Spielszene: «Tristan und Isolde» am Anhaltischen Theater Dessau
Bildrechte: Claudia Heysel

Rezension Die Liebe als Qual: Richard Wagners "Tristan und Isolde" im Anhaltischen Theater Dessau

29. Januar 2024, 13:05 Uhr

Die zum Scheitern verurteilte Liebe zwischen Tristan und Isolde ist zeitlos, aktuell und unwirklich zugleich. Sie ruft immer wieder neue Interpretationsideen hervor. Über die neue Inszenierung von Michael Schachermaier berichtet Susann Krieger für MDR KLASSIK.

Zu Fuß kommt der 16-jährige Richard Wagner zum ersten Mal nach Dessau. Einige Jahre später sitzt er im Publikum des dortigen Elbmusikfestes. Danach vergehen viele Jahrzehnte, bevor Wagner zurückkehrt. Inzwischen sind bereits viele seiner Bühnenwerke am Dessauer Theater aufgeführt worden. 1872 reist Wagner durch verschiedene Städte, um für seine Bayreuther Festspiele zu werben. In Dessau hört er Glucks "Orpheus und Eurydike" und – als Überraschung – das Vorspiel seiner "Meistersinger". Zeitzeugen berichten, dass Wagner so begeistert gewesen sei, dass er Tränen in den Augen hatte.

Ab 1949, nach der Wiedereröffnung des im Krieg zerstörten Dessauer Theaterhauses, werden zahlreiche Neuinszenierungen von Wagner-Opern erfolgreich aufgeführt. Aus dieser Zeit stammt der Name "Bayreuth des Nordens". Nach dem Mauerbau 1961 schläft die Tradition jedoch ein.

"Tristan und Isolde" nach 18 Jahren neu inszeniert

Erst ab Ende der 1990er-Jahre kommen Wagner-Werke allmählich zurück nach Dessau. 2006 inszeniert der damalige Intendant des Anhaltischen Theaters Johannes Felsenstein den Tristan neu: damals mit einem Orchester auf der Hinterbühne und einer schwenkbaren Drehbühne, die bis in den Zuschauerraum hineinreicht. Eine durchaus erfolgreiche Inszenierung. Nun wagt sich der Österreicher Michael Schachermaier an eine Neuinterpretation des Tristans.

Dunkle Bilder

Spielszene: «Tristan und Isolde» am Anhaltischen Theater Dessau
Diese Inszenierung setzt auf ein minimalistisches und dunkles Bühnenbild. Bildrechte: Claudia Heysel

Zeitlos und ortsungebunden setzt er die Handlung in Szene. Auf der Bühne bleibt es überwiegend dunkel. Im Hintergrund zwei Etagen: jeweils in quadratische offene Räume aufgeteilt, die mal als Schiffsdeck, mal als Galerie oder Brücke zum Meer gedeutet werden können. Abstrakt und minimalistisch. Andererseits überträgt der Regisseur den Text sehr naturalistisch ins Geschehen. Wenn zum Beispiel Isolde von der Heilung Tristans erzählt, stellen beide die Szene unmittelbar nach. Oder die Kämpfe mit den Schwertern werden textgetreu auch szenisch gezeigt.

Es wird ansonsten viel gestanden oder sich in Zeitlupe bewegt: als wolle der Regisseur immer wieder neue Skulpturen erschaffen, Bilder aus menschlichen Figuren, die sich manchmal etwas verschieben.

Die Kraft der Stimmen

Spielszene: «Tristan und Isolde» am Anhaltischen Theater Dessau
Iordanka Derilova als kraftvolle Isolde. Bildrechte: Claudia Heysel

Die Kraft liegt in der Musik. Der Dirigent Markus L. Frank leitet die Anhaltische Philharmonie durch den gesamten Kosmos der Gefühle.

Iordanka Derilova als Isolde explodiert, um später vor Liebe zu zerfließen oder an ihrer Sehnsucht zu zerbrechen. Trotz ihres großen Vibratos in der Stimme zeigt sie eine unglaubliche Bandbreite an Emotionen, die bis in die letzte Zuschauerreihe zu spüren ist. Daneben verblasst der Tenor Tilmann Unger als Tristan etwas. Er kann besonders in den lyrischen Phrasen überzeugen. Beide, Derilova und Unger, verlieren bis zum Ende nichts an ihrer stimmlichen Intensität.

Anne Schuldts Nachtgesang "Habet acht" als Brangäne leuchtet wunderschön im Vollmond und nimmt gefangen. Mit Michael Tews als König Marke leidet man mit und fühlt den Schmerz des Verlassenen, die Enttäuschung des Verratenen.

Kurwenals Liebe und Treue zu Tristen, gesungen vom großartigen Kay Stiefermann, ist körperlich greifbar.

Kultur

Die Liebe zu den drei Orangen
Bildrechte: Andreas Lander

Ein Ende im Diesseits?

Von Anfang an ist klar, dass alles zum Scheitern verurteilt ist: die Liebe im Hier und Jetzt bekommt nie eine Chance, das Lebensende wird zur Sehnsucht. Tristan stirbt an seiner Verletzung, Isolde den Liebestod. Kurwenal und Melot töten sich gegenseitig. König Marke und Brangäne stehen vor einem menschlichen Trümmerhaufen. Was wäre da alles an Interpretation und Deutung möglich gewesen?

Spielszene: «Tristan und Isolde» am Anhaltischen Theater Dessau
Tristan (Tilmann Unger) sirbt an einer Verletzung, Isolde (KS Iordanka Derilova) am Liebestod. Bildrechte: Claudia Heysel

Doch am Ende sitzen Tristan und Isolde gemeinsam am Küchentisch und halten sich bei den Händen. Ein Neustart im jetzigen Leben? Die Musik ist das tragende Element bei der Dessauer Premiere. Sie nimmt einen bis zum Schluss mit auf die emotionale, tief ins Herz treffende Reise.

Besetzung

Musikalische Leitung: Markus L. Frank
Regie: Michael Schachermaier
Bühne: Paul Lerchbaumer

Kostüme: Alexander Djurkov Hotter
Kampfchoreografie: Martin Anderson
Leitung Opernchor: Sebastian Kennerknecht
Dramaturgie: Yuri Colossale

Isolde: KS Iordanka Derilova
Brangäne: Anne Schuldt
Tristan: Tilmann Unger
Melot: Baris Yavuz
Kurwenal: Kay Stiefermann, Mathias Hausmann
König Marke: Michael Tews
Ein Hirte: David Ameln
Ein Steuermann: Pawel Tomczak

Stimme eines jungen Seemanns: David Ameln

Anhaltische Philharmonie Dessau
Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau
Statisterie des Anhaltischen Theaters Dessau

Die nächsten Aufführungen: 04.02., 18.02., 25.02., 29.03. und 19.05.24 im Anhaltischen Theater Dessau.

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 29. Januar 2024 | 09:10 Uhr

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