Der Eingang zum Agricolagymnasium. "Hereinspaziert" steht über mehrere Fenster im Treppenhaus.
Das Agricolagymnasium in Hohenmölsen testet derzeit das KI-Tool Fiete. Bildrechte: MDR/Marcel Roth

Pilotversuch Künstliche Intelligenz hilft Schülern in Hohenmölsen bei ihren Texten

01. November 2024, 16:26 Uhr

Ein KI-Tool kann Schülerinnen und Schülern helfen, ihre Texte zu verbessern. 35 Schulen im Land testen Fiete derzeit. Sachsen-Anhalt war das erste Bundesland, das einen solchen Test gestartet hat. Die Nutzungszahlen sind bislang überschaubar. Aber Lehrer und Schüler finden das Feedback-Tool gut. Der Test soll nun ausgeweitet werden, um zu entscheiden, ob Fiete an allen Schulen im Land eingesetzt wird.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

"Dicht wie die Löcher eines Siebes stehn / Fenster beieinander, drängend fassen / Häuser sich so dicht an, dass die Straßen / Grau geschwollen wie Gewürgte stehn", so beginnt das Gedicht "Städter" von Alfred Wolfenstein. Der in Halle geborene expressionistische Lyriker hat es 1914 verfasst. Im Herbst 2024 beugt sich am Agricolagymnasium in Hohenmölsen im Burgenlandkreis eine neunte Klasse über das Gedicht.

Bessere Gedichtinterpretation mit KI-Hilfe

"Dafür haben wir einen Link von unserem Deutschlehrer bekommen", sagt der 14-jährige Henri. Der Link führte zu einer Aufgabe auf der Seite von Fiete. Dort hatte der Lehrer die Aufgabe erstellt, Kriterien formuliert und das Gedicht hochgeladen. "Das Gedicht handelt davon, dass man sich in der Stadt sehr isoliert und sehr bedrückt fühlt. Es spielt zur Zeit des Expressionismus, den wir als Thema hatten", sagt Henris Mitschüler Friedrich.

Ein Schüler sitzt in einem Klassenraum vor einem Laptop
Neuntklässler Henri vor dem KI-Werkzeug Fiete. Bildrechte: MDR/Marcel Roth

Die Aufgabe des Lehrers lautete: "Analysiere und interpretiere in einem inhaltlich kohärenten und sinnvoll strukturierten Fachaufsatz das Gedicht 'Städter' von Alfred Wolfenstein." Dafür hatte die Klasse am Agricolagymnasium anderthalb Stunden Zeit. Bevor die Schüler ihre Texte endgültig über Fiete abgeben, untersucht das Tool, ob sie die Kriterien des Lehrers erfüllt haben – und gibt eine Rückmeldung, ein Feedback.

Ein Teil der Schülerinnen und Schüler in Hohenmölsen hat ihren Text direkt in den Computer geschrieben – ein anderer Teil hat ihn handschriftlich verfasst. Aber das habe nicht sehr gut funktioniert, sagt Henri. "Mein Sitznachbar hat eine Sauklaue und die KI hat nur bemängelt, sie könnte nichts lesen. Das ist dann schon schlecht."

Das kann und soll fiete.ai

Aber die Handschriftenerkennung wird derzeit verbessert, sagt Fiete-Macher Hendrik Haverkamp. Und er plant noch mehr: Lehrkräfte sollen bei Fiete noch in diesem Jahr Aufgaben untereinander austauschen und nutzen können – so muss nicht jede Aufgabe von jedem Lehrer neu angelegt werden. In ganz Deutschland habe man bereits 36.000 Lehrkräfte als Nutzer. Für die Fiete-Macher rechnet sich die Unternehmung offenbar: Fiete beschäftigt bislang fünf Mitarbeiter; weitere zwei bis drei sollen demnächst eingestellt werden.

Was Fiete schon jetzt kann: Das Feedback in einfacher Sprache geben oder es vorlesen – in 16 Sprachen, sagt Haverkamp. Für die Zukunft stellt er sich vor, dass das Tool den Schülerinnen und Schülern nicht nur für eine einzige Aufgabe Feedback gibt, sondern sie länger begleitet und so insgesamt zu einem besseren Lernerfolg beiträgt. "So kann Fiete ein Lern- und Denkbegleiter werden, Schüler permanent unterstützen und das Lernen sichtbar und individuell machen."

