Gescheiter scheitern mit KI - ChatGPT und Wolfram
WolframAlpha ist eine Suchmaschine der besonderen Art. Sie kann schwierige mathematische Gleichungen lösen, kennt aber auch die Umlaufbahnen von Planeten. Genau das Richtige also für Kilian Irrgang, denn WolframAlpha gibt es als Plugin für ChatGPT. Bildrechte: IMAGO / aal.photo / MDR Wissen

KI-Kolumne Gescheiter scheitern mit KI. Heute: ChatGPT und Wolfram

14. August 2023, 16:13 Uhr

Wer ist schlauer: MDR WISSEN oder ChatGPT mit Hilfe von WolframAlpha, einer rechnenden Suchmaschine mit großem Datenfundus? Kilian Irrgang hat's getestet und ist endlich mal nicht nur frustriert von der KI.

Ich bin Kilian Irrgang*. Ich muss gestehen, dass ich zuvor noch nie von WolframAlpha gehört hatte. Wahrscheinlich, weil es diese "rechnende Suchmaschine", die keine Webseiten, sondern handfeste Antworten als Suchergebnisse liefert und auch als Fast-Alleskönner in der Datenwelt bezeichnet wird, nur auf Englisch und Japanisch gibt.

Aber jetzt ist WolframAlpha mit ChatGPT verknüpft, als Plugin, wodurch nicht nur die eventuelle Sprachbarriere fällt (der Bot wird das schon alles richtig übersetzen), sondern auch herrliche zusätzliche Möglichkeiten offenstehen müssten, zumal Wolfram die Daten auch grafisch darstellen können soll, als Diagramm oder Karte, je nach Bedarf. Ich habe das getestet.

Und wie man ganz grundsätzlich an die Plugins von ChatGPT kommt, habe ich ja schon mal ausführlich berichtet.

"Angenehm. Wolfram."

Natürlich kenne ich Wolfram immer noch nicht sonderlich gut, aber ich habe gelesen und in Videos gesehen, dass es nicht nur gut rechnen kann, sondern auch schon von Hause aus viele Daten kennt, zum Beispiel die Umlaufbahnen von Planeten. Und da kam mir ein Video in den Sinn, das hier im MDR WISSEN-Universum immer noch herumschwirrt. Dabei geht es darum, sich vorstellen zu können, wie die Größenverhältnisse und Entfernungen in unserem Sonnensystem sind, nach dem Motto "wenn die Erde ein Fußball wäre". Ich zeige Ihnen das Video. Dauert nur drei Minuten.

Die Planeten des Sonnensystems sind als Bälle dargestellt und liegen auf der Grundlinie eines Fußballtores. Während die Erde ein Fußball ist, ist der Jupioter eine riesige Kugel, die die Höhe des Tores voll ausfüllt. 3 min
Bildrechte: Robert Rönsch/MDR
3 min

Wenn die Erde so groß wäre, wie ein Fußball, dann wäre der Durchmesser des Jupiters so breit, wie ein Fußballtor hoch ist. Wie groß abwer wäre die Sonne? Antworten in unserem Film.

MDR+ Mo 07.01.2019 16:21Uhr 03:11 min

https://www.mdr.de/wissen/videos/distanzen-groessenverhaeltnisse-sonnensystem-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Als das Video entstand, war an ChatGPT noch nicht zu denken, sprich: das wurde damals von einem menschlichen Kopf ausgerechnet, vielleicht mit Computerhilfe, okay. Hat sicher eine ganze Weile gedauert. ChatGPT und Wolfram müssten das doch jetzt viel schneller können.

Ich starte also ChatGPT mit aktiviertem Wolfram-Plugin und frage analog zum Video:
Wenn die Erde die Größe eines Fußballs (Durchmesser ca. 22 cm) hätte, wie groß wären dann die Sonne und die anderen Planeten unseres Sonnensystems – und mit welchen Bällen oder anderen runden Alltagsgegenständen könnte man sie vergleichen?

Der Bot antwortet sofort:

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die Durchmesser der Planeten und der Sonne im Verhältnis zur Erde betrachten und dann dieses Verhältnis auf die Größe eines Fußballs (22 cm Durchmesser) anwenden. Lassen Sie uns zuerst die Durchmesser der Planeten und der Sonne im Verhältnis zur Erde ermitteln.

