Eine Villa in Schkopau
Die Villa in Schkopau, die nun von der rechtsextremen "Identitären Bewegung" genutzt wird. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Rechtsextremismus Führungskader der "Identitären" in Ostdeutschland aktiv

09. Februar 2024, 16:33 Uhr

Die rechtsextreme "Identitäre Bewegung" musste 2019 ein Haus in Halle aufgeben. Nun zeigen Recherchen, dass Mitglieder im nahen Schkopau eine Villa bezogen. In Chemnitz haben sie jüngst ein neues Zentrum eröffnet. Außerdem bauen sie offenbar ihre Verbindungen zur AfD in Ostdeutschland aus – und teilen dabei ein gemeinsames Ziel: die Verdrängung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Vor einem winterlich, blätterlosen Auwald am Rand von Schkopau steht die stattliche Villa mit Nebengelass. Hinter der historischen Gartenstadtsiedlung fließt die Saale weiter gen Norden nach Halle. Davor dampfen die Schornsteine der Dow-Chemiewerke. In den ehemaligen "Buna"-Werken wurde in der NS-Zeit und in der DDR synthetischer Kautschuk hergestellt. Recherchen von "Spiegel" und MDR Investigativ zeigen, dass die 1911 erbaute Villa in der Idylle als Zentrum der rechtsextremen "Identitären Bewegung" (IB) genutzt wird.  

Ein Mann vor gelben Balons
Der Chef der "Identitären Bewegung Deutschland": Philip Thaler. Bildrechte: Represented by ZUMA Press, Inc.

In dem rosafarbenen Gebäude sind führende Kader der IB gemeldet, unter anderem Philip Thaler, Chef der "Identitären Bewegung Deutschland". Hauptmieter ist die Firma "Schanze Eins UG & Co. KG", die als Finanzdienstleister der IB dient. Außerdem sitzt dort die "Grauzone Medien GmbH", ein Unternehmen, welches mehrheitlich von zwei Identitären betrieben wird. In Schkopau war das Projekt bisher kein Thema – durch den MDR befragte Anwohner sind die Rechtsextremisten bisher nicht aufgefallen, auch Bürgermeister Torsten Ringling (parteilos) war es nicht bekannt. Dabei haben die Sicherheitsbehörden das Hausprojekt seit seiner Entstehung 2021 im Blick. In seinem Jahresbericht für 2022 beschreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz das Objekt in Sachsen-Anhalt als "Wohnprojekt von Führungskadern" der IB Deutschland.

Die Identitären bestreiten, dass die Villa in Schkopau als Zentrale ihrer Organisation fungiere. Auf Anfrage von "Spiegel" und MDR Investigativ teilte IB-Chef Thaler mit, dass das Grundstück in der Halleschen Straße in Schkopau "dezidiert kein IB-Objekt" sei und keinen "öffentlichkeitswirksamen Anspruch" habe. Neben einzelnen Identitären wohnten dort auch Personen, die "keinen politischen Hintergrund" hätten.

Identitäre und die AfD in Sachsen-Anhalt

Schon einmal hatten die Identitären versucht, mit einem Hausprojekt in Sachsen-Anhalt Fuß zu fassen. In Halle betrieben sie das "Flamberg" in der Innenstadt – zeitweise unterhielt auch der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider in dem vierstöckigen Gründerzeitbau ein Büro. Doch Studenten und Anwohner des Uni-Viertels protestierten immer wieder gegen das rechtsextreme Zentrum – eine Bürgerinitiative organisierte zahlreiche Demonstrationen. Wiederholt flogen Farbbeutel und Pflastersteine gegen das Haus. Aufgrund der teils gewalttätigen Übergriffe und der anhaltenden Proteste gaben die Identitären 2019 auf.

Sebastian Striegel, MdL, Innenpolitischer Sprecher Grüne-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt
Grünen-Politiker in Sachsen-Anhalt: Sebastian Striegel. Bildrechte: Sebastian Striegel

Führungskader, die vorher in Halle an der Saale aktiv waren, zogen nach Schkopau um. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel, in dessen Wahlkreis das jetzt bekannt gewordene IB-Zentrum liegt, zeigt sich von der Ansiedlung im Saalekreis nicht überrascht. Er sieht die Region schon länger im Fokus: "Hier arbeiten unterschiedlichste Akteure zusammen. Die AfD, die AfD-Landtagsfraktion, die Junge Alternative, das ‚Institut für Staatspolitik‘ von Goetz Kubitschek, die ‚Identitäre Bewegung‘ mit ihren Tarnfirmen." Striegel spricht von einer strategischen Vernetzung: "All das bildet am Ende eine Art Teppich, aus dem heraus dann natürlich auch immer wieder der Versuch unternommen wird, bei Wahlen die rechtsextreme Bewegung stärker zu machen."

All das bildet am Ende eine Art Teppich, aus dem heraus dann natürlich auch immer wieder der Versuch unternommen wird, bei Wahlen die rechtsextreme Bewegung stärker zu machen.

Sebastian Striegel Grünen-Landtagsabgeordneter

Identitäre und ihre Bedeutung in der "Neuen Rechten"

Mehrere Jahre hatten die Identitären versucht, mit Flashmobs und Demonstrationen in der ganzen Bundesrepublik auf sich aufmerksam zu machen. Sie propagierten online und offline die Verschwörungserzählung von einem geplanten Austausch der Bevölkerung. Ihr sogenannter "Ethnopluralismus" zeichnet Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund als Gefahr für Deutschland. Entgegen ihres Namens gelang es der "Identitären Bewegung" jedoch nicht, nennenswert Mitglieder zu gewinnen – mehr als 500 waren es deutschlandweit nie. Doch als propagandistischer Arm der "Neuen Rechten" ist die IB aktiver denn je.