Johannes Schleiß ist Doktorand am Artificial Intelligence Lab der Uni Magdeburg. Er forscht zu KI und Bildung und sieht sogar noch weiter in die Zukunft: "Jetzt beginnt die Integration solcher KI-Tools. Und ich halte es für wahrscheinlich, dass wir in ein paar Jahren auf unserem Handy alle einen persönlichen Assistenten haben." Um den kompetent zu nutzen, brauche es eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Technologien in den Schulen.

Mit Fietes Feedback auf seine Gedichtinterpretation konnte der 14-jährige Henri in Hohenmölsen jedenfalls gut arbeiten. "Das Feedback ist natürlich nicht die richtige Lösung. Da stand dann, ich soll das Metrum noch einmal überprüfen. Man musst selbst drauf kommen", sagt er. Dass eine Maschine ihm Feedback gibt, findet er gut. "Es gibt mir Feedback, wenn der Lehrer mal nicht da ist. Es ist auch besser zum Üben für sich selbst."

Ein Schüler steht an einem großen Smartboard und erklärt etwas.
Friedrich erklärt an einem Smartboard, wie Fiete funktioniert. Bildrechte: MDR/Marcel Roth

Feedback: einfacher, schneller und häufiger

Schüler Friedrich sagt: "Bei längeren Texten können Lehrer nicht alles kontrollieren. Deshalb bekommen wir dann eher allgemeines Feedback." Fiete aber könne viel häufiger ein individuelles Feedback geben. Schüler bekommen von der KI also einfacher, schneller und vor allem häufiger Feedback als von ihren Lehrerinnen und Lehrern.

Das bestätigt auch der Schulleiter am Agricolagymnasium in Hohenmölsen, Frank Hoffmann. "Als Lehrkraft hat man den Anspruch an sich, den Schülerinnen und Schülern in regelmäßigen Abständen ein qualifiziertes Feedback zu geben." Das könne auch mal eine KI übernehmen. Mit Fiete könnten Schüler viel häufiger Feedback für ihre Aufgaben bekommen.

Ein Mann lächelt in die Kamera und steht vor dem EIngang einer Schule
Lehrer und Schulleiter Frank Hoffmann: "Mit Fiete lässt sich viel häufiger Feedback geben." Bildrechte: MDR/Marcel Roth

Hoffmann hat in einer Ethikstunde in einer elften Klasse Fiete genutzt. Seine Schüler sollten eine Argumentation zu einem Thema schreiben. Für ihn als Lehrer wertet Fiete aus, auf welchem Stand seine Schüler sind, sagt Hoffmann. "In der folgenden Unterrichtsstunde könnte man dann den Unterricht individuell an die Schülerinnen und Schüler anpassen und sie gezielter fördern." Weil Fiete den Lehrkräften einen schnellen Überblick darüber gibt, wo die ganze Klasse und die einzelnen Schüler stehen, kann eine permanente Lernstandserhebung entstehen.

KI-Bildungs-Experte: Guter Test, Wirksamkeit noch nachweisen

KI-Experte Johannes Schleiß von der Uni Magdeburg findet gut, dass KI-Tools an Schulen ausprobiert werden. "Man muss aber sicherstellen, dass solche Erprobungen wissenschaftlich begleitet werden." Nur so lasse sich nachweisen, ob Technologien Schülerinnen und Schülern beim Lernen helfen und Lehrkräfte entlasten.

Wichtig sei immer, die Nutzung von Technologien an Schulen aus der Pädagogik abzuleiten. "Feedback ist wichtig und wir wollen das unterstützen. Aber dabei denken wir nicht von der Technologie her", sagt Schleiß. In den USA gäbe es bereits mehr Erfahrungen: Dort nenne sich das Ganze "Automatic Essay Scoring".

Im Audio sagt ein Forscher, inwieweit KI an Schulen eine gute Idee ist.

Kommt Fiete an alle Schulen in Sachsen-Anhalt?

Sachsen-Anhalt war das erste Bundesland, das das Tool seit den Osterferien testet. Mittlerweile sind Bayern und Nordrhein-Westfalen nachgezogen. In 35 Schulen aus allen Schulformen in Sachsen-Anhalt haben jeweils zwei Lehrkräfte einen Zugang bekommen. Rein rechnerisch sollten so bis zu 7.000 Schülerinnen und Schüler Fiete testen. Wie viele es tatsächlich genutzt haben, ist unklar.

