Großgerät im Tagebau Turów
Der Weiterbetrieb des polnischen Braunkohletagebaus Turów im Zittauer ist weiter umstritten und beschäftigt die polnische Justiz. Bildrechte: PGE Górnictwo i Energetyka Konwencjonalna S.A.

Braunkohleabbau Nächste Runde im Streit um den Tagebau Turów

27. August 2023, 06:00 Uhr

Der Abbau und die Verstromung von Braunkohle im polnischen Turów ist nicht nur im Zittauer Dreiländereck umstritten. Jetzt wird sich erneut die polnische Justiz mit den Umweltproblemen beschäftigen, die dem Tagebau und dem Kraftwerk zugeschrieben werden. Bei einem Vor-Ort-Termin präsentierte PGE wenige Tage vor der Verhandlung einem Reporter von MDR SACHSEN seine Maßnahmen für mehr Umweltschutz.

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Vom deutsch-polnischen Grenzfluss Neiße sind es nur wenige Schritte bis an den Rand des Tagebaus Turów. Die Sonne scheint und ein paar junge Mäusebussarde nutzen den Aufwind aus der Grube für ihre Flugübungen. Die riesigen Eimerkettenbagger erscheinen aus der Ferne auf die Größe einer Modelleisenbahnanlage geschrumpft zu sein.

Blick in den Braunkohletagebau Turów
Blick in die Braunkohlegrube Turów. Die Großgeräte sind durch die Entfernung auf Spielzeugmaße geschrumpft. Bildrechte: Uwe Walter

Das Profil des Isergebirges wird durch einen Abraumbagger verdeckt, der ein neues Kohleflöz freilegt. Mehr als 30.000 Tonnen Braunkohle werden täglich im benachbarten Kraftwerk verfeuert, um Strom zu erzeugen. Das Kraftwerk ist nach eigenen Angaben mit einer Leistung bis zu 2100 MW das modernste seiner Art in Polen. Auch deshalb will der polnische Energiekonzern PGE Górnictwo i Energetyka Konwencjonalna S.A. noch bis 2044 Braunkohle abbauen und verstromen. Der Tagebau im Zittauer Dreiländereck wird dann 225 Meter tief sein. Auch das sorgt für Befürchtungen bei den Nachbarn in Sachsen und Nordböhmen.

Fernblick auf das Kraftwerk Turów mit Hochspannungsleitungen
Das Kraftwerk samt Tagebau ist nach Ansicht von Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki unverzichtbar für Polen. Bildrechte: Uwe Walter

Umweltverträglichkeitsprüfung beschäftigt erneut polnische Justiz

In Warschau wird kommenden Donnerstag im obersten Woiwodschaftsgericht über die Zukunft des Kraftwerkes und der benachbarten Braunkohlegrube verhandelt - Ausgang offen. Auf dem Prüfstand stehen die Aktivitäten zum Schutz der Umwelt der Tagebaubetreiber. Unter anderem hatte die Stadt Zittau die Umweltverträglichkeitsprüfung der polnischen Behörden angezweifelt. Aufgrund dieser Prüfung erhielt der Energiekonzern PGE von den zuständigen polnischen Behörden im Oktober 2019 zunächst die Konzession bis 2026 und anschließend sogar eine Verlängerung bis 2044. Für die polnischen Behörden waren keine Verstöße ersichtlich. Tschechien klagte deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof, weil Belange der Anrainer nicht ausreichend berücksichtigt worden seien und bekam Recht.

Tagebau Turow: Demonstration von Kohlegegnern in Zittau
Mehrfach gab es in Zittau Proteste gegen den benachbarten Braunkohletagebau im polnischen Bogatynia (Reichenau). Bildrechte: Uwe Walter

Am 21. Mai 2021 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die sofortige Einstellung des Abbaus von Braunkohle bis zum endgültigen Urteil verfügt, aber Polen ignorierte die einstweilige Verfügung. Am 3. Februar 2022 beendeten Tschechien und Polen mit einem Kompromiss ihren Rechtsstreit, bei dem es vor allen um das Trink- und Grundwasser ging. Die Stadt Zittau dagegen klagt weiter in Polen.

