Die Spitzenkandidaten der sechs großen Parteien zur Landtagswahl, von links nach rechts: Eva von Angern (Die Linke), Cornelia Lüddemann (Grüne), Katja Pähle (SPD), Reiner Haseloff (CDU), Lydia Hüskens (FDP), Oliver Kirchner (AfD)
Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der sechs großen Parteien zur Landtagswahl Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

#LTWLSA-Landtagswahl-Update | Freitag, 20. August 2021 SPD sucht Zustimmung ihrer Basis, während CDU sie auf neue Wege zwingt

20. August 2021, 18:39 Uhr

Das Update zur Landtagswahl: In Ausgabe 29 schauen wir uns an, worauf sich CDU, SPD und FDP in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt haben – und wie besonders die SPD jetzt ihre Mitglieder davon überzeugen will. Außerdem Thema: der Krieg in Afghanistan und seine Folgen.

Thomas Vorreyer
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Guten Abend, liebe Politikinteressierte!

"Kaum hattest du eine Meldung fertig geschrieben und eingesprochen, war sie schon wieder veraltet." So beschreibt ein Kollege seinen Nachrichtendienst am Sonntag beim Radio.

An diesem Tag fiel fast 5.000 Kilometer weiter östlich die afghanische Hauptstadt Kabul in die Hände der Taliban. Seitdem spielen sich dort dramatische Szenen ab. Die Terroristen haben fast das ganze Land erobert, aus dem Deutschland und andere NATO-Staaten gerade erst ihre Truppen abgezogen hatten.

In diesem Update befassen wir uns mit der Frage, was das für Sachsen-Anhalt bedeutet. Und wir schauen auf die Landespolitik: Immerhin konnten sich CDU, SPD und FDP auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag einigen. Nun geht es darum, diesen auch den eigenen Mitgliedern schmackhaft zu machen.

Schön, dass Sie wieder dabei sind! Und danke an den Kollegen Luca Deutschländer, der das Update am 6. August übernommen hatte.

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Die letzten Wochen kompakt

Fangen wir in der Landespolitik an. Es hat sich einiges getan:

  • CDU, SPD und FDP haben einen Koalitionsvertrag. Kurz nachdem die letzte Verhandlungsrunde durch war, präsentierten die Vorsitzenden der drei Parteien am Montag letzter Woche die Verhandlungsergebnisse: Die Polizei soll auf 7.000 Vollzugsbeamte anwachsen. Es soll Modellprojekte für sogenannte Talentschulen und für billigeren ÖPNV geben. Die Kommunen bekämen mehr Geld und das Land aus 1,5 Milliarden Euro neuer Schulden Corona-bedingte Investitionen in Wirtschaft, Kliniken und Digitalisierung. Beim Klimaschutz will man den Kohleausstieg bis 2038 nicht anrühren, dafür soll ein Klimakongress mit Bürgerbeteiligung kommen. Wir haben Ihnen die wichtigsten Punkte und den politischen Fahrplan für die nächsten fünf Jahre jeweils zusammengefasst.


  • Die CDU soll künftig auch die Ressorts Wirtschaft und Landwirtschaft übernehmen. CDU-Landeschef Sven Schulze, der zu Reiner Haseloffs Nachfolger aufgebaut werden soll, bekommt obendrein den Tourismus dazu. SPD-Mann Armin Willingmann soll stattdessen aus den "Resten" der beiden Ministerien, also aus Wissenschaft, Umwelt, Energie und Forschung ein neues "Klimaschutzministerium" formen. Geplant war das seitens der SPD so nicht. Für die CDU war der Punkt aber so entscheidend, dass sonst wohl die Verhandlungen noch geplatzt wären.
  • Mit der Einigung von CDU, SPD und FDP steigt der Druck auf kleine Kliniken im Land, schreibt die "Volksstimme". Die Zeitung schaut auf die gesundheitspolitischen Vorhaben im Vertragsentwurf und hat erste Reaktionen von Opposition und Krankenhausgesellschaft eingeholt.
  • Ein Untersuchungsausschuss zum Todesfall Oury Jalloh wird wohl nicht mehr kommen. Die Linke im Landtag hat einen erneuten Versuch gestartet, den Tod des Mannes aus Sierra-Leone in einer Dessauer Polizei-Zelle vor 16 Jahren aufzuklären. SPD und Grüne hatten ursprünglich erklärt, nach der Wahl darüber sprechen zu wollen. Zumindest die SPD ist davon nun aber abgerückt, schreibt Der SPIEGEL. Mit meinem Kollegen Julien Bremer habe ich in unserem Wochenrückblicks-Podcast "Was bleibt" über den Streit und die besondere Bedeutung des Falls weit über Sachsen-Anhalt hinaus gesprochen.

