Ukraine-Krieg Scholz wirbt für "Marshallplan", Steinmeier in Kiew

25. Oktober 2022, 21:29 Uhr

Auf einer Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz weitere militärische und finanzielle Hilfe versprochen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte, die EU solle etwa ein Drittel des ukrainischen Finanzbedarfs übernehmen. Beim Ukraine-Besuch von Bundespräsident Steinmeier gab es unterdessen Raketenalarm. Am Abend traf Steinmeier seinen ukrainischen Amtskollegen Selenskyj.

Führende Politiker haben bei einer Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine zu einem internationalen Kraftakt aufgerufen. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte bei der Konferenz in Berlin, ein solcher Marshallplan nach dem Vorbild des US-Aufbauprogramms nach dem Zweiten Weltkrieg sei "eine Generationenaufgabe, mit der man jetzt beginnen müsse". Dies werde die "Stärke der gesamten Völkergemeinschaft notwendig machen".

Von der Leyen: EU sollte massiv investieren

Scholz versprach zudem erneut, Deutschland werde die Ukraine weiterhin mit dringend benötigten Luftverteidigungssystemen ausstatten. Der beste Wiederaufbau sei "der Wiederaufbau, der gar nicht notwendig wird, weil die Städte und Kraftwerke der Ukraine vor russischen Bomben, Drohnen und Raketen geschützt sind".

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warb auf der Konferenz für die Übernahme von einem Drittel des ukrainischen Finanzbedarfs durch die EU. Die Ukraine brauche etwa drei bis fünf Milliarden pro Monat, je nachdem, wie viel sie selbst exportieren könne. "Etwa ein Drittel sollten wir finanzieren", sagte von der Leyen. Das seien direkte Budgethilfen 18 Milliarden im Jahr, so lange der russische Krieg dauere. Zugleich verlasse sich die EU darauf, dass die USA eine ähnliche Summe zur Verfügung stellten.

Selenskyj: "Europa kann man nur mit der Ukraine denken"

Der ukrainische Wolodymyr Selenskyj bat die Weltgemeinschaft um Hilfe bei der Deckung des 2023 erwarteten Milliarden-Haushaltsdefizits seines Landes. Selenskyj, der auf der Konferenz per Video zugeschaltet war, sagte, das Geld werde unter anderem für Gehälter für Ärzte und Lehrer benötigt sowie für Renten und Sozialleistungen. Sein Land trete für die Sicherheit Europas ein, indem es den russischen Schlag abfange: "Europa kann man nur mit der Ukraine gemeinsam denken", so Selenskyj.

Zu der Wiederaufbau-Konferenz hatten Kanzler Scholz und Kommissionspräsidentin von der Leyen gemeinsam eingeladen. Neben internationalen Experten nehmen auch der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki teil. Konkrete finanzielle Zusagen wurden bei dem Expertentreffen, das bewusst nicht als Geberkonferenz angelegt war, nicht gemacht.

Steinmeier überraschend in die Ukraine gereist

Unterdessen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überraschend die Ukraine besucht. Bei seiner Ankunft in Kiew sagte Steinmeier, seine Botschaft an die Ukrainer sei: "Wir stehen nicht nur an Eurer Seite. Sondern wir werden die Ukraine auch weiterhin unterstützen – wirtschaftlich, politisch und auch militärisch." Er schaue "wie viele Deutsche voller Bewunderung auf die Menschen hier in der Ukraine".

Nach Steinmeiers Ankunft in der Kleinstadt Korjukiwka nordöstlich von Kiew wurde Luftalarm ausgelöst. Steinmeier, Bürgermeister Ratan Achmedow und eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern gingen daraufhin in einen Luftschutzkeller. Dort ließ sich der Bundespräsident von den Menschen berichten, wie sie den russischen Angriffskrieg erleben.

Eine Frau erzählte unter Tränen vom Kriegsbeginn am 24. Februar, eine andere von ihrem Mann, der gegen die russische Armee kämpfe. "Mein Mann ist an der Front, an der heißesten Front", berichtete sie. Steinmeier sagte, der Alarm habe ihm "eindrücklich nahe gebracht, unter welchen Bedingungen die Menschen hier leben". Die Menschen dort müssten mit dieser Situation jeden Tag leben.

Steinmeier und Selenskyj rufen zu neuen Städtepartnerschaften auf

Ziel von Steinmeiers Reise war es, sich in der der nördlichen Region Tschernihiw einen persönlichen Eindruck von den Zerstörungen durch Russland zu machen. Am Nachmittag traf sich Steinmeier in Kiew zudem mit seinem Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj. Selenskyj bezeichnete die Unterstützung Deutschlands anschließend als "groß und historisch wichtig", insbesondere die Lieferung des Flugabwehrsystems Iris-T. In einem gemeinsamen Appell riefen die Staatsoberhäupter zur Bildung neuer deutsch-ukrainischer Städtepartnerschaften auf.

Steinmeier kündigte auf der gemeinsamen Pressekonferenz neue Waffenlieferungen Deutschlands an. Weitere Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars II und zusätzlich vier Panzerhaubitzen 2000 würden "zeitnah in den nächsten Tagen an die Ukraine übergeben".

Es war bereits der dritte Anlauf Steinmeiers für eine Reise in das Land. In der vergangenen Woche wurde die Reise aus Sicherheitsgründen kurzfristig verschoben. Ursprünglich wollte Steinmeier bereits im April in die Ukraine reisen. Er habe aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass sein Besuch offenbar "in Kiew nicht gewünscht" sei, sagte er damals. Steinmeier wird in der Ukraine seine russlandfreundliche Politik als Außenminister angekreidet.

dpa/AFP/Reuters (jan)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 25. Oktober 2022 | 15:00 Uhr

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