Astronomie Polarlichter am Nachthimmel: Werden wir 2023 noch mehr von ihnen sehen?

09. Mai 2023, 12:46 Uhr

Das bunte astronomische Schauspiel am Himmel ist in Deutschland eher eine Seltenheit. Dennoch konnten wir 2023 einige Polarlichter beobachten und das auch über Mitteldeutschland. Haben wir demnächst die Chance auf weitere Nordlichter? Wie entstehen Polarlichter überhaupt? MDR WISSEN hat mit den Experten gesprochen. Außerdem nimmt Sie der Autor auf eine persönliche Reise einer Polarlicht-Jagd mit.

Porträtfoto von Patrick Klapetz
Bildrechte: privat

Bunte Lichter, mal grün, mal violett, tanzen über den Himmel hinweg. Ein Schauspiel, das der Fantasie gewiefter Geschichtenerzähler zu entstammen scheint. Doch Polarlichter sind alles andere als ein Märchenkonstrukt. Auf der Nordhalbkugel werden sie auch Aurora borealis oder Nordlichter genannt – auf der Südhalbkugel entsprechend Südlichter oder Aurora australis. 

Sie treten überwiegend in den Polregionen auf und sind deswegen häufig in Finnland, Norwegen, Island und Kanada zu beobachten, aber auch in Alaska und der Antarktis. Jedoch haben auch wir 2023 Glück mit den Nordlichtern. In unserer astronomischen Jahresvorschau hatten wir mit dem Leiter des neu eröffneten Planetariums in Halle, Dirk Schlesier, über die Highlights für dieses Jahr gesprochen. Und bereits da hatte er Polarlichter vorhergesagt – natürlich unter Vorbehalt: "Vielleicht gibt es auch Polarlichter – ich möchte es nicht versprechen, weil sie über Mitteldeutschland sehr selten zu beobachten sind."

Eine Weltraum-Kollage mit Dirk Schlesier, dem Leiter des Planetariums in Halle (Saale), im Vordergrund. 14 min
Eine Weltraum-Kollage mit Dirk Schlesier, dem Leiter des Planetariums in Halle (Saale), im Vordergrund. Bildrechte: MDR, Planetarium Halle/Dirk Schlesier, Nasa, SpaceX

Schlesier sollte recht behalten. Zum Jahresanfang gab es erste Polarlichter über Deutschland. Da Finnland und Co. – also die Orte mit häufigen Nordlichter-Sichtungen – weit nördlich liegen, hat natürlich zuerst der norddeutsche Raum von diesem astronomischen Spektakel profitiert. Aber auch in Mitteldeutschland zeigten sich im April die ein oder anderen tanzenden Lichter am Nachthimmel. 

Woher kommen die Polarlichter?

Sie kennen vermutlich etliche Aufnahmen der bunten, fast transparenten Erscheinungen. Sie tanzen teils wie Rauchschwaden über den Himmel oder wehen wie Sand auf einer Düne umher. Doch in echt sieht es etwas anders als in den Zeitraffervideos aus, erklärt Peter Dorman auf Nachfrage von MDR WISSEN. Er ist der Bildungs- und Medienmanager im Planetarium Halle. 

"Die Lichter bewegen sich etwas langsamer. Manchmal schweben sie wie ein Vorhang über den Himmel. Aber das ist immer unterschiedlich. Man hat kürzlich ein neues Polarlicht-Phänomen beobachtet. Das sieht eher kreisförmig aus und wird 'Ragda' genannt. Leider konnte ich es noch nicht beobachten und kenne es auch nur aus Videos", sagt Dorman.

Was sich dort abspielt, haben wir unserer Sonne zu verdanken. Auf ihr stürmt es ständig. Und manchmal bricht einer dieser Sonnenstürme aus und wird ins Weltall hinausgeschleudert. Solche Stürme sind um einiges größer als unsere kleine Erde. Doch auch das Universum ist groß und so ein Sonnensturm kann in alle Richtungen geschleudert werden. 

