Prof. Thomas Herzfeld, Direktor des Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) und Leiter der Abteilung Agrarpolitik an der Universität Halle am 5.1.2023 im MDR-Interview 1 min
Die Bauernproteste gehen weiter. Warum, dazu äußert sich Thomas Herzfeld, Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) im Interview. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
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Mo 08.01.2024 19:00Uhr 00:39 min

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Interview Agrarexperte erklärt, was Bauern und Politik zusammenbringen könnte

08. Januar 2024, 19:03 Uhr

Die Proteste der Landwirte gehen weiter. Dass die Bundesregierung Kürzungen teilweise zurückgenommen hat, reicht den Bauern nicht aus. Laut den neuen Plänen sollen Bauern weiter von der Kfz-Steuer befreit bleiben. Die Subvention für den Agrardiesel soll nur schrittweise wegfallen. MDR SACHSEN-ANHALT hat mit dem Agrarexperten Professor Thomas Herzfeld vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung gesprochen. Ein Interview über den Ärger der Landwirte und mögliche Lösungen.

Wer ist Thomas Herzfeld? Professor Thomas Herzfeld ist seit Oktober 2011 Direktor am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle (IAMO) und leitet die Abteilung Agrarpolitik. Er studierte Agrarwissenschaften in Halle, Kiel und in Rennes, Frankreich. Außerdem ist er Professor für den Bereich Politik und Institutionen im Agrarsektor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Quelle: IAMO

Thomas Herzfeld: Ich denke, das war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Da hat sich seit Längerem Unmut angestaut, weil die Veränderungsprozesse relativ schnell gehen. Ich denke, dass viele der landwirtschaftlichen Unternehmen Zukunftsperspektiven vermissen auf Seiten der Politik.

Vielleicht noch grundsätzlicher ist allerdings die Frage, ob dieser alte Konsens, dass die Landwirtschaft eine Sonderrolle einnimmt, nach und nach aufgegeben wird? Das würde bedeuten, dass der Agrarsektor mit anderen Wirtschaftsbereichen auf eine Ebene gestellt wird.

In den vergangenen Jahren waren die Erträge bei der Getreideernte dem Vernehmen nach recht gut. Trotz Umwelteinflüssen wie Dürren oder Überschwemmungen. Klagen die Landwirte auf hohem Niveau?

Die landwirtschaftliche Produktion ist immer Schwankungen ausgesetzt, zurückzuführen auf Wetterereignisse. Aber auch die Preise schwanken – stärker als die Landwirte das in den 1980er- oder 1990er-Jahren gewohnt waren.

Die Betriebe und Unternehmen müssen aber auch investieren können. Deswegen ist es verständlich, dass für die Bauern nach Jahren mit weniger guten Ernten auch positivere Jahre kommen. Das heißt aber nicht, dass es der Landwirtschaft immer glänzend geht.

Die Landwirte brauchen langfristige und vor allem verlässliche Rahmenbedingungen.

Thomas Herzfeld, Leibniz-Institut für Agrarentwicklung

Die Politik sollte den Landwirten mehr erklären, wie sie die Bauern bei den Zukunftsfragen begleiten und unterstützen möchte. Schließlich haben sich die Ansprüche der Gesellschaft sehr verändert. Denken Sie an mehr Tierwohl, mehr Arten-, Umwelt- und Klimaschutz. Das kann nicht allein der Markt übernehmen. Die Landwirte brauchen langfristige und vor allem verlässliche Rahmenbedingungen, um wichtige Investitionen in den nächsten 20 oder 30 Jahren durchführen zu können.

Sie müssen darauf vertrauen können, dass sich die Situation in den nächsten zwei oder drei Jahren nicht schon wieder grundlegend ändert.

Die Landwirte haben bereits signalisiert, dass sie die jüngsten Pläne der Regierung nicht akzeptieren. Beispiel schrittweise Abschaffung der Diesel-Subventionen. Da wollen die Bauern nicht mitmachen. Was wäre denn ein sinnvoller Kompromiss-Vorschlag?

Anfang der 2.000er-Jahre gab es eine kurze Zeit, in der diese Agrardiesel-Beihilfe gedeckelt war. Es wurden pro Betrieb maximal 10.000 Liter erstattet. Damit war für alle Betriebe ein bestimmter Betrag subventioniert. Darüber hinaus wurde die volle Dieselsteuer erhoben. Diese Regelung hat die Politik wieder aufgehoben. Aber das könnte eine Zwischenlösung sein.

