In der Mediathek ansehen Streit um die Sterbehilfe: "Mein Tod. Meine Entscheidung?"
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Auch zwei Jahre nach dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Sterbehilfe ein kontrovers diskutiertes Thema. Eine klare gesetzliche Regelung fehlt. Die Politik versucht nun nachzuschärfen. Der Film "Mein Tod. Meine Entscheidung" von Henrike Sandner dokumentiert das Pro und Contra zur Debatte um den assistierten Suizid. Zu Wort kommen Menschen, die sehr persönlich oder beruflich mit der Frage nach einem selbstbestimmten Tod konfrontiert sind.

Erst wenige Monate ist es her, dass Petra Bladt ihrem Mann Ralf beim assistierten Suizid zur Seite stand. Zwei Jahre zuvor wurde bei ihm ALS, eine schwere Erkrankung des Nervensystems, diagnostiziert.
Wie lassen sich Selbstbestimmung und Lebensschutz in Einklang bringen?
Als die Krankheit immer schneller voranschreitet, äußert er Selbstmordgedanken, erinnert sie sich und betont, dass er selbst entscheiden wollte, wann sein Leben endet: "Er hat immer mehr Hilfe und Unterstützung gebraucht. Seine Angst war, dass er es nicht mehr selber machen kann. Das muss er ja. Er befürchtete, diese letzte Handlung nicht mehr selber ausführen zu können, dass ihm die Zeit davon läuft", erinnert sich seine Frau Petra. Aus Angst vor dem Versagen der Motorik ging schließlich alles ganz schnell. Denn den letzten Akt, das Öffnen des Infusionsventils, konnte ihm niemand abnehmen. Nur vier Wochen lagen zwischen dem Gutachten der Sterbehilfe-Organisation und dem Todestag von Ralf Bladt.
Mit diesem begleiteten Suizid konnte er am Schluss selber entscheiden. Wir haben vorher darüber gesprochen. Das kannst du nicht, wenn jemand 'einfach' Selbstmord begeht.
Assistierte Sterbehilfe in rechtlicher Grauzone
Zwischen 2015 und 2020 war diese Form des assistierten Suizids in Deutschland strafbar. Nachdem Sterbehilfeorganisationen, Ärzte und schwer kranke Menschen gemeinsam vor das Bundesverfassungsgericht (BVG) zogen, änderte sich die Lage. Denn das BVG erklärte sie am 26.02.2020 für zulässig und begründete, das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben sei ein Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Seither befindet sich die Durchführung des assistierten Suizids in Deutschland in einer rechtlichen Grauzone. Mechanismen zur Regulierung fehlen. "In anderen Ländern ist die Suizidassistenz beschränkt auf Menschen mit fortgeschrittenen Erkrankungen und einer begrenzten Lebenszeit. Das, was die deutsche Situation so liberal macht - und die Frage ist, ob das gut ist, - ist, dass unabhängig von der Lebenssituation und Lebensphase vom Bundesverfassungsgericht gesagt wurde, dass jeder Menschen Anspruch auf Suizidassistenz hat", sagt Claudia Bausewein, Palliativmedizinerin am LMU Klinikum München.
Der BVG forderte deswegen im Zuge seines Urteils eine Anpassung der Gesetzgebung. Dem kam die Politik bislang jedoch nicht nach.
Ein Mitte 50-jähriger, der seine Arbeit verloren hat, dessen Ehe in die Brüche gegangen ist, der gerade seine Wohnung verloren hat, der also in einer schweren Lebenskrise steckt, hat genau dasselbe Recht auf eine Suizidassistenz wie ein schwerkranker Mensch.
Was unterscheidet aktive von assistierter Sterbehilfe?
Als aktive Sterbehilfe bezeichnet man die Herbeiführung des Todes einer Person auf deren Wunsch hin. Dies erfolgt beispielsweise durch die Verabreichung einer Überdosis eines bestimmten Wirkstoffes. In Deutschland steht diese Form der Sterbehilfe unter Strafe.
Der assistierte Suizid hingegen ist in Deutschland seit dem 26. Februar 2020 legal. Hier wird eine Person beim Vollzug einer Suizidhandlung, beispielsweise durch die Bereitstellung von Medikamenten unterstützt.
Zahl der Sterbehilfe-Anträge steigt
Die Zahl der Anträge auf assistierte Sterbehilfe steigt seitdem stark an. Knapp 350 Suizide haben deutsche Sterbehilfe-Organisationen im Jahr 2021 unterstützt. Robert Roßbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), rechnet für 2022 mit einer weiteren Zunahme: "Wir haben im Vorjahr 139 Anträge vermitteln können, in diesem Jahr wird es ungefähr das Doppelte sein. Das klingt zwar schlimm, aber wenn man die Gesamtzahl nimmt 280 bis 290 vermittelte Suizidhilfe-Fälle, dann ist das gemessen an der Anzahl der Bevölkerung in Deutschland noch sehr, sehr gering."
Kontroverse Debatte um assistierten Suizid
Die aktuelle Regelung der Sterbehilfe ist weiter umstritten. So spricht sich der kirchliche Wohlfahrtsverband Diakonie klar gegen jegliche Form des assistierten Suizids aus. Vielmehr solle die Begleitung der Sterbenden und die Prävention im Fokus stehen, meint Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. "Ich bin überzeugt, wenn wir uns in der Haltung dann diesen Menschen nähern, ist das die beste Prävention, die wir machen können. Das kleine Einmaleins der Suizidprävention ist es, keine Tabus aufzubauen. Alles sollte besprechbar sein: In Beziehung gehen, das ist der beste Anker, den man einem Menschen bieten kann."
