Drei Personen in einer Ausstellung im Mauritianum Altenburg
Mike Jessat, Direktor des Naturkundemuseums Mauritianum Altenburg, zeigt Exponate mit kolonialer Herkunft. Zu seiner Linken stehen die Provenienzforscherin Katharina Taxis und Museums-Mitarbeiter Thomas Fanghänel. Bildrechte: Museumsverband Thüringen e. V.

Provenienzforschung Hunderte Kulturgüter mit zweifelhafter Herkunft in Thüringer Museen festgestellt

23. Oktober 2023, 13:24 Uhr

In den mehr als 200 Museen in Thüringen ist nicht nur Heimisches zu sehen. Es gibt auch Ausstellungsstücke aus aller Welt, bei denen nicht bekannt ist, unter welchen Umständen sie in die Sammlungen gekommen sind. Das will die Provenienzforschung herausfinden. Der Museumsverband hat in diesem Jahr rund 2.200 Exponate untersucht - mindestens ein Drittel davon ist auf fragwürdigen Wegen aus Kolonien hierher gekommen.

Aktuelle Nachrichten des Mitteldeutschen Rundfunks finden Sie jederzeit auf mdr.de und in der MDR Aktuell App.

Schnitzereien, traditionelle Kleider, menschliche Überreste: Viele Thüringer Museen beherbergen Exponate, die nicht aus Europa stammen. Wie diese Dinge hierherkamen, untersucht die Provenienzforschung. Dabei geht es besonders um die Frage, ob sie einst zu einem fairen Preis gekauft wurden, ob sie Geschenke waren oder ob sie gewaltsam und mit Macht enteignet wurden. In fünf Museen haben sich Expertinnen und Mitarbeiter im Rahmen eines sogenannten Erstchecks "Koloniale Kontexte" rund 2.200 Dinge unklarer Provenienz, also Herkunft, angeschaut. Und sie sind fündig geworden.

Thüringer Museen: Externe Gutachter prüfen Herkunft von Ausstellungsstücken

Der Erstcheck gilt laut Museumsverband als eine niederschwellige Methode, er wurde speziell für kleine und mittlere Museen entwickelt. Externe Fachleute kommen ins Haus und helfen bei der Aufklärung. Wenn vermutet wird, dass sich fragwürdige Exponate in den Ausstellungen oder Sammlungen befinden, kann die Museumsleitung beantragen, an einem Erstcheck-Projekt teilzunehmen.

Bei einem vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste finanzierten Projekt waren in diesem Jahr vom Frühjahr bis zum August fünf Museen dabei: die Staatliche Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz, das Stadtmuseum Gera, das Thüringer Landesmuseum Heidecksburg in Rudolstadt, das Deutsche Spielzeugmuseum Sonneberg und das Naturkundemuseum Mauritianum Altenburg.

Die Häuser wählten jeweils Exponate aus, die untersucht werden sollten. Sie legten Akten, Karteikarten oder Bestandsbücher bereit und richteten einen Arbeitsplatz für die Provenienzforscherin Hannah Romstedt ein. Sie hatte dann zehn Tage pro Museum Zeit. Zunächst schaute sie sich gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - nach ersten Rundgängen durch jeweils die ganze Ausstellung - die ausgewählten Gegenstände an. Vielleicht hatte sie ja schon Vergleichbares gesehen und bewertet. Ein Teil der Exponate musste aus den Depots geholt werden. Romstedt las Etiketten und Aufschriften, schaute in die Bestandsbücher der Museen. Schließlich konnte sich auch ein Blick in die Stadtarchive lohnen.

Ambopuppe wird in Ausstellung platziert.
In diesem Austellungsstück in Sonneberg erkannten die Provenienzforscher eine Fruchtbarkeitspuppe aus dem heutigen Nambia. Das Gebiet war einst Deutsche Kolonie. Bildrechte: Museumsverband Thüringen e. V.