  • Die Linken-Abgeordnete Christina Buchheim ist in dieser Woche bei einer öffentlichen Sprechstunde angegriffen worden. Zwei Personen haben ihren Stand umgeworfen und die Landtagsabgeordnete als "deutschfeindlich" bezeichnet. Nun ermittelt der Staatsschutz.

Mit der Einigung von CDU, SPD und FDP ist auch klar: Claudia Dalbert, die umstrittene grüne Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt und Energie, wird bald nicht mehr am Kabinettstisch sitzen. Ich habe Dalbert auf einem ihrer letzten öffentlichen Auftritte begleitet: zu den Bauern, deren Respekt sie sich zwar erarbeitet hat, die sie aber doch nicht mehr als Ministerin haben wollten.

Das Zitat der Woche

Die Taliban haben nicht nur das Land und unsere Flagge genommen, sondern unser Vertrauen und unsere Hoffnung.

Ahmat, ein in Sachsen-Anhalt lebender Afghane

In dieser Woche durfte ich mit Ahmat sprechen. Der Afghane kam 2013 mit einem Stipendium nach Deutschland. Das rasante Vorrücken der Taliban hat auch ihn überrascht, genauso wie viele westliche Regierungen. Jetzt fürchtet er um die Sicherheit seiner Familie in Afghanistan.

Im Gespräch warf Ahmat der Bundesregierung vor, die sogenannten Ortskräfte, also jene Menschen, die für die Bundeswehr und andere Organisation gearbeitet hatten, vergessen zu haben. Er rief nach unbürokratischen Lösungen – sowohl für die Afghanen und Afghaninnen auf der Flucht, als auch hierzulande.

Ebenfalls entsetzt über die aktuellen Entwicklungen zeigte sich ein Afghanistan-Veteran der Bundeswehr, mit dem mein Kollege Uli Wittstock gesprochen hat.

Derweil sind seit Juni über 180 Ortskräfte und ihre Familienangehörige in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen angekommen. Die Ministerien erwarten, dass in etwa noch einmal dieselbe Zahl dazukommt, berichtet meine Kollegin Lydia Jacobi von MDR Aktuell.

In Sachsen-Anhalt riefen Grüne und Linke die Landesregierung dazu auf, noch mehr Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten zu zeigen. Genau in diesem Punkt hatte sich die SPD übrigens in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen können, wie das SPD-Sondierungsteam bereits Anfang letzter Woche gegenüber den Mitgliedern eingeräumt hat.

Die Geschichte der Woche

Die SPD-Basis ist wohl die einzige Gruppe, an der eine schwarz-rot-gelbe Koalition noch scheitern kann. Nämlich durch den seit dieser Woche laufenden Mitgliederentscheid. Den macht die CDU zwar auch. Das Ja der Konservativen gilt aber als ebenso sicher wie das der Liberalen, die Anfang September dazu einen Parteitag abhalten wollen.

Anders bei der SPD. Hier hatte es schon vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen große Kritik an einem möglichen Bündnis gegeben. Am Ende stimmte ein Parteitag dennoch deutlich dafür, auch, um dem Verhandlungsteam die Möglichkeit zu geben, was für die SPD rauszuholen.

