafür sind die Anfänge des Segelfliegens in der DDR eine echte Erfolgsstory. In Laucha wurden Weltrekorde geflogen. Im Dauerfliegen. Tag und Nacht, möglich durch den konstanten Hangaufwind an den Weinbergen. Am ganzen Hang hätten Feuer gebrannt, um die Sicht in der Nacht zu ermöglichen, erzählen sich die Piloten heute in Laucha.

Obwohl bereits 1954 erflogen, hat der Weltrekord von Fritz Fliegauf mit 30 Stunden und sechs Minuten noch heute Bestand. Denn das Dauerfliegen wurde bald darauf wegen einschlafbedingter Absturzgefahr verboten.

Stasi schränkt Fliegen in Laucha Stück für Stück ein

Doch mit dem Mauerbau dreht der Wind. Segelflugzeuge werden zu potentiellen Fluchtfahrzeugen. Wer fliegen durfte und wer nicht, darüber wachte nun das Ministerium für Staatssicherheit, erzählt Klaus Garbe. Der heute 80-Jährige kam über das Fallschirmspringen zur Fliegerei und war bei der GST, der Gesellschaft für Sport und Technik, Anfang der 1970er-Jahre als Flugzeugmechaniker in Laucha stationiert. "Jeder, der Flugsport machen wollte, musste einen Fragebogen ausfüllen", berichtet Klaus Garbe. "Wer Kontakte oder Verbindungen über seine Verwandtschaft in der Bundesrepublik Deutschland hatte, der wurde dann außen vorgelassen. Der durfte auf einmal nicht mehr."

Ein Mann steht in einem Flugzeughangar und schaut auf sein Smartphone.
Klaus Garbe arbeitete Anfang der 1970er-Jahre als Flugzeugmechaniker in Laucha. Bildrechte: MDR/Ben Arnold

Stück für Stück wurde das Fliegen in Laucha eingeschränkt und schließlich ganz verboten. 1976 wurde der Flugbetrieb endgültig eingestellt. Die GST machte aus dem Flugplatz eine Fahrschule für Militär-LKW. Fortan zog der sowjetische Ural 375 seine Furchen durch die weinbewachsenen Hänge.

Flieger an der Unstrut im Visier der Stasi

Trotz Flugverbot gab es immer wieder heimliche Flugversuche im Unstruttal, erzählt Thilo Schwarz, heute 69 Jahre alt. Der Bäckermeister hatte Anfang der 1980er-Jahre von der noch jungen Sportart des Drachenfliegens gelesen und alles darangesetzt, selbst einmal frei wie ein Vogel mit einem Drachen durch die Luft zu gleiten. Er besorgte sich einen polnischen Bauplan und baute das Fluggerät im Hinterhof seiner Bäckerei aus Fichtenholz und Anorakstoff einfach selbst.

Sie konnten das gar nicht verstehen, dass jemand nur aus Spaß an der Hüpferei Kopf und Kragen riskiert.

Thilo Schwarz Drachenflieger

"Man hat das ein bisschen verdrängt, dass da auch mal was schiefgehen kann. Das ist richtig. Aus heutiger Sicht war das ganz schön Hugo Leichtsinn", erinnert sich Thilo Schwarz. Doch der Drachen flog und so geriet er ins Visier der Stasi. Noch am Flughang werden er und seine Frau verhaftet und im Erfurter Stasi-Gefängnis verhört.

Ein Archivbild eines Drachenfliegers auf einer Wiese
Aus heutiger Sicht "ganz schön Hugo Leichtsinn", meint Thilo Schwarz über seine ersten Flüge mit einem Drachen. Bildrechte: Privatarchiv Thilo Schwarz

"Sie konnten das gar nicht verstehen, dass jemand nur aus Spaß an der Hüpferei Kopf und Kragen riskiert. Das war denen irgendwie suspekt", berichtet Schwarz, "Die hatten also nur den Hintergedanken, der will in den Westen, der will über die Grenze fliegen." Nach 48 Stunden wurde er wieder freigelassen. Seinen selbstgebauten Drachen bekam er nicht zurück.

