Eine Bronzestatue der römischen Göttin Justitia mit Waage und Richtschwert in der Hand
Justitia gilt als Symbol der Gerechtigkeit. Bildrechte: picture alliance / dpa | Arne Dedert

Urteile der Woche Keine Strafe für Wildpinkeln in die Ostsee

21. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Fast täglich werden im Gerichtssaal wichtige Urteile gesprochen, die Einfluss auf unser Leben haben können. MDR AKTUELL präsentiert Ihnen die drei interessantesten dieser Woche in Kurzform.


Straffreies Wildpinkeln an der Ostsee

Amtsgericht Lübeck, 83a OWi 739 Js 4140/23 jug.

Lasse Wasser* ist ein Jugendlicher, der mit seinen Freunden Urlaub in der Lübecker Bucht macht. Es ist eine laue Sommernacht und so sitzt die Gruppe am Strand und trinkt Bier. Doch wie es naturgemäß ist, muss das Bier auch irgendwann wieder raus. Lasse geht Richtung Meer, um sich zu erleichtern. Drei Mitarbeiter des Ordnungsamtes warten, bis er fertig ist, um von ihm 60 Euro Bußgeld zu verlangen. Der Vorwurf: Paragraf 118 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten verbietet die Belästigung der Allgemeinheit durch eine grob ungehörige Handlung.

Doch ist der Vorgang des Wasserlassens überhaupt eine grob ungehörige Handlung, die die Allgemeinheit belästigen könnte? Diese Frage musste das Amtsgericht Lübeck beantworten und die Richter haben sich ausgiebig Gedanken darüber gemacht.

Bei der Entscheidung sehen sie zwei Anknüpfungspunkte für einen Verstoß. Zunächst die Wahrnehmung der Öffentlichkeit: "Was eine mögliche Verletzung des Schamgefühls der Öffentlichkeit anbelangt, muss man in die Überlegung einbeziehen, dass in öffentlichen Toiletten für Männer an durchgehenden Pissoirs oder Rinnen oftmals geselliges Wasserlassen stattfindet. Der Vorgang des Wasserlassens in der Gesellschaft ist eher nicht schambehaftet. Das gilt auch für das Urinieren unter freiem Himmel, wie in diesem Fall. Eine gewisse Üblichkeit und Duldung ist hierfür etwa bei Wanderungen benennbar, bei Jägern und Pilzsammlern, Radsportlern, Badenden und bei sonstigen naturnahen Beschäftigungen. Dass es am Spülsaum der Ostsee landschaftlich keine weiteren Möglichkeiten zum landschaftlichen Rückzug gibt außer der Abkehr, kann dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen. So ist es halt an der Küste."

Zweiter Anknüpfungspunkt für eine mögliche Ordnungswidrigkeit: eine vom Urinieren möglicherweise ausgehende Verschmutzung oder entsprechende Gerüche. Hierbei gehen die Lübecker Richter mathematisch vor: "Die Ostsee enthält eine Wassermenge von 21.631 Kubikkilometern Brackwasser. Der Verdünnungsgrad wäre selbst im Wiederholungs- oder Nachahmungsfall so hoch, dass eine belästigende Verschmutzung oder Geruchsbeeinträchtigung ausgeschlossen ist."

Schließlich lässt es sich das Amtsgericht Lübeck in seiner Entscheidung nicht nehmen, sein Urteil lyrisch ausklingen zu lassen: "Der Mensch hat unter den Weiten des Himmelszeltes nicht mindere Rechte als das Reh im Wald, der Hase auf dem Feld oder die Robbe im Spülsaum der Ostsee." Kurzum: Lasse Wasser muss kein Bußgeld zahlen.


Videoüberwachung von Weihnachtsmarkt rechtens

Verwaltungsgericht Hannover, Az. 10 A 5210/22

Ein paar Wochen sind es noch, bis die Weihnachtsmärkte öffnen. Im vergangenen Jahr entscheidet sich die Polizei, den Weihnachtsmarkt in Hannover mit Kameras zu überwachen. Die niedersächsische Staatsgewalt begründet diesen Schritt mit einer erhöhten Gefahr von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, auch die abstrakte Gefahr eines terroristischen Anschlags bestünde. Die Videoüberwachung ist für Marktbesucherinnen und -besucher aufgrund entsprechender Hinweisschilder erkennbar. Außerdem wird das polizeiliche Vorgehen durch eine Pressemitteilung öffentlich gemacht.

Lio Liberal sieht diese Maßnahmen allerdings kritisch, fühlt sich in seinen Freiheitsrechten beschränkt und klagt gegen die Videoüberwachung auf dem Weihnachtsmarkt. Die Richter des Verwaltungsgerichts Hannover geben ihm allerdings nicht recht: "Die polizeiliche Videoüberwachung ist gerechtfertigt. Die Kriminalitätsstatistik der Polizeidirektion Hannover zeigt auf, dass der Weihnachtsmarkt mit einer erhöhten Gefahr von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten verbunden ist. Besucherinnen und Besucher des Marktes wurden über diese Maßnahme ausreichend in Kenntnis gesetzt."

*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 21. Oktober 2023 | 08:17 Uhr

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