Tagebau Turow: beleuchteter Schaufelradbagger in der Nacht
Möglicherweise entscheidet am Donnerstag ein Gericht in Warschau, ob auch bei diesem Bagger demnächst die Lichter ausgehen. Bildrechte: PGE Górnictwo i Energetyka Konwencjonalna S.A.

Sachsen gibt grünes Licht

Der Energiekonzern PGE geht nun in die Offensive. Bei einem Exklusiv-Termin stellte der Tagebaubetreiber MDR SACHSEN seine Ergebnisse der vereinbarten Umweltschutzprojekte vor.

In Bogatynia (Reichenau) verwies Pressesprecherin Sandra Apanasionek zunächst auf ein gemeinsames deutsch-polnisches Treffen vom 4. September 2019 bei der Umweltschutzdirektion in Breslau. Dort waren die Probleme des Abbaus von Braunkohle in unmittelbarer Nachbarschaft von Sachsen laut Protokoll mithilfe von Experten "ausführlich besprochen" worden. Es ging um Staubverunreinigungen und Lärmausweitung, um den Grundwasserspiegel sowie um Bodensenkungen und die Oberflächenüberwachung des Wassers.

Laut Protokoll, das MDR SACHSEN vorliegt, wurden mit den Vertretern der sächsischen Staatsregierung alle Fragen geklärt. Der Freistaat stimmte mit der Unterzeichnung der Fortsetzung des Betriebs des Braunkohletagebaus Turóws zu.

Tagebau Turow: Dt.Poln. Protokoll zum Tagebau
Protokoll eines Treffens in dem der Freistaat der Fortführung des Tagebaus in Turów zustimmt. Bildrechte: Uwe Walter

Millionen für die Umwelt

"Von einer beeindruckenden Bilanz in Sachen Umweltschutz seit 2019", spricht Sandra Apanasionek und verweist in diesem Zusammenhang auf die Höhe der Investitionen. Mehr als 42 Millionen Złoty, das sind rund zehn Millionen Euro, wurden ihren Angaben zufolge in den Umweltschutz investiert.

Demnach wurde, ähnlich wie auf deutscher Seite zwischen Deutsch-Ossig und Hagenwerder beim Tagebau Berzdorf, eine 1,5 Kilometer lange Schlitzwand 120 Meter tief in den Boden getrieben. Damit sollen Wassereinbrüche in den Tagebau verhindert und zudem der Grundwasserspiegel in der Umgebung stabilisiert werden. Die Tschechen hatten insbesondere das Absinken des Grundwassers beanstandet. Nun soll, so die Aussage des polnischen Energieunternehmens, der Grundwasserspiegel in den Messbrunnen an der tschechischen Grenze in den vergangenen Monaten um vier Meter gestiegen sein.

Lärm- und Staubquellen wurden beseitigt

Auch die Drausendorfer und die Zittauer würden von den Investitionen profitieren, meint die Pressesprecherin. Die Lärmbelästigungen seien um 40 Dezibel verringert worden und zwar durch den Austausch von Rollen an den Transportbändern. Es kämen jetzt geräuscharme Rollen oder Walzen zum Einsatz. Weiterhin würden in der Nacht sogar Anlagen abgeschaltet, um die Nachtruhe der Drausendorfer nicht zu stören.

Staubverringerung im Tagebau Turów
Mit klassischen Methoden, aber auch mithilfe modernster Steuerungstechnik, versuchen die Kumpel die Staubbelästigung für die Umgebung des Tagebaus zu verringern. Bildrechte: PGE Górnictwo i Energetyka Konwencjonalna S.A.


Weiterhin soll die Staubbelästigung durch den Tagebau verringert worden sein. So sei ein neues System mit zahlreichen Messstellen installiert worden, welches die Beschickung der Kohlebunker steuere. Es regelt - je nach Staubbelastung - die Geschwindigkeit der Transportbänder. Weiterhin wurden laut PGE mehrfach sogenannte Staubschutzsiebe eingebaut.

Der Betreiber des Tagebaus hat verschiedene Investitionen und Aktivitäten in dieser Region aufgewendet, um die Umwelt besser zu schützen. Wir nutzen dafür modernste Technologien beim Schutz vor übermäßigem Lärm, bei der Abwasserbehandlung oder bei der Rekultivierung. Davon profitieren auch unsere Nachbarn in Deutschland und Tschechien.  

