Lehrer bei der Fortbildung 4 min
Mehr zu Quereinsteigern in Sachsen-Anhalt gibt es auch im Video aus "MDR um 4". Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Praxis-Tipps Lehrer als Seiteneinsteiger: So kann der Umstieg besser gelingen

01. Oktober 2024, 11:21 Uhr

Im Kampf gegen den Lehrermangel setzt Sachsen-Anhalt verstärkt auf Seiten- und Quereinsteiger. 2023 hatten etwa die Hälfte der neu eingestellten Lehrkräfte kein reguläres Lehramtsstudium. Doch der Einstieg in den Schulalltag ist oft schwierig: Rund ein Drittel der Seiteneinsteiger verlässt den Beruf nach kurzer Zeit wieder. Ein Blick in die Praxis.

Tom Gräbe
Bildrechte: MDR/Fabian Frenzel

Eine Vokabel-Übung steht auf dem Stundenplan im Spanischunterricht am Gymnasium Stephaneum in Aschersleben im Salzlandkreis. Sabine Hüttl stellt an diesem Vormittag Aufgaben und Fragen. Die 40-Jährige ist noch relativ neu im Schulbetrieb. Sie arbeitet erst seit etwa einem Jahr als Lehrerin. Vorher hatte sie einen Job in einem Museum. An ihre erste Unterrichtsstunde kann sie sich noch gut erinnern: "Ich war schon sehr nervös, die ersten zehn Minuten, es war sehr ungewohnt, plötzlich in die völlig andere Rolle zu schlüpfen." Seiteneinsteiger wie Sabine Hüttl werden vorbereitet. Für sie gibt es Kurse und Weiterbildungen. Doch anzukommen im Berufsalltag mit Unterricht, Noten, Eltern-Arbeit und Stunden-Vorbereitungen, bleibt eine Herausforderung. Für den Einstieg brauche es die Unterstützung von Kollegen, stellt Schulleiter Axel Wieczorek fest.

"Es gibt für jeden Seiteneinsteiger einen Paten, wenn wir es fachlich abdecken können." Unterricht sei mehr, als nur Fachwissen weiterzugeben. "Man muss vor der Klasse bestehen können", so Wieczorek. "Nicht jeder Schüler ist einfach, und darauf müssen sich natürlich auch die neuen Kollegen einlassen." Es brauche Empathie und viel Verständnis. "Wenn man dann merkt: Mit den Menschen kann ich arbeiten und mit den Menschen kann ich gut leben und meine Arbeit nachgehen, dann ist das eine schöne Sache."

Hohe Zahl an Seiteneinsteigern – und viele scheiden wieder aus

Seiteneinsteiger sind keine Seltenheit mehr vor den Schulklassen in Sachsen-Anhalt. Im vergangenen Jahr hatte rund die Hälfte der neu eingestellten Lehrer kein reguläres Lehramtsstudium. Der Anteil an Seiteneinsteigern in der gesamten Lehrerschaft in Sachsen-Anhalt ist laut Zahlen des Bildungsministeriums gestiegen – auf etwa 16 Prozent in diesem Schuljahr. Allerdings scheidet etwa ein Drittel der Lehrkräfte als Seiteneinsteiger trotz aller Anstrengungen wieder aus.

Schulleiter Axel Wieczorek und seine Kollegen unterstützen Seiteneinsteiger
Schulleiter Axel Wieczorek und seine Kollegen unterstützen Seiteneinsteiger Bildrechte: Tom Gräbe

Es gibt schon große Bemühungen, dass man möglichst alle, die sich dafür interessieren, behält.

Axel Wieczorek Schulleiter in Aschersleben

Es sei jedoch auch nicht jeder zum Lehrer geboren, so der Schulleiter. "In Zusammenarbeit mit dem Landesschulamt ist es dann häufig so, dass man eine Möglichkeit findet, wie man die Kollegen vielleicht besser einsetzen kann."

Forderung nach Reformen im Seiteneinsteiger-Programm

Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert eine Reform des Programms für Seiteneinsteiger – unter anderem eine bessere Einarbeitung und weniger Bürokratie. "Zunächst mal die Seiteneinsteiger nicht gleich mit 25 oder 27 Stunden Unterricht einzusetzen und sie mehr oder weniger zu verschleißen, sondern zu sagen: Komm, du kannst hier erst mal hospitieren, komm mal in meinen Unterricht, ich zeige dir dann, wie man bestimmte Sachen macht", sagt GEW-Landesvorstand Eva Gerth. "Dieses Mentoring an den Schulen, diese gegenseitige Unterstützung, wäre bitter nötig."

Es gebe viele Kolleginnen und Kollegen als Seiteneinsteiger, die an den Schulen sehr helfen, stellt sie fest. Kollegen, die sich bemühen, sich durchzubeißen. "Aber es gibt eben auch viele dieser Kolleginnen, die am Ende sagen: Nee, das ist doch nichts für mich. Ich möchte jetzt hier nicht weitermachen."

