Schülerin bei einem Praktikum.
Schülerinnen un Schüler aus ingesamt 15 Schulen nehmen am Praktikumsprojekt teil. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

TiP Schule mal anders: Ostthüringer Schüler einmal pro Woche in Unternehmen

21. Februar 2024, 15:07 Uhr

Er ist offiziell ein Schultag, aber er findet nicht in der Schule statt: der "Tag in der Praxis", kurz TiP genannt. Ältere Thüringer denken da vielleicht an "UTP", den "Unterrichtstag in der Produktion", den es zu DDR-Zeiten gab. Aber das, was da heute angeboten wird, ist doch ein bisschen anders organisiert - hier wird auf die Eigenverantwortung und Mitsprache der Schüler gesetzt.

Matthias Herzer hat die Vorbereitungen auf den Tag in der Praxis an der Ostschule in Gera koordiniert. Der Mann hat selbst mal im Handwerk gearbeitet, ist an der Schule Werklehrer, aber auch mit den Fächern Geschichte, Sozialkunde, Ethik, Wirtschaft und Recht vertraut. Und er schwört darauf, dass seine Schüler "lebensorientiert" lernen sollen. Da könne der "TiP" gut helfen, findet Herzer. Denn bei diesem Praktikumsprojekt müssen Schüler selbst Verträge mit Unternehmen schließen. "Sie lernen da, was im Leben nach der Schule auf sie zukommt", sagt der Lehrer. Er hatte seine Schüler in der achten Klasse vertraut gemacht mit Steckbriefen.

Sie lernen da, was im Leben nach der Schule auf sie zukommt.

Matthias Herzer, Lehrer an der Ostschule in Gera

Steckbriefe sollen Praktikanten locken

Die hatten Unternehmer aus Gera und Umgebung über ihre Betriebe verfasst - damit die Mädchen und Jungen auf einen Blick sehen konnten, welche Arbeitsangebote und Ausbildungschancen es im jeweiligen Unternehmen gibt.

Mit Steckbriefen bieten sich Unternehmen in Gera als TiP-Partner an.
Mit Steckbriefen bieten sich Unternehmen als TiP-Partner an. Bildrechte: MDR/Marian Riedel

Danach konnten sich die Schüler bewerben - und bei einem Übereinkommen den Vertrag für den "TiP" schließen. Doch es bleibt nicht bei einer einzigen Entscheidung. Im Laufe eines Schuljahres gibt es jeweils zwischen den Ferien einzelne "TiP"-Projektphasen, die jedes Mal in einem anderen Unternehmen stattfinden sollen. Heißt: Die Schüler können und sollen im zweiten Halbjahr der achten und im ersten der neunten Klasse gleich mehrere Praxispartner kennenlernen.

Nachwuchs-Suche nicht nur in der Industrie

Ein Tag in der Woche findet dafür kein Unterricht in der Schule statt. Kleiner Nebeneffekt: An den Schulen, die vielerorts an Lehrermangel leiden, führt das auch ein wenig zur Entspannung. Viel wichtiger aber sei, dass die Schüler an diesem Tag in einem Unternehmen ihre Kompetenzen testen und erweitern können, meint nicht nur Lehrer Herzer. Auch Leonie Lorenz findet es gut, sich ausprobieren zu dürfen. Die 14-Jährige hat für ihren ersten Abschnitt des "TiP"-Projektes einen Vertrag mit einer Tanzschule in Gera abgeschlossen. Im zweiten "TiP"-Abschnitt wird sie bei einer Ergotherapie Erfahrungen sammeln.

Tanzlehrer Martin Günzel (rechts) und Praktikantin Leonie Lorenz (im weißen Shirt) im Zumba-Kurs.
Ausbildungsleiter und Tanzlehrer Martin Günzel (rechts) hat Praktikantin Leonie Lorenz (im weißen Shirt) in den Zumba-Kurs eingeweiht. Bildrechte: MDR/Marian Riedel

"Mir gefällt, dass es so viele Angebote zur Auswahl gibt", sagt sie. In der Tanzschule wird sie von Büro-Chefin Doreen Arbeiter damit vertraut gemacht, wie Kurse organisiert und Veranstaltungen vorbereitet werden. Und dann nimmt sie Martin Günzel mit zum Training mit Damen und Herren, die sich schon am Vormittag im Zumba-Kurs auspowern.

Mir gefällt, dass es so viele Angebote zur Auswahl gibt.

Leonie Lorenz, Teilnehmerin des "TiP"-Projektes

Der Kursleiter ist Tanzlehrer und hat eine Zusatzqualifikation - als Ausbildungsleiter. Denn die Tanzschule kümmert sich schon seit Jahren darum, selbst auszubilden. "Das müssen wir, weil wir neben den früher üblichen Tanzstunden mittlerweile viel mehr anbieten, zum Beispiel Fitnesskurse."

