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Ilmenau Umweltminister Stengele diskutiert mit Windkraft-Gegnern

21. März 2024, 21:22 Uhr

Hunderte Gäste kamen zur Ilmenauer Ausschusssitzung zum Thema Windräder und Windkraft in der Region. Den Fragen vieler Windkraft-Gegner stellte sich auch Thüringens Umweltminister Bernhard Stengele von den Grünen.

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Normalerweise kommen selten Gäste zu Ausschusssitzungen des Ilmenauer Stadtrats. Obwohl diese meistens öffentlich sind. Bei der gemeinsamen Sitzung von Wirtschaft- und Bauausschuss war das am Mittwoch jedoch anders. Grund war ein Thema: Windkraft.

Sitzung in Festhalle verlegt

Die Stadt hatte das große Interesse geahnt und die Sitzung vorsichtshalber in die Ilmenauer Festhalle verlegt. Am Ende kamen rund 400 Gäste, darunter hauptsächlich Windkraft-Gegner. Ihren Fragen stellte sich auch Umweltminister Bernhard Stengele von den Grünen. 

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Der Thüringer Umweltminister Bernhard Stengele stellte sich den Fragen in Ilmenau. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler

Laut Stadtverwaltung war die Veranstaltung auch als Vorbereitung gedacht, um eine eigene Stellungnahme zu erarbeiten. Denn derzeit liegt der zweite Entwurf der Windenergie-Pläne der Kommunen in Mittelthüringen aus. Aus ihm geht hervor, welche Flächen als sogenannte "Vorranggebiete" ausgewiesen werden sollen und damit künftig potenziell für Windräder zur Verfügung stehen.

Der Bund fordert von Thüringen, mindestens 2,2 Prozent der Landesfläche dafür auszuweisen. Im Stadtgebiet von Ilmenau sind gemäß der Pläne zwei Gebiete definiert. Eines befindet sich im Norden der Stadt zwischen Martinroda und Heyda, eines im Nord-Osten zwischen Traßdorf und Gräfinau-Angstedt. Bis zum 25. April können Behörden, Kommunen, Verbände oder Versorger ihre Meinung zu dem Entwurf einreichen.

Von Vorranggebieten und gesunden Fichten

Neben Umweltminister Stengele war an dem Abend auch Clemens Ortmann, Leiter der Regionalen Planungsgemeinschaft Mittelthüringen, als Gast eingeladen. Die Planungsgemeinschaft erstellt die Vorranggebiete. Er wollte die Hintergründe der Planung dazu erläutern.

Aus dem Publikum kam jedoch immer wieder die Kritik, dass in Ilmenau im derzeitigen Entwurf eine Fläche ausgewiesen ist, auf der gesunde Fichten stehen. Für viele Gesprächsteilnehmer war es daher nicht nachvollziehbar, dass möglicherweise gesunde Bäume für die Windenergie weichen müssen.

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Vor allem Hintergründe sollten bei der Sitzung erläutert werden. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler

Ortmann sagte, dass in ganz Thüringen alle Flächen anhand von 60 Kriterien geprüft worden seien. Gleichzeitig müsse die vom Bund eingeforderte Fläche von 2,2 Prozent gerecht auf alle Thüringer Regionen verteilt werden. Für die Südthüringer seien Forst und Wald identitätsstiftend, für Menschen im Thüringer Becken die weite, freie Sicht. Bewaldete Gebiete grundsätzlich aus der Planung herauszuhalten, wäre daher nicht möglich.

Weniger Versiegelung als befürchtet?

Er verwies auch darauf, dass sich die 2,2 Prozent nicht auf die tatsächlich versiegelte Fläche beziehen. Durch das Fundament der Windräder würden nur 0,04 Prozent letztendlich versiegelt. Auch würden bewaldete Vorranggebiete nicht kahlgeschlagen, sondern die Windräder in den Wald hineingebaut. Für den Bau müsste zwar zunächst mehr gerodet werden, etwa um Zufahrtswege zu schaffen, dort könne aber später wieder aufgeforstet werden. Im Schwarzwald gebe es solche Gebiete mit Windrädern im Wald schon seit Längerem.

Ortmann warnte auch davor, keine Vorrangflächen auszuweisen. Stand jetzt könnten in Thüringen quasi überall Windräder aufgestellt werden. Nehme das Land die Steuerung durch Vorranggebiete nicht in die Hand, würde früher oder später "Wildwuchs" entstehen.

Auch "Waldbürger-Initiative" diskutiert mit

Viele der anwesenden Gäste beschäftigten allerdings andere Themen - vielfach wurden auch unbelegte Behauptungen zu vermeintlichen Gesundheitsschäden durch Windräder in den Raum gestellt. Redezeit bekam auch Andreas Schuster von der "Waldbürger-Initiative". Der Zusammenschluss setzt sich unter anderem mit Baumpflanzaktionen für den Erhalt des Waldes ein. Gleichzeitig sind die Unterstützer strikt gegen den Ausbau von Windenergie, insbesondere im Wald.

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Immer wieder gab es Zwischenrufe aus dem Publikum. Bildrechte: MDR/Marlene Drexler

Die Mobile Beratung in Thüringen, kurz Mobit, die zu Rechtsextremismus und Rassismus berät, spricht jedoch auch von einer rechtsoffenen Gruppierung, die aus dem Protestspektrum rund um die Kritiker der Corona-Politik hervorgegangen sei. Unterstützt würden die Waldbürger etwa durch die rechtsextreme Gruppe "Freies Thüringen".