Von 10.000 Stürmen erreichen vielleicht 50 die Erde, erzählte Volker Bothmer – einer der weltweit führenden Sonnenexperten – bereits MDR WISSEN im Interview. Er ist Sonnenphysiker und Professor am Institut für Astrophysik und Geophysik der Georg-August-Universität Göttingen.

Eine künstlerische Darstellung wie die NASA-Raumsonde 'Parker Solar Probe' durch die Korona der Sonne fliegt. Die Raumsonde befindet sich ganz klein in der oberen rechten Bildecke. Links unten nimmt die Sonne die Hälfte des Bildes ein und leuchtet orange-gelblich. Drum herum befindet sich ein orange-rötliches Gitternetz, dass die Alfvén-Oberfläche darstellen soll: Der Bereich, an dem Sonnenmaterie zu Sonnenwind wird.
Eine künstlerische Darstellung wie die NASA-Raumsonde 'Parker Solar Probe' durch die Korona der Sonne fliegt. Die Raumsonde befindet sich ganz klein in der oberen rechten Bildecke. Links unten nimmt die Sonne die Hälfte des Bildes ein und leuchtet orange-gelblich. Drum herum befindet sich ein orange-rötliches Gitternetz, dass die Alfvén-Oberfläche darstellen soll: Der Bereich, an dem Sonnenmaterie zu Sonnenwind wird. Bildrechte: Joy Ng, NASA Goddard Space Flight Center

Zudem arbeitet er mit der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa an der Sonnenmission Parker Solar Probe. Mit dieser Raumsonde will das Forschungsteam mehr über die Sonne erfahren, insbesondere ihre Korona – die äußerste Atmosphärenschicht.

Warum sehen wir gerade 2023 mehr Polarlichter?

Wenn eine solche stellare Sturmfront auf die Erde trifft, kann es zu Polarlichter-Erscheinungen kommen. In unseren Breitengraden bekommt man davon normalerweise recht wenig mit. Anders ist es in diesem Jahr. Denn die Aktivitäten auf der Sonne nehmen momentan zu. "Teleskope, die mit Finsternis-Folie ausgestattet sind, zeigen uns Flecken auf unserer Sonne: Sonnenflecken", erklärt Dirk Schlesier. Diese erschienen bereits 2022 sehr stark und häufig auf der Sonnenoberfläche. 

Das hat sich dieses Jahr nicht geändert und "immer, wenn man viele Sonnenflecken auf unserem Stern sieht, dann weiß man: Da geht richtig die Post ab. Und wir sind gerade auf einem aufsteigenden Ast der Sonnenaktivität", sagte Schlesier. Auch Volker Bothmer bestätigte uns bereits, dass die Sonnenaktivität im Moment zunimmt. Das sei nichts Außergewöhnliches.

Die Sonne
... verliert die Sonne über 4.000.000 Tonnen an Masse. Sie wandelt Materie in Strahlung um und gibt somit Masse ab. Da die Sonne 330.000 Mal mehr Masse als die Erde und einen Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometern hat, ist der Verlust nicht so enorm. Die verlorene Masse pro Sekunde beträgt 0,0000000000000000002 % der Gesamtmasse der Sonne. Bildrechte: Colourbox.de

Ein Sonnenzyklus dauert in etwa elf Jahre und es kommt zu einem Polsprung – was ebenfalls normal ist. Präzise Vorhersagen sind jedoch schwer zu treffen, "aber das Minimum [der Sonnenaktivitäten] hatten wir im Jahr 2020 herum und es dauert dann immer so zwei, drei Jahre bis zum ersten Maximum", erklärt Bothmer. Zudem gibt es nicht "eine Spitze der Sonnenfleckenhäufigkeit, sondern praktisch eine Maximumphase", die zwei bis drei Jahre andauert.  

Da die Sonnenaktivität gerade sehr stark ist, kann es durchaus sein, dass wir auch bei uns im Sommer weitere Polarlichter erkennen können.

Peter Dorman, Bildungs- und Medienmanager im Planetarium Halle

In genau so einer Phase befinden wir uns gerade. Die Sonne hat mehr Sonnenflecken, weswegen sie "zurzeit häufiger Plasma ins Weltall wirft", so Dorman. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, öfters vom Sonnenplasma getroffen zu werden und damit auch in unseren Breitengraden mehr Polarlichter zu sehen. 

