Ein Mann in einem Waffengeschäft zielt mit einer Waffe.
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Diskussion um neues Waffengesetz In Tschechien sind mehr als eine Million Schusswaffen in Privathand

31. Januar 2024, 04:37 Uhr

Als Reaktion auf den Prager Amoklauf vom Ende des vergangenen Jahres will man die Befugnisse der Polizei stärken und früher gegen potenzielle Amokläufer vorgehen. Die Öffentlichkeit erwartet zudem strengere Prüfungen bei der Vergabe von Waffenscheinen. Experten glauben aber, dass die bestehenden Hürden ausreichend und die geforderten Verschärfungen aus praktischen Gründen nicht umsetzbar sind.

Der tschechische Journalist Robert Schuster
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Etwas mehr als ein Monat ist seit den Schüssen an der Philosophischen Fakultät der Prager Karls-Universität vergangen. Beim Amoklauf kurz vor Weihnachten 2023 starben im Kugelhagel 14 Menschen. 25 weitere wurden teils schwer verletzt. Die Aufarbeitung der Ereignisse, die das ganze Land in einen Schock versetzt haben, ist bei Weitem noch nicht abgeschlossen. Mit der Zeit werden immer neue Details über den Tathergang, wie auch über den Täter bekannt.

Tschechen fordern strengeres Waffenrecht

Infolge der Ereignisse will die Politik nun das Waffenrecht verschärfen. Davon betroffen wären an die 316.000 Tschechen, die in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land einen Waffenschein besitzen. Die Zahl der Waffen, die sie besitzen, gibt das Innenministerium mit mehr als einer Million an. Der Amokläufer von der Karls-Universität besaß seit März vergangenen Jahres einen Waffenschein und war legaler Besitzer von acht Waffen, darunter einer Schrotflinte und eines Selbstladegewehres.

Eigentlich wäre die Änderung des Waffenrechts relativ schnell möglich. Man könnte nämlich auf eine Novelle der fast dreißig Jahre alten Norm zurückgreifen, die seit Herbst 2023 – also wenige Wochen vor dem Amoklauf – praktisch fertig ist und nur auf die abschließende Abstimmung im Parlament wartet. Sie sollte ab 2026 in Kraft treten. Nun wollen einige Abgeordnete das Gesetz wegen der Ereignisse an der Karls-Universität allerdings noch nachschärfen.

Polizist auf einer Straße in Prag
Polizeiabsperrung am Tag des Amoklaufs in Prag im Dezember 2023 Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Waffenentzug bei auffälligem Verhalten

Aufgrund der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit will Innenminister Vít Rakušan einige der geplanten Änderungen schon in diesem Jahr umsetzen. In erster Linie soll die Polizei mehr Befugnisse erhalten. So sollen die Beamten künftig die Möglichkeit haben, legal gehaltene Waffen zu beschlagnahmen, sobald sich der Besitzer auffällig verhält. Grundlage dafür können nicht nur Erkenntnisse der Geheimdienste sein, die eine konkrete Person betreffen, sondern auch Hinweise besorgter Bürger oder Gewaltfantasien, die der Waffenhalter in den sozialen Medien äußert.

Die zweite Neuerung betrifft das verpflichtende ärztliche Attest. Bislang musste es alle zehn Jahre erneuert werden, nun wird diese Frist auf fünf Jahre verkürzt. Es obliegt den Hausärzten, die körperliche Verfassung des Antragstellers zu beurteilen, insbesondere sein Seh- und Hörvermögen. Psychologische Tests sind bislang dagegen nicht nötig, um einen Waffenschein zu erwerben. Nur wenn der Arzt Zweifel an der psychischen Verfassung des Patienten hat, wird zusätzlich eine Psychologe konsultiert.

Können Persönlichkeitstests Amokläufe verhindern?

Gerade nach dem Amoklauf an der Karls-Universität werden nun aber Forderungen laut, die psychologische Untersuchung verpflichtend einzuführen, und zwar nicht nur für die Anwärter auf einen Waffenschein, sondern für alle gegenwärtigen Besitzer einer Waffenlizenz. Somit könnte zumindest theoretisch verhindert werden, dass Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen an Waffen gelangen.

Was vom Blickpunkt eines Laien aus einleuchtend erscheint, ist unter Experten aber umstritten. Vereinigungen von Psychologen und Psychiatern haben in den letzten Wochen Zweifel geäußert, ob derart groß angelegte Tests überhaupt zu verwirklichen wären. Ihr Argument lautet, dass es im Land zu wenig Psychologen gebe, die diese Mammutaufgabe erledigen könnten.

Zurückhaltend zu obligatorischen Psychotests äußert sich auch Milena Bačkovská, Expertin für Waffenrecht im tschechischen Innenministerium. Sie argumentiert damit, dass verpflichtende psychologische Tests Psychiatern und Psychologen zufolge "keine Garantie dafür sind", dass sich der geistige Gesundheitszustand eines Waffenbesitzers nicht "innerhalb von einigen Monaten oder Jahren" gravierend verändert. "Besser als flächendeckende Untersuchungen sind jene, die sich auf konkrete Personen beziehen", erklärt sie im Gespräch mit dem MDR.

Noch deutlicher wird Ex-Polizist Jan Skalický, der als Experte für Waffenrecht die Hersteller von Waffen und Munition in Tschechien vertritt. Er glaubt, dass psychologische Gutachten überhaupt nicht funktionieren: "Das bezeugen viele Branchen, wo solche Tests verpflichtend sind, aber dennoch nicht verhindern können, dass Einzelne versagen, ihnen ihre Probleme über den Kopf hinauswachsen und sie dann zum Beispiel keinen anderen Ausweg aus ihrer Situation finden, als Selbstmord zu begehen. Selbst der beste Psychologe ist nicht imstande, in seiner Praxis eine wirkliche Krisensituation zu simulieren, um zu sehen, wie sein Patient dabei reagieren würde."

