Politik Wie tief die Risse in der Brandmauer zur AfD sind

25. September 2023, 05:00 Uhr

Keine Zusammenarbeit mit der AfD: Diese Grenze ziehen die Spitzen aller Parteien im Bundestag. Doch nun stimmten CDU und FDP mit der AfD für eine Steuersenkung in Thüringen – und auf kommunaler Ebene wird in vielen Orten noch viel weitreichender mit der AfD zusammengearbeitet, wie MDR-Recherchen belegen.

Mit den Stimmen von CDU, AfD und FDP hat der thüringische Landtag gerade erst eine Steuersenkung beschlossen – und damit die rot-rot-grüne Regierung überstimmt. Die gemeinsame Abstimmung mit der AfD hat deutschlandweit für Kritik gesorgt. "Das ist eine neue Qualität im deutschen Parlamentarismus, die es so noch nicht gegeben hat", kritisierte etwa der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Die AfD feiert dagegen das Ende von "Merz' Brandmauer".

"Da gibt es eine Brandmauer, da gibt es eine klare Abgrenzung", so hatte es der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz vor knapp zwei Jahren gesagt. Vor kurzem plädierte der CDU-Chef zwar für einen pragmatischen Umgang mit gewählten AfD-Vertretern in den Kommunen. Doch nach viel Kritik aus der eigenen Partei ruderte er öffentlich zurück.

So distanzieren sich auf Nachfrage des MDR weiterhin die Spitzen aller Parteien, die im Bundestag sitzen, von einer Zusammenarbeit mit der AfD – auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Doch wo beginnt diese eigentlich? "Ja, also gemeinsames Abstimmen ist schon eine Zusammenarbeit, weil man den Vorschlag gut findet", sagt der Politikwissenschaftler Prof. Martin Gross von der LMU München. "Danach kommt eigentlich nur noch feste Zusammenarbeit, gemeinsame Anträge stellen."

Wenn es um Schlaglöcher geht

Die Abgrenzungsregeln von oben aus der Parteispitze kann Uwe Schlammer vor Ort nicht gebrauchen. Er sitzt seit knapp 30 Jahren für Die Linke (früher PDS) im Kreistag von Sonneberg. In diesem Landkreis in Südthüringen gibt es seit August mit Robert Sesselmann den ersten AfD-Landrat im Amt. Doch Zusammenarbeit mit der AfD – die gibt es dort schon länger.

Da können sich die anderen Parteien nun mal schlecht auf kommunaler Ebene hinstellen und sagen: Nein, das Schlagloch bleibt offen.

Uwe Schlammer Linke-Abgeordneter im Kreistag Sonneberg

"Man kann nicht einfach sagen: Pass auf, Du bist AfD-Mitglied, was du hier erzählst, das ist Quatsch", so Schlammer. Etwa wenn die AfD ein Schlagloch in einer Straße schließen wolle: "Da können sich die anderen Parteien nun mal schlecht auf kommunaler Ebene hinstellen und sagen: Nein, das Schlagloch bleibt offen." Auch deshalb sei es schwierig, aus der Ferne zu sagen: Ihr dürft nicht mit der AfD abstimmen. "Das ist eigentlich unrealistisch."

Der Landesverband der Linken schreibt dazu auf Anfrage: "Die Linke lehnt jede Zusammenarbeit mit Kräften der extremen Rechten, faschistischen Organisationen und Demokratiefeinden ab." Jede Art der Abstimmung mit der AfD werde als Zusammenarbeit definiert. "Insofern müssen Mitglieder, die mit antidemokratischen Kräften zusammenarbeiten, mit einem Antrag auf Parteiausschluss rechnen."

Karte von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit roten Markierungen
In mindestens 18 von 50 Parlamenten kamen inhaltliche Anträge der AfD durch. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wie sieht also die Realität in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in den kommunalen Parlamenten aus? Dafür hat MDR Investigativ alle mitteldeutschen Landkreise und kreisfreien Städte angefragt, ob dort Anträge der AfD eine Mehrheit bekommen haben. Dafür braucht die AfD in fast allen Fällen die Stimmen der anderen Parteien. Das Ergebnis: In mindestens 18 von 50 Parlamenten kamen inhaltliche Anträge der AfD durch – die meisten davon mithilfe der CDU. 