Um endgültig zu entscheiden, dass alle Schulen im Land Fiete nutzen können, soll der Test nun ausgeweitet werden. "Wir sind zuversichtlich, dass diese Erweiterung wertvolle Erkenntnisse liefern wird, die sowohl den Lehrkräften als auch den Schülerinnen und Schülern zugutekommen", schreibt Sachsen-Anhalts Bildungsministerium.

Der Test würde vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel wissenschaftlich begleitet. Bislang haben die Forscher aber wohl zu wenig Daten. "Für die wissenschaftliche Begleitung ist jedoch eine breite Datenbasis Voraussetzung", schreibt das Bildungsministerium.

Werden Lehrkräfte durch Fiete entlastet?

In Hohenmölsen kam Fiete bisher nur zwei Mal zum Einsatz. Auch wenn dort alle mit Fiete zufrieden waren: dass es nur zwei Mal genutzt wurde, steht der Aussage der Bildungsministerin entgegen. Sie hatte in Aussicht gestellt, dass das Tool die Lehrkräfte entlastet. Dabei kam Fiete als neues Werkzeug zum Schulalltag hinzu, ohne dass etwas anderes dafür wegfiel.

Ein Reporter mir MDR-Mikro und zwei Schüler unterhaltens ich in einem Klassenraum
Reden über KI-Werkzeuge: MDR-Reporter Marcel Roth spricht mit den Schülern Friedrich und Henri am Agricolagymnasium in Hohenmölsen. Bildrechte: Frank Hoffmann/Agricolagymnasium

Womöglich könnte die Entlastung aber anders kommen als politisch propagiert: Am Agricolagymnasium in Hohenmölsen kann sich Schulleiter und Lehrer Frank Hoffmann nämlich eine Entlastung vorstellen, die sogar Schülerinnen und Schüler treffen würde.

Lernt es sich mit KI entspannter an Schulen?

Ein KI-Tool könnte sich also in einem Punkt entscheidend auf Schulen auswirken: Wenn Schüler permanent Feedback für ihre Aufgaben bekommen und Lehrer immer einen Überblick über den Lernstand haben und deshalb weniger Tests schreiben – könnte Schule für alle entspannter werden.

MDR (Marcel Roth)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. November 2024 | 17:40 Uhr

7 Kommentare

Shantuma vor 5 Wochen

@DanielSBK:
Hier kommt es ganz darauf an, was man unter "verbessern" versteht.

Es kann durchaus eine Verbesserung durch Anpassung geschehen.
Aber warum sollte dann der Schüler diesen schwierigen Weg gehen, wenn doch heute ganz andere Möglichkeiten offen stehen.

Dabei muss man bedenken, dass der Mensch nicht unbedingt nach Herausforderung sucht, sondern meist nach den einfachsten Wegen.

Und wie ich bereits gesagt habe ist der einfachere Weg eben KI mit KI-Texten zufrieden zustellen.

Am Ende bleibt die Frage, was denn "verbessern" bedeutet.

Shantuma vor 5 Wochen

Somit wird das Denken der Schüler an die einer KI angepasst.
Doch das Denken einer KI erfolgt über Algorithmen die von anderen Personen erstellt und verändert werden.

Ich hoffe man sieht dadurch klar, dass hier das eigenständige Denken abgeschafft werden soll. Es geht somit klar in Richtung DDR 2.0.

Nun kann man gerne streiten ob dies nicht eine Verschwörungstheorie sei, doch dazu sei erwähnt, dass es bei Google vor einigen Monaten auch eine KI gab, welche Bilder erstellte. Diese Bilder waren teilweise sehr abstrus und schlicht absurd!
Dazu kommt das vor wenigen Monaten es auch einen Vorfall mit Alexa gab (die Abhörwanze von Amazon). Dort wurde Alexa gefragt ob man Trump oder Harris wählen sollte. Bei einem der Kandidaten wurde dies bejaht beim anderen nicht. Ein klarer Einfluss auf die sogenannte KI. Diese Fehler wurden nach der Entrüstung natürlich entfernt, da es noch selbstständig denkende Menschen gibt.

Altlehrer vor 6 Wochen

Das Tool wurde also für das Feedback zu einer Gedichtinterpretation und einer Ethikargumentation eingesetzt. Und das mit überschaubarer Individualisierung. Warum erfolgt dann aber die Validierung durch ein Institut für NaWi und Mathe? Das sind doch völlig andere Kontrollkriterien als in Deutsch und Ethik. Ist schon verwirrend.

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