"Puppe" aus Sonneberger Spielzeugmuseum ist Fruchtbarkeitssymbol aus Namibia

Mit teils erstaunlichen Ergebnissen: Im Deutschen Spielzeugmuseum Sonneberg hatten Ausstellungsstücke Aufschriften mit japanischen und chinesischen Zeichen, die in der Kürze der Zeit nicht gleich übersetzt werden konnten. Hier soll es daher weitere Untersuchungen geben. Außerdem stellte sich heraus, dass eine in der Dauerausstellung als Urform einer Puppe deklarierte Figur eigentlich ein Fruchtbarkeitssymbol ist, eine Ambo-Puppe.

Sie stammt von den Ovambo, der zahlenmäßig stärksten Bevölkerungsgruppe in Namibia. Wie sie ins Museum nach Sonneberg gekommen war, konnte der Erstcheck noch nicht klären. Weil die Figur falsch eingeordnet war, wurde sie jedoch schon aus der Vitrine genommen. Das Museum überlegt nun, wie sie künftig im richtigen Zusammenhang ausgestellt werden kann.

Mann und Frau begutachten historisches Buch.
Museumsleiter Dr. Ulf Häder und Provenienzforscherin Hannah Romstedt untersuchen ein Exponat der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung in Greiz. Bildrechte: Museumsverband Thüringen e. V.

Indonesische Zauberbücher in Ostthüringer Museen

In gleich drei Museen fand die Provenienzforscherin sogenannte "Pustaha", das sind Zauberbücher des Volkes der Batak aus Indonesien. Die Funde in Gera, Rudolstadt und Greiz werden nun in wissenschaftlichen Datenbanken eingetragen und können künftig näher untersucht werden. Zudem hat die Staatliche Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz bereits eine Sondervitrine eingerichtet, um das Zauberbuch zu zeigen. Solche "Pustaha" sind in vielen öffentlichen Sammlungen in Europa zu finden. Es wird geschätzt, dass es mehrere Hundert sind. Wohlgemerkt: vor allem in europäischen Museen.

Altenburger Naturkundemuseum hat viele außereuropäische Exponate

Der Erstcheck in Thüringen hat auch gezeigt: Besonders viele Exponate, die nicht aus Europa stammen, befinden sich im Naturkundemuseum Mauritianum Altenburg. Darunter sind Gegenstände des ehemaligen Hirtenvolkes der Ovaherero aus Namibia, bei denen es als sehr wahrscheinlich gilt, dass sie mit Gewalt enteignet wurden. Das gilt nach Angaben des Museumsverbandes auch für viele weitere Objekte aus der ganzen Welt. Um zu klären, wie sie einst nach Deutschland kamen, kann die Forschung demzufolge auf viele Akten und Briefwechsel zurückgreifen. Museumsleiter Mike Jessat möchte der Sache schnell in einem langfristigen Projekt nachgehen.

Das Gebäude des Naturkundemuseum in Altenburg wird von der Abendsonne angestrahlt.
Das Gebäude des Naturkundemuseums in Altenburg. Bildrechte: Naturkundemuseum Mauritianum Altenburg

Provenienzforschung steht in Deutschland noch am Anfang

Insgesamt steht die Provenienzforschung, also die Suche nach Ursprung und Umständen des Erwerbs durch ein Museum, in Deutschland noch am Anfang. Der Museumsverband Thüringen zum Beispiel hat erst seit Beginn dieses Jahres feste Stellen für diese Aufgabe besetzt. Koordinatorin des Bereiches ist Sabine Breer. Sie hebt hervor, "dass es bei der Provenienzforschung darum geht, möglichst lückenlos alle Vorbesitzer nennen, also die Biografie der Objekte und Eigentümer."

Ihre Mitarbeiterin Katharina Taxis findet, dass sich damit neue Perspektiven auch für die Ausstellungen eröffnen: "Ein Objekt kann immer mehrere Geschichten erzählen: Wie ist es zu uns gekommen, was haben andere Menschen dazu zu erzählen. Ein Teil kann ein Unrechts-Kontext sein, aber es gibt daneben vielleicht auch, ganz viele andere Geschichten zu erzählen." In dem Zusammenhang stellt sich freilich die Frage, wie sich Unrecht zum Teil wieder gut machen lässt.