Die GEW-Landesvorsitzende Eva Gerth fordert Verbesserungen des Programms zum Seiteneinstieg.
Die GEW-Landesvorsitzende Eva Gerth fordert Verbesserungen des Programms zum Seiteneinstieg. Bildrechte: Tom Gräbe

Seiteneinsteiger werden dringend gebraucht

Am Gymnasium Stephaneum arbeitet sich Sabine Hüttl mit ihren Schülern routiniert durch die Vokabel-Übung. Seiteneinsteiger helfen, Stundenpläne abzudecken – und werden dringend gebraucht. "Die Unterrichts-Qualität hängt immer von der Person ab, egal ob das ein gestandener Lehrer oder ein Seiteneinsteiger ist", sagt Schulleiter Axel Wieczorek. Er würde keine Unterschiede feststellen. Die Qualität des Unterrichts hänge nicht unbedingt von der Vor-Qualifikation ab. "Die Unterrichts-Qualität versuchen wir natürlich möglichst hochzuhalten, weil das Ziel ist, so viele Schüler wie möglich erfolgreich zum Abitur zu führen."

Schulleiter Axel Wieczorek und Spanischlehrerin Sabine Hüttl im Gespräch
Schulleiter Axel Wieczorek und Spanischlehrerin Sabine Hüttl im Gespräch Bildrechte: Tom Gräbe

Sabine Hüttl hat sich eingearbeitet, ist ins kalte Wasser gesprungen. "Ich bin jetzt im zweiten Schuljahr, ich denke, es ist zu früh, um zu sagen, ob es sich gelohnt hat. Da fehlt mir einfach noch die Erfahrung", stellt sie fest. Sabine Hüttl ist übrigens die einzige Spanischlehrerin am Gymnasium.

Das Gymnasium Stephaneum Aschersleben
Das Gymnasium Stephaneum Aschersleben Bildrechte: Tom Gräbe

Schule, Lehrer und Unterricht in Sachsen-Anhalt

MDR (Tom Gräbe, Mario Köhne)

Dieses Thema im Programm: MDR um 4 | 30. August 2024 | 16:00 Uhr

5 Kommentare

Jans vor 3 Tagen

Darf ich die Gründe nennen, weshalb auch Seiteneinsteiger, die viele Jahre dabei waren, irgendwann den Dienst quittieren?
Weil wir uns, mit Verlaub, ungern veräppeln lassen - diese Ungleichbehandlung im Zuge von "A13 für alle" ist der Hohn! Alle Beamten und ältere Angestellte ab "Erfahrungsstufe" 5 werden stufengleich höhergruppiert. Wer auch nur 1/2 Jahr darunter liegt, wird bis zu 6 (!) Jahren zurückgestuft. Lachhaft! Da KANN man ja nur kündigen! Soziale Nachhaltigkeit kennt man in Schulbehörden, bei der GEW, im Land und in der Kirche (=mein Träger) offenbar nicht.
Zuerst nimmt ein Seiteneinsteiger ein lächerliches Gehalt hin (weder frühere ÖD-Jahre noch lange berufliche Erfahrung/Dozententum zählen), dann merkt man, nach Jahren!, dass man nie wieder in Gehaltsregionen kommt, die vor Jahrzehnten aufgrund der eigenen Qualifikation längst erreicht wurden. 1,5 Jahre didaktisch-methodisches Ersatz-Referendariat, Fortbildungen auf eigene Kosten und Zusatz-Leistungen zählen NICHTS. Danke.

Tindrith vor 3 Tagen

Ich finde es eine Unverschämtheit von Ihnen als Hilfskraft bezeichnet zu werden.
Ich habe rein fachlich viel mehr wissen aufbauen können als meine alteingesessenen Kollegen.
Ich bin in der Unterrichtsvorbereitung genauso aufgeschmissen wie der durchschnittliche Referendar.
Mit unwissenden, eingebildeten Menschen musste ich auch in der Wirtschaft klarkommen (wenn auch älter).
Und für den Rest habe ich verständnisvolle und freundliche Kollegen.

Ich würde nie behaupten besser zu sein als grundständig ausgebildete Lehramts-Absolventen. Aber ich bin LEHRER und keine Hilfskraft. Und jemanden wie Sie würde ich sofort meine Klassenraums verweisen.

Ich weiß ja nicht wo sie groß geworden sind. Aber hier ist immer noch die Würde des Menschen das höchste Gut und das schließt sich eine respektvolle Berufsbezeichnung ein.

Altlehrer vor 4 Tagen

Die Wirklichkeit sieht anders aus! Seiteneinsteiger werden gerade an den Sekundarschulen fast immer als Ersatz für ausgeschiedene Kollegen von Beginn an mit voller Stundenzahl eingesetzt. Einfach, weil es nicht anders geht. Gleichzeitig sind auch alle anderen Kollegen mit voller Stundenzahl eingesetzt. Da gibt es weder Zeit für Hospitationen noch für Mentorentätigkeit. Das ist die Realität, alles andere ist Wunschdenken.

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