Annette Adam ist Leiterin des Berliner Lazarus Hospiz. Auch sie berichtet von den Möglichkeiten erfolgreicher Suizidprävention. "Es ist schon so, dass wir die Situation durch die Begleitung und die Gespräche, die wir bieten mit den Leuten, gut in den Griff kriegen. Und dass sich Wünsche verändern."
Ganz anders sieht man das bei der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Hier befürwortet man die liberale Gesetzgebung und appelliert an das Selbstbestimmungsrecht der Menschen. "Bei den Kirchen ist es so, die sehen nur die palliative Versorgung und nicht auch die Suizidhilfe. Zwischen beiden Optionen muss ein aufgeklärter Patient wählen können. Und wenn er in dem einen Falle die palliative Sedierung wählt, dann ist das sein Selbstbestimmungsrecht. Das ist absolut zu respektieren und zu fördern. Wenn er aber als Alternative die Suizidhilfe möchte, dann muss auch dies respektiert werden", so Roßbruch.
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Hürde gesetzt, und die ist auch richtig: Urteils- und Entscheidungsfähigkeit. Und das ist das, was wir prüfen. Bei uns kann jedes Mitglied einen Antrag stellen, gleich mit welcher Motivation. Ob das eine schwere Krankheit ist, ob das Lebenssattheit ist, das wird nicht hinterfragt und geprüft. Wer sind wir denn, dass wir sowas zu prüfen haben? Die müssen sich nicht rechtfertigen vor uns.
Was ist palliative Sedierung? Unter palliativer Sedierung versteht man die Verabreichung von Medikamenten zur Bewusstseinsdämpfung sterbender Menschen. Hiermit sollen schwere Symptome wie Schmerzen oder Ängste in der Phase des Sterbens abgestellt werden. Diese Form der Sedierung kommt dabei allerdings erst zum Einsatz, wenn alle anderen therapeutischen Maßnahmen keine Wirkung mehr zeigen. Im Unterschied zur aktiven Sterbehilfe ist eine Beschleunigung des Sterbeprozesses als Folge der palliativen Sedierung nicht intendiert, wird jedoch in Kauf genommen.
Bundestag berät über Gesetzesänderung: Drei Entwürfe
Inzwischen befasst sich auch die Politik aktiv mit einer möglichen Anpassung der gesetzlichen Regelung. Im Mai 2022 führte der Bundestag erstmals eine Orientierungsdebatte zur Neuregelung der Sterbehilfe in Deutschland. Diskutiert werden aktuell drei Entwürfe, die eine Sache eint: Alle wollen den Zugang zur Sterbehilfe erschweren. Die Vorschläge reichen dabei vom Verbot geschäftsmäßiger Suizidhilfe über gesonderte Auflagen bis hin zur verpflichtenden Nutzung von Beratungsangeboten. Eigentlich sollte noch 2022 eine Einigung erzielt werden.
Die Meinungen zu den Entwürfen gehen weit auseinander. Ulrich Lilie von der Diakonie stellt sich hinter eine mögliche Beratungspflicht. "Ich halte es für zumutbar, dass sich Menschen dann nochmal einem solchen Verfahren stellen. Die umgekehrte Gefahr ist sehr viel gravierender für die Gesellschaft: In einer älter werdenden Gesellschaft, in der wir alle immer proper, leistungsfähig und immer gut drauf sein sollen", sagt er. Und:
Ich möchte nicht, dass Menschen sich rechtfertigen müssen, weil sie noch leben wollen, eben weil sie schwerst pflegebedürftig sind, weil sie ein sehr teures Bett brauchen und ein Tagesgeld in Anspruch nehmen, das sehr teuer ist und die Angehörigen und die Gesellschaft eine Menge Geld kostet.
Ganz anders sieht man das bei der DGHS, die sich erneut auf das Selbstbestimmungsrecht beruft. "Wir sind grundsätzlich gegen eine Beratungspflicht. Wir sind der Auffassung, dass ein erwachsener Mensch, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, der seit Jahren mit seiner schweren Krankheit zu tun hatte, sich überall informiert hat, wie es weitergehen könnte, welche Alternativen es gibt und der sich dann entschieden hat für eine Suizidhilfe, dass der noch mal zu einer Beratung muss und dort einen Beratungsschein, analog zum Schwangerschaftsberatungsschein bekommt, das ist für uns unsäglich und nicht tragbar", meint Robert Roßbruch.
Anmerkung zur Berichterstattung über Selbsttötung
Eine Berichterstattung zum Thema Suizid findet bei mdr.de aufgrund der hohen Nachahmungsquote nur in Ausnahmefällen und nach den Richtlinien des Pressekodex statt.
Sie haben Selbsttötungsgedanken oder durchleben gerade eine persönlichen Krise? Die Telefonseelsorge hilft Ihnen rund um die Uhr: 0800 1110111 und 0800 1110222. Der Anruf ist anonym und taucht nicht im Einzelverbindungsnachweis auf.
Auf der Webseite www.telefonseelsorge.de finden Sie weitere Hilfsangebote, zum Beispiel per E-Mail oder im Chat.
(MDR / Max Beuthner)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran: Mein Tod. Meine Entscheidung? | 17. November 2022 | 22:50 Uhr