Sandra Apanasionek PGE Komunikacji Turów

Tagebau Turow: Frau im Traditionskabinet PGE
PGE-Pressesprecherin Sandra Apanasionek verweist auf Millionenbeträge, die ihr Konzern für den Umweltschutz in der Region aufwendet. Bildrechte: Uwe Walter

Auch bei der Rekultivierung hat bei PGE offenbar ein Umdenken stattgefunden. So wurde eine alte Halde auf 30 Hektar außerhalb des jetzigen Tagebaubereichs begrünt, eine Altlast, die bislang von Einheimischen immer als Müllkippe bezeichnet wurde. Damit stieg die Waldbedeckungsrate der Gemeinde Bogatynia von 27 auf 30 Prozent.

Tagebau Turow: Vogelperspektive auf Reichenau mit Tagebau im Hintergrund
Die Braunkohle aus dem Tagebau Turów sichert bis zu sieben Prozent der polnischen Stromversorgung. Im Vordergrund Bogatynia. Bildrechte: PGE Górnictwo i Energetyka Konwencjonalna S.A.

PGE: Nicht der Tagebau, sondern Altlasten für Senkungen verantwortlich

Die polnischen Bergbaubetreiber PGE fühlen sich aber nicht für alle Probleme auf deutscher Seite zuständig. Für die Risse an Gebäuden in Drausendorf, Hirschfelde oder Zittau sei der polnische Tagebau nicht verantwortlich, betont die Pressesprecherin von PGE: "In und rund um Zittau gab es seit dem frühen 18. Jahrhundert Bergbau in sehr großem Umfang. Es wurde sowohl über als auch unter Tage nach Kohle gegraben. Es gibt also alte Bergbauschächte. Nicht alle sind bekannt und nicht alle sind verfüllt oder gesichert worden."

Am grünen Ring in Zittau senken sich Häuser aus der Gründerzeit beispielsweise, weil der Sand in einem ehemaligen Flussbett der Mandau nachgibt.

Fakt ist, dass beispielsweise zwischen Zittau und Harthau in den 1990-er Jahren ehemalige Bergbaustollen aufwendig verfüllt und gesichert worden sind. Zuvor war auf der qualitativ besten Braunkohle in der Region das Gewerbegebiet Weinau erschlossen worden. Es befindet sich genau gegenüber vom Braunkohletagebau Turów und ist von ihm nur durch die Neiße und zwei Fernstraßen getrennt.

Zittauer Oberbürgermeister ist fassungslos

Der Zittauer Oberbürgemeister Thomas Zenker (Wählergemeinschaft: Zittau kann mehr) kann die jüngste Argumentation des polnischen Energiekonzerns und Tagebaubetreibers nicht nachvollziehen. "Es ist unglaublich, wie man sich der Verantwortung entzieht, gerade bei den Bodensenkungen."

Ein von der Umweltorganisation Greenpeace in Auftrag gegebenes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der polnische Tagebau verantwortlich für die Setzungen im benachbarten Zittau ist. Aufgrund von Grundwasserentzug nähmen die Bodensenkungsraten von West nach Ost (Richtung Tagebau Turów) generell deutlich zu und seien im Zeitraum 2014 bis 2019 durch InSAR-Messungen (Messungen mithilfe von Satelliten/ Anm. d.Red.) zweifelsfrei belegt, heißt es in der Studie.

Auch deshalb ist der Zittauer Kommunalpolitiker ist gespannt, wie das Woiwodschaftsgericht in Warschau am Donnerstag entscheiden wird. Illusionen gibt sich Zenker aber nicht hin.

Tagebau Turow: Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker
Der Zittauer Oberbürgermeister Thomas Zenker klagt gegen die polnische Umweltverträglichkeitsprüfung und damit gegen den Tagebau Turów im Auftrag der Stadträte. Bildrechte: Uwe Walter


Bis zum sieben Prozent der benötigten Energie in Polen kommen aus Turów. Deshalb hält Ministerpräsident Mateusz Morawiecki das Kraftwerk und den Tagebau im Zittauer Dreiländereck derzeit für Polen unverzichtbar.

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Bautzen | 28. August 2023 | 05:30 Uhr

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