Und siehe da: Laut dem Team hat man nahezu alle Verhandlungsziele erreichen können. Die Ko-Landesvorsitzende Juliane Kleemann spricht von einem "ordentlichen Modernisierungsschub"Seit Mittwoch versuchen Kleemann und das restliche Spitzenteam das der SPD-Basis auf fünf Regionalkonferenzen zu vermitteln und sich dort den Fragen zu stellen.

Den Anfang machten die Genossinnen und Genossen im Harz. Mein Kollege Simon Köppl war in Ilsenburg dabei. Wenn man seine Interviews sieht, merkt man: Das könnte eine knappe Kiste werden. Landtagskandidat Florian Farthmann, der bei der Wahl ein sehr starkes Erststimmenergebnis für die SPD geholt hatte, vermisst etwa klare Festlegungen beim Thema Pflege. Derzeit tendiere er zu einem Nein zum Koalitionsvertrag.

Laut Juliane Kleemann war Fahrtmann damit in Ilsenburg allerdings in der Minderheit. Grundsätzlich, so Kleemann, gehe es vor allem darum, "wie wir als Sozialdemokratie in Sachsen-Anhalt wieder mehr Land unter die Füße kriegen."

Frage der Woche

Für die SPD geht es also auch um die Frage, wo sie eher das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen kann – in der Opposition oder doch in der Regierung. Eine Frage, die sich sehr gut an die Menschen im Land weitergegeben lässt, weshalb wir in dieser Woche von der MDRfragt-Gemeinschaft wissen wollten:

Was meinen Sie: Sollte die SPD in Sachsen-Anhalt in die Koalition mit CDU und FDP eintreten?

5.421 Leute haben geantwortet. Und zwar so:

Eine Mehrheit der Menschen in Sachsen-Anhalt wünscht sich, dass die SPD in der Landesregierung bleibt und eine Koalition mit CDU und FDP eingeht. Das legt zumindest das Ergebnis der Befragung nahe. 54 Prozent der Teilnehmenden gaben an, für die umstrittene Regierungsbeteiligung zu sein, 37 Prozent waren dagegen. Der Rest hatte keine klare Haltung.

Die Befragung ist nicht repräsentativ, aber gewichtet. Frauen stehen demnach einer Regierungsbeteiligung der SPD positiver gegenüber als Männer. Außer bei der Gruppe der 30- bis 49-Jährigen überwiegt die Zustimmung die Ablehnung in allen anderen Altersgruppen deutlich.

Mehr als 840 Teilnehmende haben ihre Haltung zudem mit einem Kommentar begründet. Nachfolgend bilden wir die Debatte in Auszügen ab. So sind manche der Befürwortenden durchaus zufrieden mit der Arbeit der SPD:

Mit der SPD hat die normale Bevölkerung eine Stimme gegen die Wirtschaft.

Teilnehmer, *1958, Jerichower Land

Die SPD hat im Wirtschaftsressort bisher gute Arbeit geleistet und wird das in den neuen Ministerien auch tun.

Teilnehmerin, *1958, Anhalt-Bitterfeld

Viele argumentieren aber auch mit Sachzwängen für eine Koalition "mit Bauchschmerzen", etwa mit Blick auf die restlichen Parteien:

Wenn die SPD nicht in die Regierung geht, verschwindet sie in der Versenkung.

Teilnehmer, *1956, Wittenberg

Nur in der Opposition könnte die SPD wieder ein eigenes Profil finden. Aber die Gefahr einer Zusammenarbeit der Regierung mit der AfD gilt es unbedingt zu verhindern.

Teilnehmerin, *1956, Saalekreis

Die SPD gehört in die Opposition, um dort mit neuem Personal einen Neustart in Angriff zu nehmen. Trotzdem bin ich – mit Bauchschmerzen –für die Koalition, um die Grünen in der Landesregierung zu verhindern. Es waren schreckliche fünf Jahre mit dieser Partei.

Teilnehmerin, *1950, Magdeburg

Bloß nicht nochmal fünf Jahre mit den Grünen in der Regierung. Dann steigen die Bauern auf die Barrikaden und die A14 wird nie fertig.