Ein Mann steht auf einer Wiese und breitet die Arme aus
Nach der Wende konnte Thilo Schwarz endlich über die Saale-Unstrut-Region fliegen. Bildrechte: MDR/Ben Arnold

Drachenfliegen ab 1990: Endlich frei wie ein Vogel

Erst 1990 konnte Thilo Schwarz in Laucha wieder seiner Herzensangelegenheit nachgehen: Dem Drachenfliegen. Nach dem Fall der Mauer wurde das Flugverbot für Hängegleiter und Gleitschirme von der Volkskammer der DDR aufgehoben. Ein feierliches Anfliegen in der DDR wurde mit tatkräftiger Unterstützung von Luftsportvereinen aus dem Westen geplant. Stattfinden sollte es am Südwesthang in Laucha an der Unstrut.

Am 03. März 1990 war es soweit. Tausende Zuschauer staunten über die Vielfalt der Luftfahrzeuge. Auch das DDR-Fernsehen war vor Ort. Die junge Reporterin: Maybrit Illner. Im böigen Starkwind wagt sie vor Publikum einen Tandemflug im Drachen. Laucha war endlich wieder Fliegerstadt.

Ein Archivbild von einem Tandemdrachenflug
Im März 1990 wurde Laucha wieder Fliegerstadt. Mit dabei: Reporterin Maybrit Illner. Bildrechte: Archiv

Heute nennt sich Laucha wieder Fliegerstadt

Rund 100 Jahre währt die Geschichte der Fliegerei in Laucha an der Unstrut. Heute gibt es hier für fast alle Luftsportarten ideale Bedingungen: Segelflieger, Ultraleicht, Modellflieger, Hängegleiter und Gleitschirme oder Motorflug. Sogar das örtliche Gymnasium bietet in Laucha Segelflug für die Schülerinnen und Schüler an.

In Gemeinschaft mit jungen Leuten das Fliegen zu lernen, das hat mir unheimlich viel gegeben fürs Leben.

Max Wäldrich Flugleiter in Laucha

Ein junger Mann mit Sonnenbrille sitzt im Cockpit eines Segelfliegers.
Max Wäldrich ist über seine Schule zum Fliegen gekommen. Bildrechte: MDR/Daniel Berg

Segelflieger Max Wäldrich, heute Flugleiter im "Haus der Luftsportjugend", ist selbst als Jugendlicher über das Burgenland-Gymnasium zur Fliegerei gekommen. "In Gemeinschaft mit jungen Leuten das Fliegen zu lernen, das hat mir unheimlich viel gegeben fürs Leben", sagt Wäldrich. "Und das ist schon cool, auf einem Flugplatz zu fliegen, der Gründungsstätte ist und dass wir jetzt als junge Generation das auch in die Zukunft tragen."

Der autoritäre Geist, der solange die Fliegerei geprägt hat, ist endlich Vergangenheit.

MDR (Ben Arnold, Maren Wilczek)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke wo du lebst: Fliegerstadt Laucha - 100 Jahre Luftsport | 30. April 2024 | 21:00 Uhr

4 Kommentare

Harka2 vor 1 Wochen

Eine Fluglizenz kostet nicht wenig und selbst ein simpler Gleitschirm kostet einen Haufen Geld. Das muss man erst mal übrig haben. Die Technik kostet zudem Wartung und Unterhalt. Niemand parkt seinen Hochleistungssegler im Freien.

D.L. vor 1 Wochen

Es ist ja nicht nur die (Motor) Segelei. Drachen, Paragliding geht dort auch gut.
Letzteres mache ich mit meinem Gleitschirm als normalverdienender Rentner sehr gerne dort.

Harka2 vor 1 Wochen

Der Flugsport war und ist sehr kostenintensiv. Die DDR konnte es sich schlicht weg nicht leisten alle alten Flugplätze weiter zu betreiben. Ein Schuldoppelsitzer SZD-50 Puchacz kostet locker 150.000 M, die Einsitzer waren kaum billiger. Auch heute ist das kein Hobby für Normalverdiener.

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