Ja, so lobe ich mir das. Es folgen einige Anfragen bei Wolfram, der zuerst Angaben in Meilen ausspuckt. ChatGPT merkt selbst, dass Kilometer sinnvoller sind, weil das metrische System ja durch die 22 Zentimeter schon vorgegeben ist. Er fragt Wolfram nach den Angaben in Kilometern und bekommt sie. Danach verkündet ChatGPT wahrheitsgemäß – und damit mir sehr zur Freude:

Die Durchmesser der Erde und der Sonne sind etwa 12742 km und 1.391×10^6 km, respektive. Daher ist der Durchmesser der Sonne etwa 109 Mal größer als der Durchmesser der Erde.

Nun können wir diese Verhältnisse auf die Größe eines Fußballs anwenden. Wenn die Erde die Größe eines Fußballs mit einem Durchmesser von 22 cm hätte, dann wäre die Sonne etwa 109 Mal größer, also etwa 24 Meter im Durchmesser. Das entspricht etwa der Länge eines Schwimmbads.

Wenn er gesagt hätte "und damit etwas größer als der Mittelkreis eines Fußballfeldes", wäre er mir unheimlich geworden, muss ich sagen, Schwimmbad ist schon okay, wenn auch selten rund.
Bei den Größen der anderen Planeten machte er dann auch alles richtig, zumindest was die Maße angeht. Die Vergleiche mit anderen Dingen hinkten allerdings hin und wieder. Ich stell's mal verkürzt dar, was er geschrieben hat und meine Anmerkungen in Klammern:

Merkur: 8,4 cm - Tischtennisball (hä?)
Venus: 20,9 cm - fast wie Fußball (ja, okay)
Mars: 11,7 cm - Softball (hmm, da gibt's verschiedene Größen, oder?)
Jupiter: 2,42 m - kleines Auto (in der Höhe niemals, aber in der Länge vielleicht, okay)
Saturn: 2,00 m - Höhe eines durchschnittlichen Erwachsenen (hä?)
Uranus: 88 cm - Gymnastikball (juchhu, wie im Video!)
Neptun: 85 cm - etwas kleinerer Gymnastikball (nochmal juchhu!)

Damit ist die erste Hälfte des Videos schon geschafft, und die KI und Wolfram haben überzeugt, zumindest was das reine Rechnen betrifft. Es ging schnell, es war fehlerlos, sehr schön. Nur an den Größenvergleichen müssen wir noch ein bisschen arbeiten.

Wer hat sich verrechnet? Im Zweifel immer ChatGPT.

Es folgt aber noch der hintere Teil des Videos, wo es um die (durchschnittlichen) Entfernungen zwischen den Planeten und der Sonne geht. Hier nochmal ein Bild aus dem Video zur Erinnerung und zum Vergleich.

Umlaufbahnen Planeten im Größenmaßstab 1 : 57,9 Mio.
Bildrechte: MDR Wissen / Google

Meine Aufgabe an das neue Traum-Duo ChatGPT und Wolfram:
Und wie weit wären die einzelnen Planeten in diesem Größenmaßstab von der Sonne entfernt? Stell dir dazu vor, die Sonne wäre im Zentrum von Leipzig platziert. Durch welche anderen Städte würden die Umlaufbahnen der Planeten in etwa verlaufen?

ChatGPT lässt sich daraufhin von Wolfram die realen durchschnittlichen Abstände übermitteln, listet sie korrekt auf, schreibt dann aber seltsamerweise:

Nun müssen wir diese Entfernungen auf unseren Größenmaßstab anwenden. Wenn wir die Erde als Fußball mit einem Durchmesser von 22 cm betrachten, dann entspricht 1 AU (die durchschnittliche Entfernung von der Erde zur Sonne) etwa 22 cm.

Ey, Mann! Es war gerade so schön, und jetzt redest du schon wieder solchen Mist. Wenn die Erde 22 cm groß ist, kann doch nicht auch ihr Abstand zur Sonne 22 cm groß sein.
ChatGPT ist aber gerade im Flow, rechnet mit diesen Voraussetzungen weiter und kommt auf ein Ergebnis, das die Sau graust. Der innerste Planet Merkur sei in diesem Maßstab schon 150 km von der Leipziger Sonne weg, also etwa in Berlin. Und der äußerste Planet Neptun sei ganze 16.000 km entfernt, also zirka in Sydney, Australien, schreibt er.

Wenn ich das Video nicht gesehen und die falsche Voraussetzung überlesen hätte, würde ich das sicher glauben, hier waren ja zwei Rechengenies am Werk.
Nicht.
Wobei, nichts gegen Wolfram, der hat nichts falsch gemacht, aber Meister ChatGPT hat mal wieder kräftig halluziniert. Ich weise ihn freundlich darauf hin:
Das kann nicht stimmen. Du musst erst mal den Durchmesser der Erde von 22 cm in Relation zum tatsächlichen Durchmesser setzen, um den Größenmaßstab des gesamten Szenarios zu ermitteln und diesen Maßstab dann auf die Entfernungen anwenden.

