Symbolfoto ein Flugzeug auf einer Landebahn hinter Stacheldraht
Der nächste planmäßige Abschiebungsflug nach Irak soll am 12. Dezember abheben. Auch der 18-jährige Mazyar A. könnte dann mitfliegen, obwohl seine Familie noch in Freiberg lebt. Bildrechte: IMAGO / Rene Traut

Integration Diskussion um geplante Abschiebung des 18-jährigen Irakers Mazyar A.

07. Dezember 2023, 16:48 Uhr

Der junge Mazyar A. aus Nordirak lebt seit zwei Jahren in Freiberg. Vergangene Woche wurde er fast abgeschoben, saß dann in Abschiebehaft. Der Sächsische Flüchtlingsrat und die Linke verweisen auf den Fachkräftemangel und die gute Integration von Mazyar A. Sachsens Innenministerium sieht keinen Ermessensspielraum, um von der Abschiebung abzusehen. Ein Antrag bei der Härtefallkommission verschafft dem Iraker jetzt vorerst eine Duldung.

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Eineinhalb Wochen lang musste Mazyar A. in Abschiebungshaft zittern. Dort habe er gewirkt wie unter Schock: So beschreibt ein Mitarbeiter vom Sächsischen Flüchtlingsrat seinen Eindruck nach einem Besuch bei dem Iraker. Am 27. November habe die Polizei früh morgens die Wohnung von Familie A. aufgesucht und den 18-jährigen Mazyar mitgenommen. Nach Angaben des Flüchtlingsrates schilderte ein älterer Bruder, dass die Anwesenheit der restlichen Familie die Polizisten erkennbar überrascht habe.

Für die sächsische Linke ist die geplante Abschiebung von Mazyar A. auch deshalb skandalös. Im Irak wäre er auf sich alleine gestellt, so die Argumentation der migrationspolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Juliane Nagel: "Mazyar A. soll aus dem Kreis seiner Familie gerissen werden – als einziger. Er hat keinerlei Straftaten begangen. Er ist Teil dieser Gesellschaft. Die deutsche Abschiebebürokratie handelt hier zutiefst unmenschlich und wirft in Zeiten des Arbeits- und Fachkräftemangels ohne Not einen Menschen aus dem Land."

Die deutsche Abschiebebürokratie handelt hier zutiefst unmenschlich und wirft in Zeiten des Arbeits- und Fachkräftemangels ohne Not einen Menschen aus dem Land.

Juliane Nagel Migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion Sachsen

Was hat es mit den Vorwürfen auf sich?

Dass Mazyar A. ohne seine Familie abgeschoben werden soll, hält auch der Flüchtlingsrat für problematisch. Vor Ort wäre er auf sich alleine gestellt, weil seine Familie vor einem Jahr ebenfalls nach Deutschland kam. Grund für die Flucht sei eine Familienfehde im Irak gewesen – unter anderem sei auf das Auto des Vaters geschossen worden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte jedoch den Asylantrag von Mazyar A. ab. Die zweiwöchige Frist, um gegen die Entscheidung zu klagen, verpasste der damals Minderjährige nach eigener Aussage.

Während das BAMF die Entscheidung über den Asylantrag trifft, ist der Freistaat für die Vollstreckung zuständig. Innenminister Armin Schuster (CDU) hatte dieses Jahr mehrfach ein härteres Vorgehen bei Abschiebungen angekündigt. Genauer gesagt, mehr und schneller ausgeführte Rückführungen von ausreisepflichtigen Ausländern in ihre Herkunftsländer.

Überproportional viele Menschen würden trotzdem nicht abgeschoben, reagiert das Ministerium auf entsprechende Kritik vom Flüchtlingsrat. "Vielmehr normalisiert sich der Rückführungsvollzug nach dem insbesondere pandemiebedingten Einbruch der Abschiebungszahlen wieder", so eine Ministeriumssprecherin. Zum 31. Oktober habe der Freistaat im laufenden Jahr 683 Menschen abgeschoben, das sind etwa so viele wie im gesamten Jahr 2021.

Im Fall von Mazyar A. sieht das Ministerium keinen Ermessensspielraum für den Freistaat Sachsen, um von der Abschiebung abzusehen: "Der Betroffene ist volljährig und einige weitere Mitglieder seiner Familie aktuell nicht ausreisepflichtig, weshalb aus aufenthaltsrechtlicher Perspektive keine Familientrennung erfolgt." Als Familientrennung gilt es laut Familienasyl nur, wenn es dabei um Minderjährige geht. Bei Mazyar A. warteten die Behörden allerdings mit der Abschiebung, bis der Iraker volljährig war.

