Erfurt: Björn Höcke AfD in der 116. Plenarsitzung des Thüringer Landtags
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Landtagswahlen "Remigration"-Pläne: Die ostdeutsche AfD will das umsetzen

05. Februar 2024, 11:39 Uhr

Bei einem Geheimtreffen in Potsdam stellte Martin Sellner, früher Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, seinen Plan für Deutschland vor: Er will Millionen Menschen mit Migrationshintergrund "remigrieren", also aus der Bundesrepublik verdrängen. Das sorgt deutschlandweit für Proteste. Ungeachtet dessen machen die AfD-Fraktionsvorsitzenden der ostdeutschen Bundesländer damit Wahlkampf. Bei Regierungsverantwortung wollen sie ein jahrzehntelanges "Remigrationsprojekt" starten.

Die Fraktionschefs der AfD in den neuen Bundesländern haben angekündigt, dass sie das sogenannte "Remigrationsprojekt" beginnen wollen, sobald sie in Regierungsverantwortung stehen. In drei dieser Länder – Brandenburg, Sachsen und Thüringen – stehen in diesem Jahr Landtagswahlen an. In den Umfragen ist die AfD jeweils stärkste Kraft. Was meinen sie also mit "Remigration"?

Im November des vergangenen Jahres stellte Martin Sellner, der langjährige Kopf der rechtsextremen "Identitären Bewegung" (IB), in einer Potsdamer Villa seinen Plan für Deutschland vor. Neben Sellner haben auch AfD-Politiker sowie Mitarbeiter der Partei an der Veranstaltung teilgenommen. Das Recherchenetzwerk "Correctiv" machte das konspirative Treffen Anfang 2024 öffentlich – die Vertreibungsfantasien sorgen seitdem bundesweit für Demonstrationen.

Die Fraktionschefs der AfD in den ostdeutschen Ländern.
Die Fraktionschef der AfD (von links): Jörg Urban (Sachsen), Oliver Kirchner (Sachsen-Anhalt), Björn Höcke (Thüringen), Nikolaus Kramer (Mecklenburg-Vorpommern) und Hans-Christoph Berndt (Brandenburg) auf einem von ihnen veröffentlichen Bild. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Sellner bekräftigte auch im Nachhinein, was er bei dem Treffen ausführte. Geht es nach dem Österreicher, sollen drei Gruppen aus Deutschland herausgedrängt werden: Asylbewerber, Nicht-Staatsbürger und so genannte "nicht assimilierte" Staatsbürger. Für die dritte Gruppe  – Menschen mit deutschem Pass –, schweben Sellner "hoher Anpassungsdruck" und "maßgeschneiderte Gesetze" vor, um sie zur Ausreise zu drängen.

Das, was Sellner entwirft, ist ein Vertreibungsprogramm.

David Begrich Rechtsextremismus-Experte

Sellner versucht bereits seit Jahren, das Wort "Remigration" zum Kampfbegriff zu machen. Dabei handelt es sich ursprünglich um einen Begriff, der für die Rückkehr der Menschen steht, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren, erklärt Rechtsextremismus-Experte David Begrich vom Miteinander e.V. aus Magdeburg. Diese waren nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt, also remigriert. Später wurde "Remigration" zum neutral-beschreibenden Fachwort für die freiwillige oder erzwungene Rückkehr von Migranten in ihre Heimatländer. Begrich sieht in der jetzigen Verwendung des Begriffes durch Rechtsextreme eine perfide Verschleierung: "Das, was Sellner entwirft, ist etwas anderes. Es ist ein Vertreibungsprogramm, das nicht eine Rückkehr, sondern das Umgekehrte ist: eine Ausweisung."

Ideologisches Trio: Höcke, Sellner und Kubitschek

Was Sellner will, ist auch seit Jahren Thema von Björn Höcke. 2015 verbrämte der Thüringer AfD-Chef seine rassistische Sichtweise in einem Vortrag am "Institut für Staatspolitik" in Schnellroda als pseudowissenschaftliche Theorie: "Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp. Diese Erkenntnis, die ruft nach einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Asyl- und Einwanderungspolitik Deutschlands und Europas."

Drei Jahre später, 2018, machte Höcke dann in einem Interviewband mit dem Titel: "Nie zweimal in denselben Fluss" deutlich, was daraus politisch folgen soll: "Ja, neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man, so fürchte ich, nicht um eine Politik der 'wohltemperierten' Grausamkeit’, wie es Peter Sloterdijk nannte, herumkommen. Das heißt, dass sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden."

Höcke und Sellner bilden schon länger ein ideologisches Trio mit Götz Kubitschek, der in Sachsen-Anhalt das "Institut für Staatspolitik" betreibt. Es ist ein rechtsextremes Schulungszentrum, in dem auch Höcke und Sellner auftreten. Kubitschek gilt als Vertrauter von Höcke und ist seit Jahren ein Förderer von Sellner, der auch in Kubitscheks Verlag publiziert.

