Aus der Ferne ist Magdeburg und der Magdeburger Dom im Sonnenaufgang zu sehen.
Die Ansiedlung des Chipherstellers Intel wird in den kommenden Jahren vielfältige Auswirkungen auf die Region Magdeburg haben. Bildrechte: Gunnar Feierabend

Größte Chip-Fabrik Europas Was die Intel-Ansiedlung für Magdeburg bedeuten könnte

15. März 2022, 14:07 Uhr

Der Chiphersteller Intel wird in Magdeburg die größte Chip-Fabrik Europas bauen und will in den kommenden Jahren mehr als 10.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Damit verbunden sind aber auch vielfältige Effekte für den Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Dies zeigt ein Vergleich mit der Ansiedlung von Tesla in Brandenburg.

Dass Magdeburg den Zuschlag für eine milliardenschwere Chipfabrik des US-Konzerns Intel bekommen hat, ist nach Angaben von Branchenkennern die größte Firmenansiedlung in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten. Welche Auswirkungen das auf die Region haben könnte, wird anhand einer weiteren großen Firmenansiedlung vor den Toren Berlins schon jetzt deutlich. Der US-amerikanische Autohersteller Tesla gab im November 2019 bekannt, im brandenburgischen Grünheide eine sogenannte Giga-Factory mit zunächst rund 12.000 Arbeitsplätzen zu errichten.

Die Länder Brandenburg und Berlin hatten nach Bekanntgabe der Ansiedlung eine Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, welche Erfordernisse die Ansiedlung und das damit zu erwartende Wachstum für die Region mit sich bringen. Auch wenn die Niederlassungen von Tesla und Intel aufgrund der verschiedenen Branchen nicht uneingeschränkt vergleichbar sind, wird anhand der Studie sehr deutlich, welche Auswirkungen eine Ansiedlung in dieser Größenordnung hat und welche Fragen sich damit auch für die Region Magdeburg stellen.

1. Wie reagiert der Arbeitsmarkt auf eine große Firmenansiedlung?

Im Zuge des prognostizierten Arbeitskräftebedarfs für die Tesla-Fabrik ist ein Ergebnis der Berlin-Brandenburg-Studie, dass nicht nur viele neue Arbeitsplätze geschaffen, sondern auch eine Vielzahl von Folgeeffekten ausgelöst werden. Beispielsweise wird davon ausgegangen, dass im Zuge eines sogenannten Turnover-Effekts viele bislang bei regionalen Unternehmen angestellte Frauen und Männer – auch aufgrund besserer Verdienstmöglichkeiten – zum Autohersteller abwandern. Die Folge: Zahlreiche bereits vorhandene Stellen in der Region müssen neu besetzt werden.

Darüber hinaus wird in der Studie auch der sogenannte Erweiterungseffekt als Folge einer Ansiedlung beschrieben. Gemeint sind damit etwa neue Jobs bei regional ansässigen Zuliefer-Unternehmen. Genauso entstehen aber auch weitere neue Arbeitsplätze, weil innerhalb kurzer Zeit viele Menschen neu in die Region ziehen und die bestehende Infrastruktur erweitert werden muss, etwa bei Supermärkten, Schulen oder Kitas.

All diese Effekte sind prinzipiell auch für den Arbeitsmarkt in der Region Magdeburg denkbar, wenn auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar ist, welcher Effekt in welchem Ausmaß zum Tragen kommt.

2. Aus welchen Regionen lohnt sich das Pendeln zum neuen Intel-Standort?

Ein weiteres Ergebnis der Studie zur Tesla-Ansiedlung ist, dass die neuen Arbeitsplätze nur teilweise durch die Bevölkerung aus der Region besetzt werden können. Als Gründe dafür werden unter anderem die rückläufige Arbeitslosigkeit und die nötige berufliche Qualifikation angeführt. Eingerechnet in diese Überlegungen sind dabei auch alle Menschen, die in maximal 60 Minuten Fahrzeit aus der Umgebung zur Arbeitsstätte pendeln können. Diese eine Stunde Fahrtzeit pro Strecke wird dabei als "Schmerzgrenze" für das tägliche Pendeln angenommen.