Doch selbst wenn es schon früher flächendeckende Psychotests für Waffenbesitzer gegeben hätte, wäre der Amokläufer von Prag höchstwahrscheinlich nicht aufgefallen. Er war weder mit dem Gesetz in Konflikt geraten, noch sonst aktenkundig oder auffällig. Er war eben "ein einsamer Wolf", wie ihn der tschechische Polizeipräsident Martin Vondrášek beschrieb.

Wildwuchs an Vorschlägen nach Amoklauf

Jan Skalický weist noch auf ein anderes Problem hin, was die möglichen Konsequenzen nach dem Amoklauf von Prag angeht: die seiner Meinung nach nicht besonders offene Art, wie die Polizei über den Stand der Ermittlungen informiert. "Wir wissen praktisch immer noch nichts über die Hintergründe der Tat, die Motive usw. Die Ermittlungen werden von Seiten der Polizei leider sehr intransparent geführt", beschwert sich Skalický. "Solange wir nicht wissen, was überhaupt geschehen ist, können wir daraus keine Schlussfolgerungen ziehen, um die Schutzmechanismen im Waffenrecht anzupassen", sagt der Waffenexperte dem MDR. Es gebe nur Spekulationen, das sei aber viel zu wenig und könne keine Grundlage für Veränderungen sein.

Jan Lipavsky (2.v.l), Außenminister von Tschechien, und Ivan Barto (2.v.r), Vorsitzender der tschechischen Piratenpartei (Ceska piratska strana), legen Blumen für die Opfer der tragischen Schusswaffenattacke an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität nieder.
Kranzniederlegung für die Opfer des Amoklaufs in Prag, mit Tschechiens Außenminister Jan Lipavský (links) sowie Ivan Bartoš (Mitte), Minister für regionale Entwicklung. Bildrechte: picture alliance/dpa/CTK | Šulová Kateøina

So kursieren gegenwärtig viele Vorschläge, was noch unternommen werden könnte, um Straftaten mit Waffen vorzubeugen – etwa die Idee, auch die Verkäufer von Waffen stärker in die Pflicht zu nehmen. Sie sollen umgehend alle Fälle melden, wenn jemand eine größere Zahl an Waffen und Munition kauft, so die Forderung. Innenminister Rakušan sprach sogar von einer Art "roten Knopf", den die Verkäufer drücken könnten, um so die Polizei zu alarmieren. Der Todesschütze von Prag legte sich sein beachtliches Waffenarsenal in der Tat binnen kürzester Zeit zu und finanzierte es mit Hilfe eines Darlehens in der Höhe von einer Million Kronen (umgerechnet rund 40.000 Euro).

Milena Bačkovská vom tschechischen Innenministerium ist allerdings skeptisch, was die Durchführbarkeit solcher Maßnahmen angeht. Ihrer Meinung nach müsse man in Sachen Waffenbesitz Maß und Mitte halten. "Wir sind weder zu liberal, noch zu restriktiv, sondern wir liegen im europäischen Vergleich irgendwo in der Mitte", so die Expertin. Sie verweist darauf, dass diejenigen, die in Tschechien einen Waffenschein beantragen, in einer Prüfung nachweisen müssen, dass sie mit der Waffe sicher umgehen können – das gebe es in dieser Form nicht in allen Ländern. "Unser System ist personenbezogen und versucht die Antragsteller genau zu durchleuchten", fasst sie zusammen.

Waffenbesitz in Tschechien immer beliebter

Trotz dieser relativ hohen Hürden nimmt das Interesse am Waffenbesitz unter den Tschechen nicht ab. Im Gegenteil, es steigt sogar, wie die Statistiken belegen. Ein wichtiger Faktor war Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar 2022. Während des ganzen Jahres 2022 wurden mehr als 5.000 neue Waffenscheine erteilt, davon 1.300 an Frauen. Im ersten Halbjahr 2023 wurden von den Tschechen mehr Pistolen und Gewehre gekauft als im gesamten Jahr davor.

Tschechien: Ausstellung von Kriegsgerät aus dem Ukraine-Krieg in Prag
Ausstellung von Waffen aus dem Ukraine-Krieg in Prag – der bewaffnete Konflikt hat das Interesse der Tschechen am Waffenbesitz gesteigert. Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Einen Zusammenhang zwischen Krisen und dem verstärkten Bedürfnis der Bürger, sich zu bewaffnen, bestätigt auch Waffenexperte Skalický: "Die Zahl der Waffenscheine ist über die Jahre hinweg mehr oder weniger konstant und bewegt sich um die 300.000 Lizenzen, einmal etwas mehr, einmal etwas weniger. Der größte Ausschlag nach oben war während der großen Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 zu verzeichnen, wo sich viele Bürger aus Angst vor Flüchtlingen in größerem Ausmaß Waffenscheine und Waffen zugelegt haben."

Vieles deutet also darauf hin, dass trotz des Prager Amoklaufs vom Dezember 2023 in puncto Waffenbesitz im Großen und Ganzen alles beim Alten bleiben wird – sowohl bei den Gesetzen als auch bei der Lust vieler Tschechen, sich eine Waffe zuzulegen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Ostern – Der Osteuropa-Podcast | 03. Februar 2024 | 07:17 Uhr

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