Sachsen: Wo Anträge der AfD eine Mehrheit bekamen

In Sachsen erhielten inhaltliche Anträge der AfD in vier Parlamenten eine Mehrheit, in drei davon nachweislich mit Stimmen der CDU, darunter in Bautzen. Dort stimmte im Kreistag im Dezember letzten Jahres die CDU nahezu geschlossen für einen Antrag der AfD. Darin ging es um Kürzungen von Leistungen für Asylbewerber.

Die AfD ist im Landkreis präsent, baut regelmäßig einen Stand bei den Montagsprotesten in Bautzen auf, wo Reichsflaggen geschwenkt und andere rechtsextreme Symbole gezeigt werden. Dass ein Antrag der AfD nur mit Hilfe der CDU eine Mehrheit bekommen konnte, ärgert einige in der Stadt.

"Ich war ziemlich sauer, als ich das gehört habe", sagt Anke Knaak, die auch Mitglied in der CDU ist. Sie engagiert sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit. "Ich befürchte, dass das für Leute den Eindruck verstärkt: Die AfD ist ja gar nicht so schlimm, weil ja sogar die CDU ihren Vorschlägen zustimmt."

Wenn der AfD-Antrag inhaltlich in Ordnung ist

Der Grünen-Politiker Jonas Löschau war bei der Abstimmung im Bautzener Kreistag dabei. Er wirft der CDU vor, den für sie bequemsten Weg gewählt zu haben: "Durchaus hätte man einen eigenen Antrag stellen können, wenn man den inhaltlich ausarbeitet. Und da erwarte ich dann tatsächlich auch von der CDU, dass sie mit so einem Antrag auch auf uns zukommt, auf die demokratischen Fraktionen im Kreistag."

Doch jedes Mal einen eigenen Antrag stellen, auch wenn der AfD-Antrag inhaltlich in Ordnung ist?  Das sei unpraktikabel und aufwändig, bekommt MDR Investigativ von vielen Kommunalpolitikern zu hören, die ihren Posten in der Regel neben ihrem Beruf ausführen.

Aus Sicht des CDU-Generalsekretärs in Sachsen sind Abstimmungen wie in Bautzen Einzelfälle: "Wir haben immer sehr deutlich gesagt, dass wir keinen Anträgen der AfD zustimmen", sagt Alexander Dierks. "Und, dass es klar sein muss, dass eine bürgerlich-konservative Partei der Mitte, die CDU in Sachsen, eigene Positionen braucht für die Themen, die die Menschen im Land bewegen.” Konsequenzen für die CDU-Kreisräte, die entgegen der Parteilinie für den AfD-Antrag gestimmt haben, gab es bislang nicht.

Konsequenzen für SPD-Politiker nach Antrag mit AfD

Das war in Hildburghausen in Thüringen anders. Dort führte gemeinsames Abstimmen mit der AfD nun erstmals zu ernsthaften Parteiinternen Konsequenzen. Im vergangenen Winter hatte der Stadtrat ein Abwahlverfahren gegen den amtierenden Bürgermeister auf den Weg gebracht. Unter anderem mit Stimmen von AfD, einem rechtsextremen Bündnis – und der SPD.

Die beiden SPD-Stadträte widersetzten sich damit ihrer Parteilinie. Ralf Bumann ist einer von ihnen und steht bis heute zu seiner Entscheidung: "Wir sind ja eigentlich als Stadtrat unserem Gewissen verpflichtet und dem Wohle der Stadt und nicht irgendwelchen Parteiforderungen." Das habe er auch dem SPD-Landesvorsitzenden gesagt. "Ich würde diese Entscheidung heute genau so noch mal treffen, wie wir sie damals im Dezember getroffen haben.”

Er sieht nicht die politische Bedeutung, die über Hildburghausen damit verknüpft ist.