Wer ist eigentlich Martin Sellner?

Wer ist eigentlich Martin Sellner und was will er? Als Jugendlicher radikalisierte er sich im Umfeld des verurteilten Holocaustleugners Gottfried Küssel, der lange Zeit die zentrale Figur der österreichischen Neonaziszene war. Später trat Sellner als Leiter der "Identitären Bewegung Österreich" auf und inszeniert sich seither für die sogenannte "Neue Rechte" als Sunny-Boy. So stand er auch mehrfach auf der Bühne bei Demonstrationen von Pegida in Dresden.

Obwohl Martin Sellner in den sozialen Medien sehr aktiv ist und viele Menschen erreicht, ist sein Versuch, die "Identitären" zur Massenbewegung in Österreich und Deutschland zu machen, gescheitert. In Deutschland kam die IB nie über eine überschaubare Zahl von Aktivisten hinaus. Allerdings gelang es Sellner und der IB, durch permanente Behauptung und Wiederholung in den sozialen Netzwerken den Begriff vom "großen Austausch" populär zu machen.

Mann mit Mikrofon bei Pegida
Martin Sellner war viele Jahre der Kopf der rechtsextremen "Identitären Bewegung". Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Die These ist, es gebe einen großen Austausch. Die politischen, wirtschaftlichen Eliten würden einen großen Austausch vorbereiten", erklärt Begrich, der die rechtsextreme Szene seit mehr als 20 Jahren analysiert. "Dahinter steht eigentlich eine Verschwörungstheorie von einem angeblich ganz großen Plan, die europäische Bevölkerung durch Menschen aus anderen Erdteilen zu ersetzen."

Die AfD in Sachsen-Anhalt zum Sellner-Vortrag

Zum Vortrag von Sellner in Potsdam kam auch Ulrich Siegmund, Sachsen-Anhalts Co-Fraktionschef der AfD. Er, das berichtete "Correctiv", soll sich in Potsdam so geäußert haben: Das Straßenbild müsse sich ändern, ausländische Restaurants unter Druck gesetzt werden. Es solle in Sachsen-Anhalt "für dieses Klientel möglichst unattraktiv sein zu leben". Und das könne man sehr einfach realisieren. Auf Anfrage von MDR Investigativ weist Siegmund die Darstellung von "Correctiv" zurück und schreibt, dass er sich in Potsdam nur zu Wettbüros und Shisha-Bars geäußert habe.

Siegmund ist gemeinsam mit Oliver Kirchner Vorsitzender der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt. Kirchner glaubt seinem Parteikollegen, sagt aber auch: "Ich möchte nicht, dass es hier aussieht wie in Kabul. Ich möchte auch keine Zustände haben wie in Kabul." Er könne sich mit dem Straßenbild in Magdeburg nicht mehr identifizieren. "Mit arabischen Schriftzeichen, wo ich nicht weiß: Was wird da gemacht? […] Das sind die Sachen, die ich damit meine, und die würde ich gerne wieder zurückdrehen."

Verbindungen zwischen AfD und "Identitärer Bewegung"

Obwohl die AfD und ihre Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur "Identitären Bewegung" getroffen haben, sieht Siegmund in Sellner offenbar einen Partner. Tatsächlich gibt es schon länger enge Verbindungen zwischen der AfD, JA und Identitären: So nahm Robert Teske, damals Chef der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative Bremen", im Juni 2017 an einer "Identitären"-Demo in Berlin teil. Seit Ende August 2018 beobachtete der Verfassungsschutz der Hansestadt den JA-Verband Teskes wegen rechtsextremer Bestrebungen. Ausschlaggebend waren nach Aussage der Behörde die Verbindungen der "Jungen Alternative Bremen" zur IB.

Wen wollen die AfD-Fraktionschefs "remigrieren"?

Nach der "Correctiv"-Veröffentlichung bestreitet die AfD, deutsche Staatsbürger aus dem Land drängen zu wollen. Die ostdeutschen AfD-Fraktionsvorsitzenden sind allerdings mit einer gemeinsamen Erklärung auf Sellner-Kurs gegangen. Motto: "Deutschland muss wieder deutscher werden." So wollen sie mit der sogenannten "Remigration" Wählerstimmen sammeln. Neben Massenabschiebungen sollen vermeintlich oder tatsächlich nichtintegrierte Ausländer durch Druck und Anreize zum Verlassen der Bundesrepublik gebracht werden.

Man soll uns doch nicht so dumm einschätzen, dass wir jetzt praktisch ein Gesetz auf die Ebene bringen wollen, wo ich meine eigene Frau abschiebe.

