Eine Bronzestatue der römischen Göttin Justitia mit Waage und Richtschwert in der Hand
Justitia gilt als Symbol der Gerechtigkeit. Bildrechte: picture alliance / dpa | Arne Dedert

Urteile der Woche Polizei darf nicht ohne Anlass Fingerabdrücke nehmen und Fotos machen

29. August 2022, 15:37 Uhr

Fast täglich werden im Gerichtssaal wichtige Urteile gesprochen, die Einfluss auf unser Leben haben können. MDR AKTUELL präsentiert Ihnen die drei interessantesten dieser Woche in Kurzform.


Polizei darf nicht ohne Anlass Fingerabdrücke nehmen und Fotos machen

Bundesverfassungsgericht  (Az.: 2 BvR 54/22)

Julius Julicke* wird von einem Zeugen dabei beobachtet, wie er zwei Graffitis an ein Gasverteilergebäude sprüht. Der Zeuge filmt und fotografiert ihn dabei. Das Material übergibt er der Eigentümerin des Gebäudes und die stellt Strafantrag. Bei einer Gegenüberstellung erkennen die Polizisten den Sprayer auf den Fotos des Zeugen klar wieder. Ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung wird eingeleitet. Trotzdem ordnen die Beamten wenig später an, neue Fotos vom Beschuldigten zu machen und seine Fingerabdrücke zu nehmen.

Das zuständige Amts- und Landgericht bestätigen diese Vorgehenweise. Zu Unrecht, wie letztlich das Bundesverfassungsgericht entschied: "Die Polizei darf von einem Verdächtigen nur dann Fingerabdrücke nehmen und Fotos machen, wenn dies für das Strafverfahren konkret notwendig ist. Dies muss immer mit dem Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung abgewogen werden. Die Fingerabdrücke waren hier nutzlos, weil am Tatort laut Ermittlungsakte gar keine Abdrücke sichergestellt wurden. Auch die Fotos waren zur Identifizierung nicht notwendig, weil der Zeuge den Mann sofort wiedererkannt hat."


Menschen mit einer Behinderung haben finanziellen Anspruch auf Begleitung

Landessozialgericht Sachsen (Az.: L 8 SO 48/21)

Ulrich Ullmann ist 54 und lebt in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen. Alle vierzehn Tage besucht er am Wochenende seine 90-jährige Mutter, die in einer anderen Stadt lebt. Bei den Fahrten ist er allerdings aufgrund seiner psychischen Erkrankung auf Hilfe angewiesen. Der kommunale Sozialverband lehnt es als zuständiger Sozialhilfeträger ab, die Kosten dafür zu übernehmen. Begründung: Der Bedarf des Klägers sei bereits durch die Übernahme der Kosten der Heimunterbringung gedeckt.

Das sahen die Richter am Landessozialgericht Sachsen anders: "Wesentliches Ziel der Eingliederungshilfe ist es, der Vereinsamung behinderter Menschen entgegenzuwirken. Der schwerbehinderte Kläger ist hier auf persönliche Assistenz angewiesen, um seine Mutter zu besuchen und den Kontakt zu ihr aufrechtzuerhalten. Die Kosten dafür können im Einzelfall als Leistung der Eingliederungshilfe erbracht werden." Eine Revision wurde zugelassen.


Wer ein Testament zurückhält, kann schadensersatzpflichtig werden

Oberlandesgericht Hamburg (Az.: 2 U 9/21)

Toralf Thormann hat seine zweite Ehefrau im notariellem Testament kurz vor seinem Tod zur Alleinerbin eingesetzt. Die Tochter aus erster Ehe ist der Ansicht, das Testament sei unwirksam: Ihr Vater sei zu diesem Zeitpunkt bereits testierunfähig gewesen. Sie beauftragt einen Gutachter, einen Rechtsanwalt und einen Notar, dies zu prüfen und beantragt einen Erbschein, der sie selbst als Miterbin nach gesetzlicher Erbfolge ausweist. Hierauf holt sich auch die Witwe rechtlichen Rat und übergibt dem Nachlassgericht zwei weitere handschriftliche Testamente aus den Jahren 2006 und 2008. Auch darin ist sie Alleinerbin eingesetzt. Die Tochter will nun alle ihr entstandenen Kosten zurück. Schließlich seien die per Hand geschriebenen Testamente viel zu spät übergeben worden.

Am Oberlandesgericht Hamburg entschied man so: "Zwar besteht durchaus die Pflicht, ein Testament nach dem Todesfall unverzüglich beim Nachlassgericht abzuliefern. Die Tochter konnte hier aber nicht nachweisen, dass die Witwe dies wusste oder dies früher hätte erkennen müssen. Vielmehr konnte sie davon ausgehen, dass sie in jedem Fall Alleinerbin ist und dass die handschriftlichen Testamente durch das notarielle Testament überholt sind." Die Tochter geht in diesem Erbstreit also leer aus.

*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 27. August 2022 | 06:00 Uhr

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