Kommentar AfD-Parteitag in Magdeburg: Der Sieg der Populisten über die Ideologen
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08. August 2023, 12:17 Uhr
Zwei Wochenenden tagte die AfD in Magdeburg – zum einen wurde das Personal gewählt, mit dem die Partei in das Europaparlament ziehen will. Zum anderen wurde beschlossen, mit welchem Programm die AfD den Wahlkampf bestreiten will. Trotz extremer Ansagen im Vorfeld siegten am Ende die Populisten über die Ideologen. Ein Kommentar von MDR-SACHSEN-ANHALT-Reporter Uli Wittstock.
- Auf dem Parteitag in Magdeburg entschied die AfD über ihre Kandidaten für das Europaparlament sowie ihr Wahlprogramm.
- Dabei kam es zu einem Machtkampf zwischen Populisten und Ideologen, den die Populisten gewannen.
- Die europäischen Rechten sind zerstritten. Die AfD nutzt die Europapolitik aber auch für den kommunalen Wahlkampf.
Der AfD-Parteitag in Magdeburg war eine sehr männerlastige Veranstaltung. Immerhin schafften es im tagelangen Wahlmarathon vier Frauen unter die 35 Kandidaten für die Europawahlen. Beflügelt von den derzeitigen Umfragewerten wurden fünf Parteifreunde mehr aufgestellt, als ursprünglich geplant. Aktuell ist die AfD mit neun Abgeordneten im Europaparlament vertreten, eine Verdoppelung der Sitze ist das Mindeste, das die Delegierten des Parteitages erwarten.
Weichgespültes Wahlprogramm
Auf dem letzten AfD-Parteitag in Riesa gab es über die Europapolitik so heftigen Streit, dass die Veranstaltung ohne Ergebnis abgebrochen wurde. Dieses Bild der inneren Zerrissenheit sollte in Magdeburg vermieden werden. Deswegen wählte man erst die Kandidaten, um anschließend das Wahlprogramm zu debattieren, in der Hoffnung, dass sich die Lust an quälenden Grundsatzdebatten in Grenzen hält. Der Plan ging auf, führt aber nun zu deutlichen Unschärfen.
Arno Bausemer aus Stendal, auf den aussichtsreichen Listenplatz zehn gewählt, sagte dem MDR zu seinen europapolitischen Zielen: "Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir möglichst schnell den Ausstieg aus der EU bewerkstelligen. Das ist ein weiter Weg, den aber zum Beispiel Großbritannien schon gegangen ist." Doch von dieser Idee wird er nun wohl Abstand nehmen müssen.
Alice Weidel, die AfD Co-Chefin sagte nämlich zum Abschluss des Parteitages: "Das Ziel für eine Europäische Union, wie wir sie uns vorstellen, ist eine Interessen- und Wirtschaftsgemeinschaft. Der große Vorteil ist die Erhaltung des Binnenmarktes. Sie haben freien Güterhandel, Service und Dienstleistungsverkehr." Das ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, was da die EU-Kandidaten in ihren Bewerbungsreden gefordert hatten.
Populisten kontra Ideologen
Mit der Forderung nach britischem Vorbild aus der EU auszusteigen, wird man wohl derzeit mehr Wähler in Deutschland verschrecken als gewinnen können. Auch die Rückkehr zum alten Nationalheiligtum der Deutschen, zur D-Mark, ist derzeit wohl eher ein Minderheitenthema.
Hinzu kommt, dass man es mit solchen Forderungen wohl auch anderen Parteien leichter gemacht hätte, die AfD mit ihren eigenen Argumenten zu stellen. Wenn auch Quoten in der AfD grundsätzlich abgelehnt werden, so spielt eine Quote aber dennoch eine Rolle, nämlich die Zustimmungsquote im Wahlvolk. Diesmal haben sich also die Populisten gegenüber den Ideologen in der AfD durchgesetzt. Aber Vorsicht, die Ideologen nehmen ihre nationalistischen Ideen weiterhin sehr ernst – nur zeigen sie das nun nicht mehr so offen.
Europäische Rechte zerstritten
Es gehört zum Handwerkszeug einer jeden populistischen Partei, Probleme anzusprechen und möglichst auch Lösungen anzubieten, die jeder verstehen kann. "Deutschland zuerst" – so die Kurzformel, welche die AfD anbietet. Das allerdings führt dann zu einigen Schwierigkeiten, selbst im Lager der europäischen Rechten.
Keine Zusammenarbeit gibt es derzeit mit den Schwedendemokraten, den in Italien derzeit regierenden Fratelli d’Italia oder auch der polnischen PiS, die ja ebenfalls regiert. Die stören sich unter anderem an der Russlandnähe der AfD. Wer in Europa unter dem Spruch "Deutschland zuerst" nach Verbündeten sucht, wird damit leben müssen, eine überschaubare Größe an Mitstreitern zu finden.
Europapolitik als neuer Kulturkampf
Nun reicht das Unbehagen bezüglich der EU weit über die AfD und ihre Anhänger hinaus. Es ist trotz aller Beteuerungen bislang kaum gelungen, die europäische Idee mit dem Lebensalltag der Menschen zu verbinden, es sei denn, EU-Vorgaben sorgen vor Ort für Kopfschütteln und Verwunderung. Die Interessen von 27 Mitgliedsländern unter einen Hut zu bringen, sorgen für Bürokratie und Schwerfälligkeit. Bislang waren die Europawahlen ja keine politischen Höhepunkte, das aber könnte sich diesmal ändern. Die AfD hat sich personell und inhaltlich für den Wahlkampf gut gerüstet.
In Sachsen-Anhalt kommt hinzu, dass der Termin der Wahl mit den Kommunalwahlen zusammenfällt. Wer den Parteitag beobachtet hat, der konnte feststellen, wie rhetorisch versiert die Kandidaten auftreten. Die AfD ist eine Partei der Bühne, des Parlaments und der sozialen Medien, man sollte sie weder personell noch inhaltlich unterschätzen. Erfolgreich ist sie derzeit auch, weil sie politische Fragen aufwirft, die bislang von den anderen Parteien nicht wirklich souverän beantwortet werden – deshalb auch das Umfragehoch. Sachsen-Anhalts Parteien täten gut daran, die Herausforderung sehr ernst zu nehmen.
MDR (Uli Wittstock)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 07. August 2023 | 12:08 Uhr
Wessi am 09.08.2023
Ihre alleinige Definition von Demokratie @ Wagner...andere in unserem Land sehen das anders.Schon wieder einmal versuchen Sie es mit Definitionshoheit!Die haben Sie nicht.
nasowasaberauch am 09.08.2023
Wie wäre es, wenn bei den etablierten "demokratischen" Parteien die Vernunft einkehrt. Die Wähler reagieren auf eine Politik und sind keine verirrte, willenlose Wesen. Unter Demokratie versteht in diesem polarisierten Land jeder etwas anderes, dabei gibt es nur die eine.
Anita L. am 09.08.2023
"Wer kennt seine Brüsselabgeordneten?"
Wenn Sie sich nur zu den Wahlen für Ihren Abgeordneten interessieren, kann so ein Eindruck freilich schon ganz schnell entstehen.... Ich jedenfalls hätte ein sehr ungutes Gefühl, wenn "mein" Abgeordneter ständig "mit bunten Sonnen/Regenschirmen, Plakaten und Lautsprechern auf dem Markt oder in einer Fußgängerzone" anzutreffen wäre, denn wann würde er sich denn dann um die freilich nicht im Ansatz so publikumswirksame, dafür meist weit anstrengendere Arbeit in den Ausschüssen, Foren, Plenarsälen kümmern?