Wie es so seine Art ist, wenn er auf frischer Tat ertappt wird, bittet er freundlichst um Entschuldigung, gibt seinem Ankläger in allen Punkten recht und gelobt Besserung. Er berechnet alles neu und präsentiert als Abstände zum Mittelpunkt der 24 Meter großen Sonne:

Merkur: etwa 10,1 Meter
Venus: etwa 18,6 Meter
Erde: etwa 25,8 Meter
Mars: etwa 39,3 Meter
Jupiter: etwa 134,4 Meter
Saturn: etwa 247,5 Meter
Uranus: etwa 495,6 Meter
Neptun: etwa 777,0 Meter

Sicher, die Erde würde in diesem Szenario verbrennen, aber sie wäre zumindest ganz knapp nicht schon Teil der Sonne wie Merkur und Venus. Ich ziehe dem Bot pädagogisch wertvoll die Ohren lang.

ChatGPT und Wolfram: Fehlerhinweis
Bildrechte: MDR Wissen

Es kommt wieder die Entschuldigung-Sie-haben-Recht-Nummer, er rechnet nochmal neu und liefert wieder nicht die Zahlen, die ich aus dem MDR WISSEN-Video kenne. Oder besser gesagt: Die Ziffern schon, aber mit anders gesetzten Kommastellen als im Video, nämlich alles zehnmal größer. Ich kriege langsam Befürchtungen, am Video stimme irgendwas nicht. Ich fordere ihn ein letztes Mal auf, das alles nochmal neu zu berechnen und mir dabei jeden einzelnen Rechenschritt zu erklären.

Alle guten Dinge sind vier

Vielleicht war es dieser Hinweis, mir jeden Schritt zu erklären, der ihn anders vorgehen ließ, ich weiß es nicht. Jedenfalls kam ChatGPT nun gleich zu Beginn der Berechnungen darauf, dass unser Szenario-Maßstab 1 : 57,9 Millionen beträgt. Zuvor hatte er da 1 : 5,79 Millionen (oder in seinem Schriftbild: 1:5,79*10^6) herausbekommen, das hatte ich aber übersehen. Ist ja auch nicht meine Aufgabe, so eine Grundsatzrechnung zu kontrollieren, oder?
Lange Rede, kurzer Sinn. Im vierten Anlauf klappte es nun. Die errechneten Werte waren endlich richtig und deckungsgleich mit denen im Video.

Ich bat ChatGPT, mir mit Wolframs Hilfe zwei Karten zu erstellen, die diese fiktiven Umlaufbahnen darstellen, also mit Leipzig in der Mitte und dann einmal die Umlaufbahnen der inneren vier Planeten drumherum und einmal die der äußeren vier. Ich bat um 2.000 Pixel Bildbreite (damit ich sie hier hochauflösend zeigen kann), aber daran verschluckte sich das Wolfram-Plugin und lieferte nichts. Deshalb kann ich Ihnen die erstellten Karten nur in deutlich geringerer Auflösung bieten, aber immerhin das klappte.

ChatGPT und Wolfram: Planetenbahnen, wenn die Erde ein Fußball wäre
Bildrechte: MDR Wissen

Wir halten fest: ChatGPT kann mit dem Wolfram-Plugin prinzipiell gut rechnen, sich aber auch gut und gern mal verrechnen, wobei da der Fehler immer bei ChatGPT lag. Trotzdem bin ich insgesamt zufrieden, endlich mal was geschafft zu haben bei meinen Tests. Und dass man Daten dann so schnell und einfach visualisieren kann, sogar mit unterlegter realer Karte, ist auch ein schöner Zugewinn.

Jetzt aber erst mal genug mit Daten. Ich habe im Plugin Store auch zwei Spiele entdeckt, bei denen man gegen die KI antreten kann. Das muss ich unbedingt probieren. Ich werde berichten.

Bis dahin, scheitern Sie bitte gescheiter.
Ihr Kilian Irrgang

*PS Kilian Irrgang ist, Sie ahnen es vermutlich schon, ein Pseudonym. Wir nutzen es, um über verschiedene gesammelte Erfahrungen und Erlebnisse aus der Arbeit mit KI in der Redaktion MDR WISSEN zu berichten.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 11 | 22. Mai 2023 | 11:00 Uhr