Oliver Kirchner AfD-Fraktionschef in Sachsen-Anhalt

Was soll das konkret heißen? Sachsen-Anhalts Fraktionschef Oliver Kirchner ist mit einer Moldawierin verheiratet. Deutsche mit Migrationshintergrund will er nicht aus dem Land vertreiben: "Ich kann ja keinen Deutschen abschieben. Wo soll ich den denn hinschieben? Das ist ja Unfug. […] Man soll uns doch nicht so dumm einschätzen, dass wir jetzt praktisch ein Gesetz auf die Ebene bringen wollen, wo ich meine eigene Frau abschiebe. Die ist hier integriert, die ist jetzt Deutsche geworden und dann ist das auch in Ordnung."

Kirchner stört sich auch nicht an der doppelten Staatsbürgerschaft – anders als sein Thüringer AfD-Parteikollege Höcke. Der sieht, wie er MDR Investigativ mitteilt, im Doppelpass eine Gefahr: Weil der Rechtsstaat auf ungeteilter Loyalität fuße.

"Das heißt, die Menschen werden sich tatsächlich entscheiden müssen", sagte Höcke bei einer Rede im Dezember 2023 in Gera. "So wie ich gerade die türkische Community in Deutschland kenne, werden sich viele für die türkische Staatsangehörigkeit entscheiden. Davon bin ich überzeugt. Deswegen ist diese Doppelstaatsbürgerschaft, so blöd sich das jetzt anhört, eine gewisse Chance, einen Großteil derer dazu zu bewegen, in ihr Heimatland zurückzukehren." Höcke will im Herbst in Thüringen Ministerpräsident werden.

Die Ankündigung der AfD-Fraktionschef

Gemeinsam mit den anderen Ost-Fraktionschefs räumt Höcke ein, dass das sogenannte Remigrationsprojekt "Jahrzehnte brauchen wird. Das wissen wir. Aber wir werden beginnen, sobald wir in Regierungsverantwortung stehen."

Der Grund für die AfD: "Wir haben zur Zeit mehrere Millionen Menschen, die illegal eingewandert sind", sagt der Fraktionsvorsitzende der AfD Sachsen, Jörg Urban, der im Freistaat im Herbst Regierungschef werden will. "Von denen sind, glaube ich, ungefähr 300.000 gerichtsfest ausreisepflichtig. Alleine die außer Landes zu schaffen. Das wird ja oftmals nicht freiwillig gehen."

Dann sagt Urban weiter: "Die Gerichtsverfahren zum Asylrecht der anderen Millionen, die hier noch im Verfahren sind, wo wir noch gar nicht wissen, wie es ausgeht, werden sich noch über einen sehr langen Zeitraum strecken."

Millionen in laufenden Asylverfahren? Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhebt die genauen Zahlen. Sie fallen deutlich niedriger aus als von Urban behauptet. In ganz Deutschland sind aktuell rund 360.000 Menschen in laufenden Verfahren. Bei zwei Dritteln von ihnen laufen die behördlichen Verfahren noch, ein Drittel klagt bei den Verwaltungsgerichten gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge.

Anmerkung der Redaktion In der Ursprungsfassung dieses Beitrags hatten wir geschrieben, dass Robert Teske zeitweise den Bremer Ableger der "Identitären Bewegung" leitete. Diese Angabe war falsch.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 31. Januar 2024 | 20:15 Uhr

490 Kommentare

MDR-Team vor 13 Wochen

Hallo Ralf Meier,
Correctiv schreibt dazu: "Unsere journalistische Haltung dazu ist: Bei einer Zusammenkunft, in der es um rein politische, verfassungsrechtlich hochrelevante Inhalte geht, können sich Politikerinnen und Politiker nicht darauf berufen, privat und nicht beruflich dort gewesen zu sein." Juristen stimmen dieser Einschätzung zu: https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/afd-rechtsextreme-geheimtreffen-correctiv-keine-privatsache-100.html

MDR-Team vor 13 Wochen

Hallo emlo,
das ist nicht richtig. Die Begriffe sind keine Synonyme. Im Gegensatz zur Deportation ist die Abschiebung auf gesetzlicher Grundlage eine legale staatliche Zwangsmaßnahme.

MDR-Team vor 13 Wochen

Hallo Aratano,
auch hier nochmal:
von welcher Minderheit sprechen Sie? Die Deutschen sind doch nicht in der Minderheit.
Im Jahr 2022 lebten in Deutschland 20,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach Ergebnissen des Mikrozensus mitteilt, waren das 6,5 % oder 1,2 Millionen mehr als im Vorjahr (2021: 19,0 Millionen). Der Anteil dieser Personengruppe an der Bevölkerung stieg damit um 1,3 Prozentpunkte auf 24,3 %.
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/04/PD23_158_125.html

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