Auf der Jagd nach Polarlichtern

An manchen Orten kann man sogar Touren mit Polarlicht-Jägern buchen. Auch ich war einmal auf so einer Reise in Island. Von der Küstenhauptstadt Reykjavík bin ich am Abend mit einer Gruppe fremder Menschen in einen Reisebus gestiegen. Es war März und allmählich wurde es dunkel und immer frischer. Mir war zuvor meine Winterjacke abhandengekommen. Gestohlen? Verloren? Ich weiß es nicht. Es war also kalt. Doch die Chance auf Polarlichter wollte ich mir nicht entgehen lassen und immerhin hatte ich genug Pullis und T-Shirts mit. Zwiebellook also. 

Und der Bus war beheizt. Zunächst befanden wir uns auf einer Schnellstraße und umso weiter wir uns von der Stadt entfernten, desto dunkler wurde es. Dann folgte der Busfahrer kurvigen Straßen, die immer enger wurden. Auf einem abgelegenen Parkplatz machten wir halt. Und wäre dort nicht der Bus mit seinen Lichtern gewesen, wäre es tatsächlich stockdunkel gewesen. 

Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Doch der Himmel blieb Schwarz. Dafür ploppten immer mehr Sterne am Firmament auf. Die Reiseführer telefonierten hektisch hin und her. Nach einer halben oder dreiviertel Stunde sagten sie uns, dass an diesem Ort wohl keine Polarlichter mehr erscheinen werden. Aber sie hätten noch einen anderen Spot und die Jagd nach den bunten Lichtern ging weiter. Es war frustrierend und aufregend zu gleich. 

Sehr selten kann eine in der Atmosphäre aufsteigende Schwerewelle gefiltert und so gebogen werden, dass sie zwischen der Mesopause und einer Inversionsschicht, die sich intermittierend unterhalb der Mesopause bildet, hin und her wandert. Die Mesopause und die Inversionsschicht sind kälter als die anderen Schichten der Atmosphäre. In dem zwischen diesen beiden Schichten gebildeten Wellenkanal können von unten kommende Schwerewellen große Entfernungen zurücklegen, ohne sich abzuschwächen. Dünenförmige Polarlicht-Emissionen entstehen, wenn der Sonnenwind die Sauerstoffatome auflädt, die durch den Kanal strömen.
Sehr selten kann eine in der Atmosphäre aufsteigende Schwerewelle gefiltert und so gebogen werden, dass sie zwischen der Mesopause und einer Inversionsschicht, die sich intermittierend unterhalb der Mesopause bildet, hin und her wandert. Die Mesopause und die Inversionsschicht sind kälter als die anderen Schichten der Atmosphäre. In dem zwischen diesen beiden Schichten gebildeten Wellenkanal können von unten kommende Schwerewellen große Entfernungen zurücklegen, ohne sich abzuschwächen. Dünenförmige Polarlicht-Emissionen entstehen, wenn der Sonnenwind die Sauerstoffatome auflädt, die durch den Kanal strömen. Bildrechte: Jani Närhi

Der nächste Ort war nach abgelegener und dunkler. Und beides blieb er auch. Auch hier keine Polarlichter. Die Reiseführer hatten aber noch einen weiteren Ort auf ihrer Karte und zu dem ging es auf einer weniger befestigte Straßen. Unser Bus wirkte dabei breiter als die holprigen Straßen. Weit und breit gab es kein Anzeichen von Leben und das bisschen, was man erkennen konnte, sah wie eine Sumpflandschaft aus. 

Dann erreichten wir ein altes Wikinger-Langhaus, eine Gaststätte, in der wir uns aufwärmen konnten. Draußen ging dann die Polarlicht-Jagd weiter. Es war dunkel, doch in ein paar Kilometern Entfernung war ein kleines, spärlich beleuchtetes Dorf. Doch selbst dieses bisschen Licht sorgte dafür, dass die Nacht nicht tiefrabenschwarz war. Und am Himmel? Dort funkelten die Sterne kräftig und zahlreich. Ein wunderschöner und für einen Städter seltener Anblick. Nur Polarlichter durfte ich in dieser Nacht nicht sehen. 