Georg Maier Vorsitzender der SPD in Thüringen
Der Chef der SPD in Thüringen: Innenminister Georg Maier
Der Chef der SPD in Thüringen: Innenminister Georg Maier. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gegen Ralf Bumann und den anderen Stadtrat läuft nun ein Partei-Ordnungsverfahren, das im schlimmsten Fall mit einem Partei-Ausschluss enden könnte. Bumann ärgert sich über diesen Schritt – für den sich vor allem der Thüringer SPD-Chef Georg Maier eingesetzt hatte.

"Er sieht nicht die politische Bedeutung, die über Hildburghausen damit verknüpft ist", entgegnet der SPD-Landesvorsitzende Maier. Es sei kein rein regionales Sachthema. "Ich habe ein Problem damit, weil es zum ersten Mal auch zu einer Zusammenarbeit gekommen ist." Der Antrag sei nur mit Unterstützung der SPD durchgegangen. "Und es handelt sich nicht um einen trivialen Vorgang, sondern es handelt sich um eine Abwahl."

Thüringen: CDU stimmt immer für AfD-Anträge

Maier hatte die CDU-Fraktion im Vorfeld der Abstimmung im Thüringer Landtag über die Steuersenkung kritisiert und von einem "einzigartigen Vorgang" gesprochen. Die Recherchen von MDR Investigativ belegen, dass die CDU in Thüringen in den Kreistagen immer wieder für AfD-Anträge stimmt. Es gibt Belege für mindestens sechs Fälle, darunter im Landkreis Sonneberg, wo die dortige CDU-Fraktion sogar gemeinsam mit der AfD einen Antrag in den Kreistag einbrachte.

"Ich finde, dieses Fingerzeigen und Brandmauer-Gerede, das erlebe ich bei den normalen Bürgern nicht. Sondern was ich da erlebe ist: Kümmert euch um die Sorgen der Leute", sagte der Vorsitzende der CDU Thüringen, Mario Voigt, einen Tag vor der Abstimmung über die Senkung der Grunderwerbsteuer. Nur mit Stimmen der AfD und FDP im Landtag konnte die CDU ihren Vorschlag durchbringen.

"Wenn eben die Bundes-Organisation der CDU vorgibt, dass man nicht mit der AfD zusammenarbeitet, dann sind es diese kleinen Fälle, die den Riss in diese Brandmauer reißen", sagt Politikwissenschaftler Gross. "Und im Grunde gibt es diese Brandmauer kommunal nicht mehr und im Landtag jetzt auch nicht mehr." Und: Risse in der Brandmauer gibt es offenbar nicht nur bei der CDU – sondern auch bei anderen Parteien.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 20. September 2023 | 20:15 Uhr

164 Kommentare

Ralf112 vor 30 Wochen

Bisher sehe ich nur die AfD auf Seiten des russischen Kriegstreibers Putin. Und in den Reihen der AfD habe ich auch noch keinen Antifaschisten gesehen... nicht einen einzigen!

Wagner vor 30 Wochen

Natürlich waren rechte Strukturen und rechtes Denken latent in der alten BRD vorhanden. Wie ich schrieb :der Fall Aiwanger zeigt das ja. Nur eben will man in der alten BRD davon nichts wissen .Ein paar Fragen und Schluss damit. So ist das. Wie letztens ein Kommentator schrieb - auf die von Ihnen genannten Ortsnamen angewandt- in der DDR wären die gnadenlos im Knast verschwunden.Aber das Ganze hat mit dem Thema Brandmauer nichts zu tun -siehe gestern hart aber … : natürlich gab und gibt es Absprachen die diese Mauer zur Scheinmauer werden lassen . Die Unfähigkeit bürgernahe Politik zu betreiben ,führt dazu.

Wessi vor 30 Wochen

Lichtenhagen?Hoyerswerder?Ganz ohne Höcke.Nur latente Strukturen...!Und nochwas: wie Opfer und deren Familien empfinden haben die anderen nicht vorzuschreiben.

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