Laut Mobit belegen das Postings in den Sozialen Medien. Außerdem gebe es personelle Überschneidungen zwischen der Waldbürger-Initiative und der Reichsbürgerszene. Jede Fraktion des Ilmenauer Stadtrats durfte einen "Sachverständigen" einladen, wie die Verwaltung dem MDR THÜRINGEN sagte. Schuster war demnach von der AfD benannt worden. In seinem Vortrag stellte auch er unbelegte Behauptungen zu vermeintlichen Folgen von Windkraft für Mensch und Umwelt auf.

Die Argumente der Windkraftgegner

Schuster verwies in seinem Vortrag auf einen vermeintlich hohen Infraschall von Windrädern, der Menschen im direkten Umfeld dauerhaft kranke machen würde. Darüber hinaus gab er an, Windräder hätten signifikanten Einfluss auf das Klima - eine Folge sei zum Beispiel die Austrocknung der Böden. Aus dem Publikum kam auch die Meinung, "die Politik" habe den Borkenkäfer den Wald absichtlich zerstören lassen, damit es Flächen für die Windkraft gebe.

Ortmann von der Planungsbehörde antwortete, Windräder könnten tatsächlich Einfluss auf das Klima nehmen - allerdings nur auf das Mikroklima. Jede gebaute Stadt sei in dieser Frage durch versiegelte Fläche wirkungsmächtiger. Grundsätzlich nehme er wahr, dass Windkraftgegner oft mit zweierlei Maß messen würden, so Ortmann. Jede Form der Industrie, oder auch allein der Autoverkehr, habe natürlich Einfluss auf den Menschen. Und trotzdem seien Autos zum Beispiel auch nicht verboten. Gleichzeitig seien die wenigsten bereit, Verzicht zu üben, um den wachsenden Energiebedarf zu reduzieren.

Andreas Schuster brachte schließlich ins Spiel, auf Atomkraft statt auf Windkraft zu setzen. Die modernen Anlagen seien wesentlich sicherer, so sein Argument. Darauf fragte Ortmann, wie das Endlager-Problem gelöst werden soll. Ob die Anwesenden, die gegen Windräder sind, einverstanden wären, wenn Atommüll in ihrer Region gelagert würde. 

Minister will aufklären und korrekt informieren

Grünen-Umweltminister Stengele sagte, er wolle mit seiner Teilnahme an Veranstaltungen wie dieser in Ilmenau zeigen, dass er ernst nehme, wenn viele Menschen verunsichert sind. Es kursierten viele falsche Informationen, "die wir versuchen, zurecht zu rücken". Er hoffte am Ende - trotz teils sehr verfestigt wirkender Meinungen - ein bisschen aufgeklärt zu haben: "Was die Leute mitbekommen ist ja auch, dass wir uns der Diskussion stellen. Dass ich sage, wir berücksichtigen jede wissenschaftliche Studie, gebt sie uns und wir beziehen sie mit ein."

Er sehe in der Energiewende auch eine Chance auf Demokratisierung. Wenn Energie künftig in der eigenen Region produziert wird, gebe es für Kommunen in Form der Gewerbesteuer oder für Bürger in Form von Energiegenossenschaften die Möglichkeit, am Gewinn beteiligt zu sein.

Während Stengele sprach, drehten manche Teilnehmer ihm allerdings demonstrativ den Rücken zu. Als vom menschengemachten Klimawandel die Rede war, wurde im Publikum teils laut gelacht. Es bleiben also Zweifel, dass der Abend in Ilmenau tatsächlich eine Annäherung zwischen Gegnern und Befürwortern der Windkraft gebracht hat.

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MDR (gh)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 21. März 2024 | 07:30 Uhr

217 Kommentare

Anita L. vor 4 Wochen

@Dora, zwar schon etwas älter, aber faktenfuchs vom br hat sich 2022 schon einmal mit den Fragen beschäftigt: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/faktenfuchs-wie-lange-bleiben-windraeder-am-netz,TA9davg

Tatsache ist, dass auch hier die Forschung noch lange nicht am Ende Ist.

Anita L. vor 4 Wochen

"Was man hier zu sehen bekommt, teilweise "Horrorlandschaften" , wo kein Mensch mehr leben will."

Also die geringste Besiedlung sieht man auf seinem Weg durch Deutschland neben dem "Sand, Meer, Garnichtsmehr"-Gegenden Brandenburgs wohl eher in den Kohleabbaugebieten (oder haben Sie schon einmal von einem Dorf gehört oder gelesen, das wegen einer geplanten Wind-, Solar- oder Wasserkraftanlage hätte abgebaggert werden müssen?). Bisher hat sich auch noch niemand um ein Atommüllrestlager in seiner Wohngegend gerissen, soweit mir bekannt ist. Und ich kann nur noch einmal wiederholen, dass ich die Erfahrung, in Sichtweise eines Kohlekraftwerkes zu wohnen, nicht wiederholen möchte.

emlo vor 4 Wochen

@hdR: "Hier geht es viel mehr um das Ausplündern der Ressourcen an Grund und Boden." - Könnten Sie mir bitte erklären, worüber Sie schreiben? Meinen Sie vielleicht die Investoren, die großflächig Grund und Boden aufkaufen, um ihn als Spekulationsobjekt zu missbrauchen und wo die landwirtschaftlichen Pächter das Nachsehen haben? Dann würde ich Ihnen Recht geben. Bei den Flächen für Windkraftanlagen würde ich Ihnen dagegen vehement widersprechen, da es sich letztendlich nur um einen sehr kleinen Teil der Landfläche handelt, der außerdem dann immer noch weitgehend weiter landwirtschaftlich genutzt werden kann. Ich fahre täglich an einem Windpark vorbei, wo sich unter den Windrädern Felder erstrecken.

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