Der Betroffene ist volljährig und einige weitere Mitglieder seiner Familie aktuell nicht ausreisepflichtig, weshalb aus aufenthaltsrechtlicher Perspektive keine Familientrennung erfolgt.

Sächsisches Ministerium des Inneren

Sicherheitslage im Irak

Dabei spiele es auch keine Rolle, ob der junge Mann straftätig gewesen sei. In den letzten Jahren waren nur Gefährder und Straftäter in den Irak abgeschoben worden – auch aufgrund der dortigen Sicherheitslage. Inzwischen habe sich diese innenpolitisch stabilisiert, so die Einschätzung des Sächsischen Innenministeriums. Deshalb würden jetzt auch nichtstraftätige Menschen dorthin abgeschoben.

Der Sächsische Flüchtlingsrat sieht das anders und verweist auf die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes. Dort wird vor Reisen nach Irak gewarnt, für die nordirakische Region Kurdistan wird von nicht erforderlichen Reisen abgeraten.

Bleibt noch die Frage von Integration und dem Zusammenhang mit dem hiesigen Fachkräftemangel. Nach Angaben des Flüchtlingsrates strebt Mazyar A. eine Ausbildung in Deutschland an. In den zwei Jahren seit seiner Ankunft in Freiberg habe er ein B2-Zertifikat der deutschen Sprache erlangt. Das Niveau B2 entspricht einer selbstständigen, fließenden Sprachverwendung in Wort und Schrift. Im Irak habe Mazyar A. die Schule bis zur 11. Klasse abgeschlossen. Um seinen Schulabschluss in Deutschland zu erlangen, habe er bereits eine DaZ-Klasse - Deutsch als zweite Fremdsprache - besucht.

Er habe alle Behördengänge für sich, seine Mutter und seine vier Geschwister übernommen. Für Flüchtlingsrat-Sprecher Dave Schmidtke steht fest: "Die Abschiebung von Mazyar wäre für ihn persönlich, aber auch für die Integration seiner Familie eine Katastrophe."

Ein junger blonder Mann mit roten Pullover sitzt vor einem Schreibtisch
Dave Schmidtke Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Abschiebung von Mazyar wäre für ihn persönlich, aber auch für die Integration seiner Familie eine Katastrophe.

Dave Schmidtke Sächsischer Flüchtlingsrat

Ausbildungswunsch: Anlagemechaniker

Nach Ansicht des Sächsischen Innenministeriums ist allerdings klar: "Das Aufenthaltsgesetz setzt den Rahmen, ob und wie einem Ausreisepflichtigen eine Bleibeperspektive wegen guter Integration oder Aufnahme einer Ausbildung bzw. einer beruflichen Tätigkeit eröffnet ist. Diese Voraussetzungen lagen bei dem Betroffenen nicht vor."

Der nächste planmäßige Abschiebeflug in Richtung Irak soll am 12. Dezember abheben. Die Anwältin von Mazyar A. war laut Flüchtlingsrat zunächst davon ausgegangen, dass dann auch der 18-Jährige an Bord sein solle. Diese Gefahr ist vorerst abgewendet: Seit Mittwochabend ist Mazyar A. wieder bei seiner Familie. Zu verdanken hat er das einem Antrag des Flüchtlingsrates bei der Härtefallkommission. Bis die über seinen Fall entscheidet, kann der Iraker bleiben. Wie lange das genau dauert, ist allerdings schwer abzuschätzen.

"Mazyar sucht jetzt nach einem Job mit Ausbildungsmöglichkeit zum Anlagenmechaniker", sagt Dave Schmidtke vom Flüchtlingsrat. Seit seiner Freilassung habe der Iraker bereits mehrere Bewerbungen verschickt. Mit einer Ausbildung würden die Chancen auf ein Bleiberecht deutlich steigen.

Welche Möglichkeiten bleiben Mazyar A.?

Theoretisch könne auch die zuständige Ausländerbehörde in Freiberg eine Duldung für Mazyar A. aussprechen. Auf eine entsprechende Anfrage von MDR SACHSEN, ob die Behörde dies in Erwägung zieht, kam innerhalb der gesetzten Frist keine Antwort. Außerdem weist das Innenministerium darauf hin, dass trotz einer Duldung theoretisch Abschiebungen erfolgen können.

Ansonsten bleibe noch eine weitere Chance: Eine ältere Schwester des Irakers befinde sich aktuell noch im Klageverfahren gegen ihren ebenfalls gescheiterten Asylantrag. Sollte sie Recht bekommen, so der Flüchtlingsrat, könnte auch Mazyar A. einen neuen Antrag stellen.

MDR

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