Auch für die Intel-Ansiedlung rechnen Experten damit, dass viele der geplanten 10.000 Jobs nicht mit Arbeitnehmern aus Magdeburg besetzt werden. Übertragen würde das bedeuten, dass sich das Pendler-Einzugsgebiet theoretisch von Wolfsburg und Braunschweig im Westen bis nach Brandenburg an der Havel im Osten sowie von Stendal und Gardelegen im Norden bis in den Großraum Leipzig/Halle im Süden erstrecken würde.

3. Welche Auswirkungen hat eine Großansiedlung für den Immobilienmarkt?

Um die Nachfrage nach Arbeitskräften am neuen Tesla-Standort vollständig decken zu können, werden laut Studie auch zahlreiche Personen aus weiter entfernten Regionen benötigt. Das hat zur Folge, dass die Nachfrage nach Mietwohnungen und Eigenheimen durch den Zuzug von Arbeitskräften steigen wird. Um die Effekte für den Immobilienmarkt abschätzen zu können, wurden aber nicht nur Zuzüge durch die künftigen Tesla-Mitarbeiter berücksichtigt.

Auch durch den oben bereits beschriebenen Turnover- und den Erweiterungseffekt müssen Stellen neu besetzt oder neu geschaffen werden, für die dann wiederum Menschen aus anderen Teilen Deutschlands, Europas oder der Welt in die Region Berlin-Brandenburg ziehen. Die in der Studie modellierten Werte für den Zuzug sind mit einer Reihe von Annahmen verbunden, die so nicht einfach auf Intel in Magdeburg übertragbar sind. Allerdings verdeutlichen sie sehr gut die Dimensionen, die eine Ansiedlung in dieser Größenordnung nach sich ziehen kann.

Für den Immobilienmarkt in Magdeburg wird die Ansiedlung dennoch eine Herausforderung: In der Stadtpolitik gehen einige davon aus, dass gut die Hälfte der Menschen nach Magdeburg selbst ziehen wird. Hinzu kämen aber auch noch Partner und Kinder, so dass tatsächlich langfristig mit deutlich mehr als 10.000 neuen Menschen in Magdeburg gerechnet werden muss. Der Geschäftsführer des Immobilienunternehmens Engel & Völkers, Norbert Steinborn, sieht vor allem bei größeren Wohnungen und Häusern für Familien noch Nachholbedarf.

4. Inwieweit ist absehbar, ob die Immobilienpreise im Großraum Magdeburg deutlich steigen werden?

Die Autorinnen und Autoren der Berlin-Brandenburg-Studie kommen zu dem Ergebnis, dass durch den zu erwartenden Zuzug der bereits vorherrschende Druck auf dem Immobilienmarkt in Berlin und dessen Umland weiter zunehmen wird. Mietpreise könnten weiter steigen und die Suche nach geeignetem Wohnraum zusehends schwieriger werden. In Magdeburg und der umliegenden Region ist der Immobilienmarkt dagegen noch deutlich entspannter als in Berlin und Umgebung.

Nach einem Vergleich der Angebotsmieten kommt die Immowelt Group beispielsweise zu dem Ergebnis, dass in Magdeburg die Nettokaltmieten bei Neuvermietung im Zeitraum 2016 bis 2021 im Mittel um neun Prozent von etwa 5,50 Euro auf rund 6,00 Euro pro Quadratmeter angestiegen sind. Im Vergleich dazu stiegen die Mieten in Berlin um über 40 Prozent von 9,00 auf 12,80 Euro pro Quadratmeter.

„Trotzdem mache ich mir keine Sorgen um die Mieten in Magdeburg“, sagt Geschäftsführer Norbert Steinborn von Engel & Völkers. Die Mieten seien im deutschlandweiten Vergleich noch sehr moderat. Zudem gebe es noch viel Leerstand, wobei hier auch die Wohnungsgenossenschaften nachsteuern müssten, um ältere Gebäude und Wohnungen wieder herzurichten. Denn vor allem bei sehr günstigen und auch sehr teuren Wohnungen gebe es noch ein großes Angebot, so der Immobilienexperte. Was fehle, seien Wohnungen im mittleren Preis.