Die Tanzschule in Gera.
Längst sucht nicht nur die Industrie nach Nachwuchskräften. Die Tanzschule in Gera braucht sie, um wöchentlich 2.000 Besucher anzuleiten und zu betreuen. Bildrechte: MDR/Marian Riedel

"Etwa 2.000 tanz- und bewegungsfreudige Menschen kommen jede Woche zu uns", erklärt Tanzschul-Inhaber Ralf Schulze: "Es wäre töricht, wenn wir an Projekten wie "TiP" nicht teilnehmen würden. Denn wir suchen ja Nachwuchs als Tanzlehrer." Ähnlich sieht es im Handwerk aus, in Handel, Service-Unternehmen, Gastronomie, Pflegeteams, Schulsekretariaten …

Praktikumsformen im Test

Susanne Reimer ist Schulsachbearbeiterin in der Staatlichen Berufsschule, die in Gera Fachkräfte für den Baubereich ausbildet. In ihrem Büro gibt es noch einen zweiten Arbeitsplatz, aber keine zweite Sachbearbeiterin. Deshalb ist es genau hier gut möglich, einen Praktikanten in die Arbeitsaufgaben einzuführen. Lennard Heidler ist hier, weil er sich für die Arbeit in einem Büro, einem Hort, einem Kindergarten oder einer Schule interessiert. Aber er findet, ein Tag in der Woche und dann auch nur fünf Wochen lang in einem Betrieb - das ist zu wenig. "Wenn man sich gerade reinfindet, dann ist das schon wieder vorbei", bedauert der Schüler.

Wenn man sich gerade reinfindet, dann ist das schon wieder vorbei.

Lennard Heidler, Teilnehmer des "TiP"-Projektes

Ob die Wechsel von Praktikumsbetrieben alle paar Wochen wirklich sinnvoll sind? Das wird sicherlich ein Thema werden, wenn erste Erfahrungen mit "TiP" in Ostthüringen ausgetauscht werden. Dazu werden sich die 15 beteiligten Schulen der Region in Kürze treffen. Vermutlich wird dann auch besprochen, wie die Ostthüringer von Erfahrungen aus Nordthüringen profitieren könnten, denn dort ist das "TiP"-Projekt schon vor einiger Zeit gestartet worden.

Matthias Herzer koordiniert den TiP an der Ostschule in Gera.
Matthias Herzer hat an der Europaschule Ostschule Gera für drei achte Klassen das TiP-Projekt vorbereitet. Bildrechte: MDR/Marian Riedel

"Wir haben aber in unseren Schulen so eine Personallage, dass es einfach nicht möglich war, mal nach Nordthüringen zu fahren und sich das dort anzuschauen", sagt Matthias Herzer von der Ostschule in Gera, die ihren "TiP" immer am Dienstag hat. Andere Schulen schicken ihre Praktikanten mittwochs oder donnerstags in die Vertragsunternehmen. So können die meisten Praxispartner in einer Woche gleich Schüler aus mehreren Schulen ins Berufsleben schnuppern lassen.

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MDR (mar,thk)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 20. Februar 2024 | 19:00 Uhr

5 Kommentare

Tashina vor 37 Wochen

Sehr schön, ich freue mich, dass mal wieder etwas aus DDR Zeiten "aufgewärmt" wird, nach dem nach der Wende alles auf Westen getrimmt wurde. Es gab ja einmal die Produktive Arbeit und ESP. ESP war die Theorie in einem Betrieb, wenn ich mich recht entsinne. Andere Betriebe und Berufe haben wir während der Ferienarbeit kennengelernt und zusätzlich unser Taschengeld aufgebessert oder für den Mopedführerschein gearbeitet.
Die Poliklinik gibt es auch wieder. Die Recherche, was alles wiederkommt oder wiedergekommen ist, wäre doch mal ein schöner Artikel, lieber MDR.

Graf von Henneberg vor 37 Wochen

Wir haben seinerzeit beim UTP im BMK Gehwehplatten auf dem Rütteltisch gemacht und den Beton dazu in der Speißmaschine hergestellt. Zumindest warn wir an dem Tag nicht ist der Schule - das war auch gut für uns.
Heutzutage wird ein Bramborium aus so ein bischen UTP gemacht, als ob das Rad neu erfunden wurde.

maddin vor 37 Wochen

Der Witz ist, man muss nicht einmal bis vor 1989 zu ESP, PA und TZ zurückgehen. Es gibt schon lange Schulen - mir aus Westthüringen bekannt - die schicken die Schüler ihrer 9. Klassen schon seit bald 20 Jahren jede 2. Woche für einen ganzen Unterrichtstag in die angrenzenden Gewerbegebiete bzw. Geschäfte, Praxen und auch kommunalen Einrichtungen, damit sie das richtige Arbeitsleben vor Ort kennenlernen. Mindest 3x im Schuljahr wird gewechselt, sodass man bei Autohäusern, Kindergärten, Pflegeeinrichtungen, Supermärkten, Arztpraxen, Druckereien, Blumenläden, im Stall (!), einer Betonbau- und einer Metallbaufirma usw. „hineinriechen“ kann. Gefällt zwar nicht immer jedem, aber es hilft einem ganz gewiss bei der späteren Berufsauswahl = was passt zu mir, was absolut nicht! Ach ja, das haben sich damals Lehrer, ehemalige Polytechniker, einfallen lassen, keine Ministerialen oder sonstige weiter oben angebundene Schlauberger!

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