Prognose: Die Wetterkanäle für Polarlichter

Egal ob bei meinen Besuchen in Island, Finnland oder meiner Zeit im kalten kanadischen Winter: Polarlichter sah ich nie. Sie zu entdecken bleibt ein Glücksfall. Vor allem die Zeit zwischen Anfang September bis Mitte April ist dafür sehr gut geeignet, aber kein Garant. Das hängt mit der Menge von Sonnenplasma zusammen, die ins Weltall geschleudert wird und tatsächlich auf unsere Atmosphäre trifft, erklärt Dorman. Da im Winter die Nächste länger sind, ist auch die Chance, ein Polarlicht zu erkennen, höher.

Solang es hell ist, kann man leider keine Polarlichter erkennen, selbst wenn sie gerade da sind.

Peter Dorman, Bildungs- und Medienmanager im Planetarium Halle

Dorman empfiehlt zudem, einen Blick in den App-Store zu werfen und sich dort "die ein oder andere App anzuschauen. Bei manchen von ihnen kann man die Benachrichtigung einschalten, falls gerade die Wahrscheinlichkeit für eine Sichtung gegeben ist."

Entstehung von Polarlichtern: Was passiert genau, wenn ein Sonnensturm die Erde trifft?

Jetzt haben wir eine Sache noch nicht geklärt. Sonnenpartikel erreichen die Erde, aber wie genau entsteht dadurch ein Polarlicht? Wenn bei einer Sonneneruption Plasma in Richtung der Erde geschleudert wird und diese trifft, können Polarlichter entstehen, sagt Dorman und ergänzt: "In den oberen Atmosphärenschichten reagieren diese geladenen Teilchen mit verschiedenen Elementen und regen diese an."

Jedoch prasseln laut Sonnenforscher Bothmer die ausgeschleuderten Teilchen "nicht einfach auf die Erdatmosphäre, da sie durch das Erdmagnetfeld abgeschirmt werden". Eine Gefahr sind solche stellaren Stürme damit eher nicht. Bei stärkeren Sonnenwinden kann das Magnetfeld auf der sonnenabgewandten Seite der Erde zusammengedrückt werden. Dieser Bereich wird der Magnetschweif der Erde genannt. 

Wissen

Ansicht der Sonne mit der im Stile eines Wasserzeichens eingefügten Zahl Zehn. 12 min
Was wissen wir über unsere Sonne? Bildrechte: MDR

"Bei diesem magnetischen Kurzschluss entstehen – wie auch auf der Sonne – elektrische Felder, die Elektronen, die ursprünglich aus der Erdatmosphäre stammen, beschleunigen", erzählt Bothmer. Dorman ergänzt: "Wenn die Teilchen dann in ein niedrigeres Energieniveau zurückfallen, senden sie Licht aus, was als Polarlicht wahrgenommen werden kann. Je nachdem in welcher Höhe und mit welchem Teilchen das Plasma reagiert, entstehen unterschiedliche Farben."

Die Elementarteilchen, mit denen das Plasma in der oberen Erdatmosphäre interagiert, sind ausschlaggebend für die Farbe der Polarlichter. Wenn das Plasma "auf Sauerstoffteilchen trifft, dann können grünliche Polarlichter am Himmel erscheinen. In höheren Schichten kann Sauerstoff auch rotes Polarlicht erzeugen. Stickstoff kann allerdings auch dunkelrote bis violette Polarlichter erzeugen", beschreibt es Dorman. 

Darüber kann es auch zu Mischfarben kommen, wenn mehrere Teilchen mit dem Plasma der Sonne agieren. Und dafür dürfen wir vielleicht noch einige Variationen sehen, denn Expertinnen und Experten schätzen, dass das Maximum der Sonnenaktivität für 2024 erwartet wird. Und falls uns im Sommer doch kein Polarlicht erscheint, haben wir vielleicht in den dunkleren Monaten mehr Glück.  

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 24. April 2023 | 09:30 Uhr