Gleichzeitig sehen wir aber aus ökonomischer Sicht keine Rechtfertigung für diese Form der Subvention. Deshalb ist es schon sinnvoll, diese Hilfen abzubauen. Im Gegenzug sollte man sich dann auf EU-Ebene dafür stark machen, dass die Ungleichbehandlung bei der Dieselbesteuerung in den Mitgliedsstaaten abgebaut oder zumindest reduziert wird.

Warten da neue Herausforderungen für die Landwirtschaft? Zusätzlich zum Klimaschutz und anderen Feldern?

Ja. Auf der einen Seite sollen die Bauern den Ausstoß von Kohlendioxid verringern. Andererseits sind die gefragt, wenn es darum geht, verstärkt CO2 in den Böden und Agrarflächen zu binden. Etwa, wenn sie Moorgebiete anlegen. Diese Flächen stehen dann einer landwirtschaftlichen Nutzung kaum mehr zur Verfügung. Angesichts der politischen Ziele führt daran aber kein Weg vorbei. Das ist schwierig.

Entweder macht sich die Politik unglaubwürdig, indem sie die eigenen Vorgaben nicht erfüllt oder sie muss die Bauern kräftig unterstützen. Klar ist: Allein über den Markt und die Lebensmittelpreise kann so ein Konflikt nicht gelöst werden.

Mit dem geplanten EU-Beitritt der Ukraine kann die derzeitige Agrarpolitik in der Europäischen Union aus meiner Sicht nicht fortgeführt werden. Sie muss grundlegend reformiert werden. Das bedeutet, dass viel tiefere Einschnitte bei den Subventionen nötig wären, als es jetzt mit der vergleichsweise kleinen Rückvergütung beim Agrardiesel der Fall ist.

Mit dem geplanten EU-Beitritt der Ukraine kann die derzeitige Agrarpolitik in der Europäischen Union aus meiner Sicht nicht fortgeführt werden.

Thomas Herzfeld, Leibniz-Institut für Agrarentwicklung

Sollte die jetzige Agrarpolitik Bestand haben, hätten auch die ukrainischen Bauern Anspruch auf sogenannte Landflächen-Prämien. Das aber wäre nicht zu rechtfertigen. Schon wegen der riesigen Flächen in dem Land. Außerdem können die Landwirte in der Ukraine schon jetzt kaum zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren. Abgesehen davon: Zu finanzieren wäre das auch nicht.

Das Interview führte Stefan Hellem.

MDR (Jörg Wunram, Cynthia Seidel)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 08. Januar 2024 | 19:00 Uhr

315 Kommentare

DER Beobachter vor 15 Wochen

Zumindest hat in den letzten 30 Jahren kein anderes Bundesland in Summa so sehr wie Sachsen von den EU-Geldern zur Förderung des ländlichen Raums profitiert...

DER Beobachter vor 15 Wochen

Kritiker: Ein indisches Traktorenunternehmen (Name vergessen), das gerade massiv auf den europäischen und wachsend auch auf den deutschen Markt drängt, wird voraussichtlich noch in diesem Jahr auch mit dem Export seiner E-Traktoren im mittleren Leistungssegment beginnen. John Deere (USA, kenne Bauern hier allertdings im W, die auf die Marke schwören...) wollen 2025 auch auf den europäischen Markt sogar schon mit einem E-Traktor im Hochleistungssegment mit Batterieschnellwechselmöglichkeit, kaum teurer und nicht schwerer als seine konventionellen Maschinen. Weitere indische und amerikanische, ferner niederländische und baltische Start-Ups sitzen in den Startlöchern. Nur D hat mal wieder selbstverschuldet den Anschluss verpasst: Fendt geht vorauss. erst 2026 in Serie mit einem deutlich teureren E-Traktormodell im mittleren Leistungssektor, noch dazu nicht in D, sondern auch den NL produziert...

DER Beobachter vor 15 Wochen

Dann gucken Sie bitte nochmnal beim MDR Sachsen (auf den bezog ich mich übrigen) rein oder in die Polizeiberichte, pwsksk. "Witzig" wird es gerade, wenn offenbar nur hier in Sachsen jetzt die "Wutbürger" gegenüber den "Wutbauern" übergriffig werden, heute im Erzgebirge, der Lausitz und im Vogtland...

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