Erinnerungsarbeit zu Holocaust Nie wieder! Wie Azubis aus Zwickau Botschafter gegen Faschismus werden

Auch 77 Jahre nach dem Ende der Diktatur der Nationalsozialisten und dem Bekanntwerden des Massenmordes an Jüdinnen und Juden in ganz Europa, existieren noch immer antisemitische Vorurteile. Auszubildende von Volkswagen wollen nun mit Erinnerungsarbeit dagegen vorgehen und sind dabei nicht nur in der Gedenkstätte des Vernichtungslagers Auschwitz, sondern auch in Zwickau und Umgebung aktiv geworden.

Es ist noch lange nicht vorbei: Das mussten Clarissa Haferkorn und Jil Eiselt erst kürzlich in ihren Berufsschulen auf die harte Tour lernen. Die angehende Werkzeugmechanikerin und die künftige Verfahrensmechanikerin lernen ihren Beruf beide bei Volkswagen (VW) in Zwickau und besuchen für die Theorie allgemeine Berufsschulen in der Region.

Beide meldeten sich freiwillig auf das Angebot von VW, für eine Woche Konservierungsarbeit an der Gedenkstätte des Vernichtungslagers Auschwitz zu leisten und sich in diesem Zusammenhang umgehend mit deutscher Vergangenheit zu befassen. "Wir fuhren mit, um das, was wir vor Ort lernten und erfuhren, später auch an andere heranzutragen, quasi als Multiplikatoren", erklärt Clarissa Haferkorn.

Vorurteile auch in Berufsschulen

Dass dies noch immer bitter nötig ist, zeigte sich, als beide Azubis nach der Woche wieder in ihre Berufsschulklassen kamen und von ihren Erlebnissen erzählen wollten. "Dort kannst du gleich bleiben", sagte ein Mitschüler zu Jil Eiselt in ihrer Berufsschulklasse, als bekannt wurde, dass sie am Projekt teilnimmt.

Auch Clarissa Haferkorn machte negative Erfahrungen. "Als der Lehrer mich in der Klasse fragte, wie es denn war, begannen sie zu lachen“, erzählt sie. Davon wollen sich die 18- und die 20-Jährige jedoch noch unterkriegen lassen. "So viele Menschen sind komplett falsch informiert über das Thema", sagt sie, da gelte es nun, Aufklärung zu betreiben.

Besuch in Auschwitz hinterlässt bleibende Eindrücke

Auch die vier jungen Erwachsenen aus Zwickau, die in einer Gruppe von 15 Auszubildenden aus ihrer Region, Dresden und Wolfsburg nach Auschwitz reisten, erfuhren einige Brüche mit ihren Erwartungen. Etwa, was das Ausmaß des Grauens betrifft, dass die Nationalsozialisten im Vernichtungslager Auschwitz organisierten.

Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1 min
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Fr 24.01.2020 17:45Uhr 00:55 min

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"Man bekommt in der Schule zwar Zahlen gelehrt, die kann man sich aber kaum vorstellen. Etwas Anderes ist es aber, die Räume voller Schuhe und Brillen zu sehen, von Menschen, die dort zu Tode kamen", sagt Franz Mühlmann. Lukas Sacher gingen vor allem die Kinderschreie unter die Haut, die aus Lautsprechern zu hören sind, gepaart mit Kinderzeichnungen. "Es macht etwas mit der eigenen Wahrnehmung, dies vor Ort zu erleben", sagt er.

Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau war das größte Lager, das auf polnischem Boden errichtet wurde, und es diente sowohl als Arbeits- und Konzentrationslager als auch als Vernichtungslager. Auschwitz war dazu bestimmt, das zentrale Lager für die Vernichtung des jüdischen Volkes zu sein, und es wurden dort mehrere Gaskammern und Krematorien errichtet. Die Vernichtung wurde mittels des Gases Zyklon B durchgeführt, das zuvor an sowjetischen Kriegsgefangenen getestet worden war. yadvashem.org

Konservierungsarbeiten für künftige Generationen

Wie die Auszubildenden erzählen, besuchten siedie Gedenkstätte, informierten sich, wurden aber auch zu Arbeitseinsätzen delegiert. Sie reinigten Ziegel, säuberten Abwasserkanäle und jäteten Unkraut – taten also alles, um den Gedenkort auch für künftige Generationen zu erhalten.

