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In ihrem neuen Film nähert sich Regisseurin Grit Lemke ihren sorbischen Wurzeln. Die Doku feuert Premiere beim DOK Leipzig. Entstanden ist eine authentische Innenansicht, rezensiert MDR KULTUR-Filmkritiker Lars Meyer.

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"Bei uns heißt sie Hanka" Premiere beim DOK Leipzig: Grit Lemkes Film beleuchtet sorbische Identität

10. Oktober 2023, 16:01 Uhr

Grit Lemke nähert sich in ihrem neuen Film "Bei uns heißt sie Hanka" der sorbischen Identität. Die Regisseurin hat selbst sorbische Wurzeln. So entstand kein folkloristisches Klischeebild, sondern eine authentische Innenansicht mit vielen Facetten. Der Film läuft beim Filmfestival DOK Leipzig im Deutschen Wettbewerb.

In ihrem Film "Bei uns heißt sie Hanka" erzählt Grit Lemke von ihrer ganz persönlichen Suche nach der sorbischen Identität. Die Dokumentation läuft beim DOK Leipzig im Deutschen Wettbewerb und wird am Leipziger Hauptbahnhof gezeigt.

Nach "Gundermann Revier" (2019) und ihrem vielbeachteten dokumentarischen Roman "Kinder von Hoy. Freiheit, Glück und Terror" (2021) kehrt sie damit zurück an den Ort ihrer Kindheit, in die Lausitz. Es geht um die vielen Facetten einer Volksgruppe, die diesen Landstrich einst besiedelte, aber politisch wie kulturell kaum repräsentiert ist.

Zwei Frauen gestalten bei einer dritten Frau ihr sorbisches Kostüm.
Der Haarschmuck einer klassischen sorbischen Tracht sieht schön aus – macht aber auch eine Menge Arbeit.  Bildrechte: Neue Visionen Filmverleih

"DIE Sorben gibt es nicht – genauso wenig wie es DIE Deutschen gibt", stellt der sorbische Schriftsteller Jurij Koch klar, der inzwischen 87 Jahre alt ist und schon in DEFA-Filmen über die Lausitz zu sehen war. Ein Dilemma, das gleich zu Beginn von Lemkes Dreharbeiten stand: Wie soll man einen Film über ein Volk machen? Noch dazu über eines ohne Territorium, das unterdrückt, germanisiert und schließlich musealisiert wurde?

Viele der sorbischen Dörfer verschwanden im Tagebau. Es verschwanden Traditionen, lebendige Kultur und sorbisches Selbstbewusstsein. Lange Zeit wollten viele Sorben oder Wenden lieber Deutsche sein – aus guten Gründen.

DIE Sorben gibt es nicht – genauso wenig wie es DIE Deutschen gibt.

Jurij Koch, sorbischer Schriftsteller

Es sollte kein folkloristisches Bild entstehen

Für die Regisseurin war gleich klar, dass sie mit einem persönlichen Ton herangehen muss. "Ich erzähle ja grundsätzlich nur Geschichten, die irgendwas mit mir zu tun haben", beschrieb sie im letzten Dezember bei MDR KULTUR ihren Ansatz.

Sie berichtete von der großen Herausforderung, sorbische Trachten und Tänze als Teil der Identität zeigen zu müssen, aber gleichzeitig nicht in die Falle zu tappen, ein folkloristisches Bild zu zeichnen. Eine Gratwanderung, die ihr schließlich gelungen ist.

Zwei Männer an einem Kaffeetisch, der Großvater im Sessel, sein Enkel neigt sich ihm zu.
Bei Gesprächen mit seinem Großvater erfährt Měto, dass Sorbisch-Sein früher eine Menge Probleme mit sich brachte. Bildrechte: Neue Visionen Filmverleih

Über Sorben wurde nur negativ gesprochen

Lemke stammt selbst aus der Lausitz, wurde in Spremberg geboren und wuchs in Hoyerswerda auf. Sorbische Gebräuche und Namen waren eigentlich überall, doch das war ihr kaum bewusst. "Lauf nicht rum wie 'ne Wend'sche Hanka" lautet ein Spruch, an den sie sich von damals erinnert.

Eine blonde Frau in Alltagskleidung sitzt in einem Sessel.
Die junge Anna "Hanka" Wjesela entdeckt ihr sorbisches Erbe. Bildrechte: Neue Visionen Filmverleih

"Ich hab sozusagen meine ganze Kindheit und Jugend nie etwas Positives über Sorben gehört. Und irgendwann stellt man dann fest, dass die eigene Familie sorbische Wurzeln hat. Da fängt man an, genau hinzugucken: Wo kommt man eigentlich her? Was sind das für Wurzeln? Und was ist da passiert?"

Ein neues politisches Bewusstsein

Vielen ihrer Protagonistinnen geht es ganz ähnlich. Sie verändern ihr Bewusstsein und zum Teil auch ihre politische Einstellung. Wie ein Fan von Energie-Cottbus, der sich früher als deutsch-national verstand. Heute, nachdem er von seinen sorbischen Wurzeln erfahren hat, würde er besser verstehen, wie mit Minderheiten in diesem Land umgegangen wird, sagt er im Film.

Eine sorbische Braut und ein sorbischer Bräutigam stehen sich bei ihrer Hochzeit im Film "Bei uns heißt sie Hanka" gegenüber. 57 min
Hanka und Ignac feiern ihre sorbische Hochzeit und der Film "Bei uns heißt sie Hanka" ist mittendrin. Bildrechte: Neue Visionen Filmverleih
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Beim Filmfestival DOK Leipzig hat "Bei uns heißt sie Hanka", ein Film über sorbische Identität, Premiere gefeiert. Knut Elstermann spricht mit der Regisseurin Grit Lemke und Protagonisten des Films über das Projekt.

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Hanka, die titelgebende Protagonistin, hat auch gerade erst ihre sorbischen Wurzeln wiederentdeckt und angefangen, Sorbisch zu lernen. Sie heiratet in eine traditionsbewusste Familie aus der Oberlausitz ein. Das rauschende sorbische Hochzeitsfest, mitreißend gefilmt, ist auch ein Statement: Wir sind hier. Für den Außenstehenden mag es tatsächlich an Folklore grenzen. Doch der große Unterschied ist: Das hier ist selbstbestimmte und sehr lebendige Kultur.

Sprache als Schlüssel zur Identität

Der Schlüssel zur sorbischen Identität ist für Lemke ganz klar die Sprache. In den meisten Szenen wird bewusst sorbisch gesprochen, obwohl die Menschen auch deutsch reden könnten. Aber wieso sollten sie?

Der Film vollzieht einen wichtigen Perspektivwechsel. Neben der Sprache sind Musik und Landschaft wesentliche Elemente. In poetischen Aufnahmen wird auch von den "Schmerzen der Lausitz" erzählt – so hieß bereits ein Film von Peter Rocha von 1990. Anders als damals gibt es heute ein neues sorbisches Selbstbewusstsein. Es ist fragil, aber vielschichtig.

Der Film "Bei uns heißt sie Hanka"
"Pla nas gronje jej Hanka"
"Pola nas rěka wona Hanka"
Regie: Grit Lemke

Dokumentarfilm, Deutschland 2023, 92 Minuten

Aufführung beim DOK Leipzig
Mittwoch, 11. Oktober, 19:30 Uhr | Leipziger Hauptbahnhof (Osthalle)

Quellen: MDR KULTUR (Lars Meyer)
Redaktionelle Bearbeitung: op, hro

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. Oktober 2023 | 17:40 Uhr

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