Aber auch in Magdeburg sind die Preise für Eigentum zuletzt stark gestiegen. Verglichen zum ersten Halbjahr 2020 sind die durchschnittlichen Preise für Eigentumswohnungen in Magdeburg laut einem Marktbericht von Engel & Völkers um mehr als 22 Prozent gestiegen. Bei den Preisen für baureifes Land waren im Stadtgebiet von Magdeburg in den vergangenen Jahren deutliche Preissteigerungen sichtbar. Die Preise im Umland der Landeshauptstadt sind hingegen ähnlich wie der landesweite Durchschnitt nur moderat gestiegen.

Welchen Einfluss die Intel-Ansiedlung auf Miet- und Grundstückspreise tatsächlich haben wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar. Auch die Studie zur Tesla-Fabrik konnte in dieser Hinsicht noch keine konkreten Werte nennen.

5. Welche Auswirkungen könnte die Intel-Ansiedlung noch auf die Region haben?

Laut Tesla-Studie wird angenommen, dass vor allem in den sehr ländlich geprägten Regionen Brandenburgs der zu erwartende Bevölkerungsverlust in den kommenden Jahren durch den zu erwartenden Zuzug abgefedert werden kann. Dieser Effekt wäre angesichts des prognostizierten Bevölkerungsrückgangs im Zuge des demografischen Wandels auch in Magdeburg und insbesondere in den umliegenden Kreisen denkbar.

Denn aktuell prognostiziert das Statistisches Landesamt, dass im Jahr 2035 rund 13 Prozent weniger Menschen in Sachsen-Anhalt leben als es im Jahr 2019 der Fall war. Betroffen davon sind alle Regionen, vor allem aber die ländlichen Gebiete.

Klar ist aber auch, dass es einen Zuzug an qualifiziertem Personal nach Magdeburg braucht, um die Jobs zu besetzen. Allein die Region kann den Bedarf an Personal nicht decken. Hier wird erwartet, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch aus dem Ausland nach Magdeburg kommen könnten. Die Stadt – so die Prognosen aus der Verwaltung – wird dadurch deutlich internationaler und in Teilen vielleicht auch ihren Charakter verändern. Hinzu kommt eine städteplanerische Aufgabe: Es werden zahlreiche neue Kindergärten und Schulen benötigt.

In welchem Maße sich die Ansiedlung von Intel auf den Arbeits- und Immobilienmarkt in der Region Magdeburg auswirken wird, kann gegenwärtig noch nicht im Detail abgeschätzt werden. Basierend auf den Studienergebnissen zur Tesla-Ansiedlung wird jedoch deutlich, wie tiefgreifend die Veränderungen in Zukunft sein könnten und wie wichtig es ist, auf politischer Ebene diese Herausforderungen zu erkennen und sich ihrer anzunehmen.

MDR (Manuel Mohr)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 15. März 2022 | 14:00 Uhr

22 Kommentare

DanielSBK am 15.03.2022

"Schön, da können sich dann die ehemaligen Angestellten von der Polte, von MAW und FAM als Mitarbeiter bewerben."

Die sind zu teuer!

Deswegen nimmt die keiner - gerade verwöhnte Luxus-Arbeiter von FAM.... Gott bewahre!

Billig muss es sein!!

DanielSBK am 15.03.2022

Ein USA-Unternehmen ... da gilt "Hire&Fire" und unerhört schlechte Arbeitsbedingungen für Angestellte.

Kann mir was besseres vorstellen - wie ein "Klein Detroit" in der Börde.

Amazon reicht schon!

ElBuffo am 15.03.2022

Naja, das klänge aber auch ein bißchen doof, wenn da stünde, dass das Gelände der Fabrik etwa einem Viertel des größten Braunkohlentagebaurestlochs entspricht.

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