Martin Sellner, die österreichische Leitfigur der Identitären, hatte im November bei einem Geheimtreffen in Potsdam seinen Plan für Deutschland vorgestellt: Er will Millionen Menschen mit Migrationshintergrund "remigrieren", also aus der Bundesrepublik verdrängen. Das Recherchenetzwerk "Correctiv" machte das konspirative Treffen Anfang 2024 öffentlich. Neben Sellner haben auch AfD-Politiker, Mitarbeiter der Partei sowie CDU-Mitglieder an der Veranstaltung teilgenommen.

Ganz offensichtlich ist, dass die IB sich als Unterstützerin der AfD versteht. Mehrere (Ex-)Identitäre arbeiten für AfD-Abgeordnete oder für AfD-Fraktionen. Eine Firma von ID-Kadern betreibt den Internetshop der rechtsextremen "Jungen Alternative", der Jugendorganisation der AfD. Ende November eröffnete die IB in Chemnitz ein Zentrum für "Gegenkultur". Dabei sollen mehrere Mitglieder der sächsischen AfD anwesend gewesen sein.

Ein Investor aus Leipzig

Der Eigentümer der Villa in Schkopau ist nach Recherchen von "Spiegel" und MDR Investigativ die Lindenthaler Verwaltungsgesellschaft mbH. Deren alleiniger Eigentümer ist ein Unternehmer aus Leipzig: Holger Grentzebach. Er kam nach der Wiedervereinigung für die Hessisch-Thüringische Landesbank in den Osten, später war er bei der Leipziger Sparkasse angestellt und machte sich dann als Investor selbstständig.

Ein Mann mit Brille.
Der Eigentümer der Lindenthaler Verwaltungsgesellschaft: Holger Grentzebach. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Vor seinem Firmen- und Wohnhaus in Leipzig hat MDR Investigativ den Manager gefragt, warum er seine Immobilie an die rechtsextremen Identitären vermietet hat. "Es ist ein Investment und nicht mehr und nicht weniger", sagte Grentzebach. Er habe schlecht recherchiert. Vermietet sei das 5.000-Quadratmeter-Grundstück mit Villa und Anbau an die "Schanze Eins Unternehmensgesellschaft". Dass es sich dabei um den Finanzdienstleister der IB handele, will der Ex-Banker nicht gewusst haben.

Für eine Kündigung des Mietvertrages sieht Grentzebach keinen Spielraum: "Die politische Richtung war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Ich identifiziere mich in keiner Weise damit. Und von der Seite her kann ich aber nicht sagen: Bestehende Verträge kündigen wegen politischer Gesinnung. Das ist nicht mein Ding." Grentzebach sagt, er habe den Kaufpreis der Immobilie (545.000 Euro) komplett aus eigenen Mitteln aufgebracht - lediglich bei der Sanierung habe er zum Teil Mieterdarlehen in Anspruch genommen.

Ein IT-Unternehmer aus Leipzig

Allerdings hält Grentzebach auch 40 Prozent an der "Grauzone Medien GmbH", die Untermieter in der IB-Villa in Schkopau ist. Die anderen 60 Prozent der Gesellschafteranteile entfallen auf zwei Führungskader der Identitären. Auch in diesem Fall bestreitet Grentzebach jede politische Intention: "Das ist eine reine Kapitalanlage und nicht mehr und nicht weniger. Da steige ich aus, bis Mitte des Jahres bin ich draußen."

Schloss Reinsberg
Das Schloss in Reinsberg in der Nähe von Dresden. Bildrechte: IMAGO / Sylvio Dittrich

Angebahnt hat den Immobilienkauf in Schkopau ein Geschäftsfreund von Grentzebach. Der Leipziger IT-Unternehmer war im Herbst 2019 mit dem Versuch gescheitert, ein Schloss im mittelsächsischen Reinsberg zu kaufen. Bei einem Besichtigungstermin war aufgefallen, dass IB-Chef Thaler einer seiner Begleiter war. Die Kommune machte daraufhin von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch.

Später besichtigte der IT-Unternehmer mehrfach die Villa in Schkopau, will im Auftrag von Grentzebach nach einer Immobilie gesucht haben. Grentzebach hingegen sagt, er habe seinen Geschäftsfreund beim Kaufpreis überboten. Auf Anfrage zu Reinsberg und Schkopau erklärte der IT-Unternehmer, er habe "ein rein kaufmännisch-wirtschaftliches Interesse" an den Immobilien gehabt.

Ex-CDU-Politiker offenbar Großsponsor der Identitären

Ex-Finanzsenator aus Berlin, Peter Kurth.
Der ehemalige CDU-Finanzsenator aus Berlin: Peter Kurth. Bildrechte: picture alliance/dpa | Annette Riedl

Der Berliner Ex-CDU-Finanzsenator Peter Kurth soll nach Recherchen von "Spiegel" und MDR Investigativ die IB mit deutlich mehr Geld unterstützt haben als bekannt. Demnach soll er zwischen 2019 und 2022 rund 240.000 Euro in Firmengeflechte der IB gesteckt haben. Die Gelder stehen offenbar im Zusammenhang mit Immobilienprojekten der Identitären in Österreich, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Nach den Recherchen soll Kurth im Oktober 2022 rund 70.000 Euro an ein Immobilienunternehmen des IB-Deutschlandchefs Thaler überwiesen haben. Das Geld soll der Realisierung des neuen Zentrums in Chemnitz gedient haben.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 31. Januar 2024 | 20:15 Uhr

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