Die Frage ist nicht nur, warum machen wir Provinenzforschung, sondern auch: für wen? Gerade in kolonialen Kontexten betrifft es die Herkunftsgesellschaften. Es ist ein Teil unserer Verantwortung zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte, mit den Menschen dort in Kontakt zu treten.

Katharina Taxis Provenienzforscherin beim Museumsverband

Neben Kolonialgeschichte auch Enteignungen von NS-Verfolgten im Fokus

Das gilt auch für die Ergebnisse der Provenienzforschung in anderen als kolonialen Kontexten. Eine große Rolle spielen hier die Enteignungen von jüdischen Familien in der Nazi-Zeit. Die Klassik Stiftung Weimar hatte in diesem Kontext zwischen 2010 und 2020 rund 39.000 Museumsgegenstände untersucht - also Exponate, Bücher oder Dokumente, die zwischen 1933 und 1945 erworben wurden.

Nach einem Erstcheck wurden 11.000 Gegenstände näher betrachtet und im Ergebnis 2.700 zurückgegeben, in der Fachsprache restituiert, teilweise auch zurückgekauft. Schaut man im heutigen Bereich nur dieser einen Stiftung auf die Erwerbungen zwischen 1945 und 1989, also zu Zeiten der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR, wird von der zehnfachen Menge ausgegangen. Und auch hier handelt es sich in vielen Fällen um Möbel, Kunstwerke oder Bücher aus dem Eigentum von Menschen, die aus der DDR geflüchtet waren oder die sie mit einem genehmigten Ausreiseantrag verlassen hatten. 

Restitution: Meiningen gibt norwegische Schamanen-Trommel zurück

Unabhängig vom gerade beschrieben Erstcheck hatte ein Restitutionsfall in Thüringen gerade ein gutes Ende genommen: Eine Gruppe Samen aus Norwegen konnte in Meiningen eine Schamanen-Trommel entgegennehmen, die dem Volk vor 300 Jahren im Zuge der Christianisierung geraubt worden war. Im 19. Jahrhundert war der religiöse Gegenstand als Geschenk zum Herzog von Sachsen-Hildburghausen gekommen und schließlich in der Musikinstrumentensammlung in Meiningen gelandet. Hier ausgestellt als exotisches Instrument, von den Samen hingegen als Symbol des Glaubens verehrt. Zum Dank bekam Meiningen als Geschenk eine Statue, die nun vor dem Theatermuseum steht.

MDR (ls)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Kulturnacht | 22. Oktober 2023 | 22:10 Uhr

9 Kommentare

OdinsKrieger vor 28 Wochen

Darauf läuft es wohl grundsätzlich hinaus! Dank dieser sinnlosen Provenienzforschung, die kein Mensch benötigt, wird Museen nur geschadet und wenn Ihnen am Ende kaum noch was bleibt, können diese auch dicht machen und schon hat man Platz zum unterbringen weiterer Fremdlinge.

OdinsKrieger vor 28 Wochen

Kein Mensch und kein Museum braucht diese Provenienzforschung! Man sollte die Museen einfach in Ruhe lassen und sich einfach an den Exponaten erfreuen! Kein anderes Land macht so einen Zirkus wie man es hier in Deutschland macht! Einfach nur erbärmlich!

Kleingartenzwerg vor 28 Wochen

Ich empfinde es als absolut gerechtfertigt wenn eindeutig z.B. auch persönlich zuordenbare Gegenstände zurück geben werden so wie beispielsweise bei persönlichen Gegenständen von Hendrik Withbooi geschehen. Was jetzt gemacht wird, also alles wofür kein " notariell beglaubigter Kaufvertrag", kein Kassenzettel und keine Bestätigung eines angemessenen Preises vorliegen unter Generalverdacht zu stellen halte ich für unangemessen und völlig überzogen.
Vielleicht geht es aber auch nur darum auf der überzogenen woken Welle der "Aufarbeitung ein Kolonialen Vergangenheit" sich maximal zu profilieren um das eigene Auskommen und ausreichend Fördermitteln sicherzustellen.
Äußerst ambivalent dieses Thema!!

Mehr aus der Region Gera - Altenburg - Zwickau

Mehr aus Thüringen