Dass dies, wichtig ist, steht für sie alle außer Frage. "Es ist das Wichtigste was wir haben, um zu zeigen, was passiert ist", sagt Franz Mühlmann, denn keiner könne das ehemalige Konzentrationslager ohne bleibende Eindrücke wieder verlassen. "Wir konnten wieder nach Hause gehen. Doch die Opfer des Holocaust blieben dort", fasst Jil Eiselt zusammen.

Wir konnten wieder nach Hause gehen. Doch die Opfer des Holocaust blieben dort.

Jil Eiselt Auszubildende

Volkswagen pflegt Erinnerungsarbeit

Seit mehr als 20 Jahren pflegt Ines Doberanzke die Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Auschwitz. Nicht nur mit Auszubildenden auf deutscher und polnischer Seite organisiert sie Kooperationen, sondern auch Manager können dort regelmäßig Veranstaltungen in Auschwitz besuchen.

"Von Anfang an hat mich fasziniert, was man mit diesen Projekten erreichen kann, was sie mit den Menschen machen, wie sie davon zurückkommen. Auch Manager denken danach über den Sinn des Lebens nach. Das schlägt sich in ihrem Umgang mit den Mitarbeitenden nieder“, sagt sie.

Die Kooperation mit dem polnischen Vernichtungslager oder Erinnerungsarbeit insgesamt hält sie für elementar – auch unabhängig vom der historischen Verwicklung ihres eigenen Konzerns während der Zeit des Nationalsozialismus.

"Wir dürfen das Thema nicht allein den Schulen und Bildungseinrichtungen überlassen. Auch große Unternehmen haben einen Bildungsauftrag und müssen die Demokratie festigen“, sagt Ines Doberanzke.

Botschafter der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen

So sehen es auch die Teilnehmenden des Projektes. "Unsere Aufgabe ist es, Nichtwissende aufzuklären, ihnen von unseren Erlebnissen, vom Geschehenen zu erzählen und vor allem auch, darüber zu sprechen, wie man das verhindern kann", sagt Franz Mühlmann. Bei einer Veranstaltung am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht in Zwickau, sprach er über seine Erfahrungen. "Wir sind nicht für die Vergangenheit verantwortlich, aber für die Zukunft", sagt der Auszubildende den Anwesenden.

Was ist die Reichspogromnacht? - In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannte es überall in Deutschland: Juden wurden überfallen und misshandelt, Synagogen standen in Flammen, Geschäfte, die Juden gehörten, wurden geplündert und zerstört.
- Doch weder Polizei noch Feuerwehr griffen ein. Polizisten und Schlägertrupps der Nationalsozialisten standen gaffend dabei oder machten mit.
- In dieser Nacht vor 84 Jahren wurde für alle Welt sichtbar: Die Judenhetze in Deutschland hatte einen schrecklichen Höhepunkt erreicht. Die Juden sollten endgültig aus Deutschland vertrieben werden. Die Betroffenen waren der Willkür des deutschen Staates und der Bürger ausgeliefert. Hanisauland.de (Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung)

Die Gedenkveranstaltung besuchten alle 15 Auszubildenden, die in diesem Jahr nach Auschwitz reisten, gemeinsam mit Ines Doberanzke und Christoph Heubner. Dieser ist Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees und betreut von dieser Seite das Projekt.

Eine Woche voller Austausch und Bestärkung

Die jungen Leute waren für eine ganze Woche in Zwickau, besuchten die Stadt, legten einen Kranz am Friedhof in Ruppertsgrün am Grab von KZ-Häftlingen nieder, die auf der Flucht erschossen wurden. Vor allem aber nutzten sie die Zeit, wie sie sagen, zum Austausch und auch zur gegenseitigen Bestärkung.

"Wir sind die letzte Generation, die noch mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu tun hat – wir müssen mit ihnen sprechen und ihre Geschichten weitertragen“, sagt Clarissa Haferkorn. Und genau das haben sie und ihre Reisegefährten nun auch vor – in der Berufsschule, in den Kantinen, im Werk.

Wir sind die letzte Generation, die noch mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu tun hat – wir müssen mit ihnen sprechen und ihre Geschichten weitertragen.

Clarissa Haferkorn Auszubildende

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MDR (sho)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten | 07. November 2022 | 10:30 Uhr

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