Teilnehmer, *2002, Anhalt-Bitterfeld

Für die Gegnerinnen und Gegner einer erneuten Regierungsbeteiligung wiegen andere Argumente schwerer:

Sind denn ausreichend Themen der SPD im Koalitionsvertrag niedergeschrieben? Nach dem Poker um die Ministerien finde ich es falsch, in die Koalition einzutreten. Schwierig ist es, die 'Bombe' vor der Bundestagswahl platzen zu lassen, da hier die SPD im Aufwind ist. Taktisches Geschick ist erforderlich.

Teilnehmer, *1965, Anhalt-Bitterfeld

Die SPD wird in der Koalition das, was die Grünen in der letzten gewesen sind. FDP und CDU haben mehr miteinander gemeinsam und somit ist die SPD das unliebsame fünfte Rad am Wagen.

Teilnehmer, *1984, Harz

Vor der Wahl hatte die SPD-Spitze auf das Wirtschaftsministerium bestanden und kaum sind die Koalitionsverhandlungen vorbei, ist davon keine Rede mehr. Das Wirtschaftsministerium geht an die CDU. Mit diesem Wortbruch tut sich die SPD keinen Gefallen und verspielt leichtfertig das letzte Fünkchen Vertrauen bei den Wählerinnen und Wählern. Herr Willingmann war ein Minister mit fachlicher Kompetenz, der sein Haus mit ruhiger Hand führte.

Teilnehmerin, *1956, Börde

An dieser Stelle gilt mein Dank wie immer der MDRfragt-Gemeinschaft für die rege Diskussion. Blicken wir nun nach vorn.

Was jetzt politisch wichtig wird

Bis dieses Update wieder erscheint, also in zwei Wochen, werden die Regionalkonferenzen von SPD und CDU (Letztere beginnen am 30. August in Wittenberg) vorbei sein. Die Ergebnisse der beiden Mitgliederentscheide stehen allerdings erst für die Tage danach an.

Außerdem starten am 2. September wieder die Schulen in Sachsen-Anhalt; also mit dem neuen Schuljahr, nicht den Sommerferien-Corona-Nachhilfen. Beim MDR werden wir uns damit beschäftigen, was während der Ferien in den Schulen in puncto Pandemiefestigkeit getan wurde. Einen ersten Zwischenstand gibt es bereits: Der Gewerkschaft GEW geht die Anschaffung der Luftfilter zu langsam.

Zum Schluss ...

… rückt natürlich auch die Bundestagswahl näher und näher. Der MDR hat vor der Wahl am 26. September die Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gefragt, was sie sich von der Bundespolitik wünschen. Die Forderungen und Anregung von über 7.000 Menschen haben die Kolleginnen und Kollegen zu einer sogenannten Wünschekarte zusammengefasst. Schauen Sie doch in den kommenden Tagen mal rein, um zu sehen, was Ihren Nachbarinnen und Nachbarn alles so wichtig ist.

Der Frage, welche Punkte davon bereits von einzelnen Parteien aufgegriffen wurden, gehen wir dann in den kommenden Wochen nach.

Bis dahin. Bleiben Sie gesund und munter!
Ihr Thomas Vorreyer

MDR/Luca Deutschländer

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 20. August 2021 | 19:00 Uhr

1 Kommentar

Gernot am 21.08.2021

Der größte Irrtum innerhalb der Sachsen Anhalt SPD wäre zu glauben, daß man mit dem augenblicklichen Bundestrend eine Bestätigung für das eigene Tun erhalten würde. Nein, man würde nicht einmal bei etwaige Wahlen, hierzulande, davon zehren. Ähnlich wie die Grünen, welche bei den Landtagswahlen sogar extrem gegen den Bundestrend abgeschnitten.
Hierzulande bedarf es andere Programme und ( vor allem !!!!) Personen um den Wählernerv zu treffen. Die SPD muss wirklich aufpassen , in den drei südlichen neuen Ländern nicht komplett von der Bildfläche zu verschwinden. Die Gefahr dafür bei einem " weiter so" ist riesig.

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