Ein Schienenbus erhält 1995 in der Montagehalle der Waggonbau Dessau GmbH den letzten Schliff
Hier ist wohl bald Schluss: Das Molinari-Werk in Dessau steht nach langer Geschichte kurz vor dem endgültigen Aus. (Archivfoto) Bildrechte: picture-alliance/ZB/Ralf Hirschberger

Kündigungen werden vorbereitet Keine Investoren: Insolvente Molinari-Fahrzeugtechnik in Dessau wird geschlossen

01. März 2023, 15:26 Uhr

Dass das Unternehmen Molinari-Fahrzeugtechnik in Dessau in Schieflage ist, war bekannt. Zuletzt aber liefen Gespräche mit Investoren, denen der insolvente Traditionsbetrieb angeboten wurde – ohne Erfolg. Die lange Geschichte des Waggonbaus in Dessau steht damit kurz vor dem endgültigen Aus. IHK und die Stadt reagieren mit Sorge.

Der Fahrzeugbauer Molinari in Dessau-Roßlau wird geschlossen. Das Unternehmen hat am Mittwoch beim Amtsgericht Dessau-Roßlau einen Insolvenzantrag gestellt. Man habe zahlreiche Investoren angefragt, mehr als 20 hätten den Betrieb besichtigt, am Ende seien aber alle abgesprungen, sagte Insolvenzverwalterin Susanne Berner im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.

Den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wünschen wir, dass sie alle bald eine Anschlussbeschäftigung finden.

Robert Reck, parteilos Oberbürgermeister von Dessau-Roßlau

"Wir bedauern sehr, dass der Geschäftsbetrieb eingestellt werden muss", sagte der Dessauer Oberbürgermeister Robert Reck (parteilos) am Mittwoch MDR SACHSEN-ANHALT. Leider habe sich die Hoffnung, dass ein Investor das Unternehmen fortführt, nicht erfüllt. "Den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wünschen wir, dass sie alle bald eine Anschlussbeschäftigung finden", so Reck weiter. Die Stadt verliere mit dem Unternehmen einen traditionsreichen Arbeitsgeber.

Hohe Energiekosten und großes Betriebsgelände

Grund für das bevorstehende Aus ist nach Angaben der Insolvenzverwalterin unter anderem die Größe des Betriebsgeländes mit mehr als 100.000 Quadratmetern und fünf großen Hallen. Die potentiellen Investoren hätten keine Möglichkeit gesehen, das Betriebsgrundstück entsprechend auszulasten. Hinzu kämen die hohen Energiekosten, die rund 50 Prozent der erzielten Umsätze ausmachten. Eine Einigung mit den Stadtwerken Dessau habe man – trotz der politisch umgesetzten Strom- und Gaspreisbreme – nicht erreichen können.

Viele Beschäftigte bekommen bis Ende März Kündigung

Die meisten der 75 von ehemals rund 100 Beschäftigten werden Berner zufolge voraussichtlich noch bis Ende März die betriebsbedingte Kündigung erhalten und freigestellt werden. Etwa 20 Mitarbeiter würden darüber hinaus befristet weiterbeschäftigt, um die verbliebenen Aufträge abzuarbeiten und den Betrieb abzuwickeln.

Es sei für die Region keine gute Nachricht, wenn traditionsreiche Wirtschaftszweige in Schwierigkeiten kommen, sagte Sven Horn am Mittwoch MDR SACHSEN-ANHALT. Horn leitet die Dessauer Geschäftsstelle der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau. "Nicht nur für diese Branche ist zukünftig wichtig, dass die Politik den Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung ebnet, die klimafreundlich, verlässlich und vor allem bezahlbar ist", so Horn weiter. Ansonsten könnten noch mehr Unternehmen in Schwierigkeiten kommen.

Traditionsstandort: Busse, Straßenbahnen, Waggons und Lieferwagen

Hinter dem Standort liegt eine lange Geschichte. Nach den Anfängen Ende des 19. Jahrhunderts war die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg durch Expansion gekennzeichnet. Später wurde das Unternehmen von den Nationalsozialisten übernommen und nach dem Krieg zunächst unter sowjetische Verwaltung gestellt. 1956 entstand der Volkseigene Betrieb (VEB) Waggonbau Dessau. Er war der Hersteller von Eisenbahnwagen in der DDR. Nach der Wende gab es immer wieder Besitzerwechsel. Zuletzt hatte im Jahr 2016 die Schweizer Gruppe Molinari den Standort übernommen.

Am Standort Dessau wurden Züge und Wagen entwickelt, die deutschlandweit auf den Schienen unterwegs waren und es zum Teil noch sind:

  • Metropolitan: 1997 wurden bei der Fahrzeugtechnik Dessau zwei Garnituren für den Metropolitan Express Train (MET) bestellt. Diese Zuggattung war für den qualitativ hochwertigen Schnellverkehr zwischen deutschen Großstädten entwickelt worden. Bis Dezember 2021 waren sie im ICE-Fernverkehr der Deutschen Bahn im Einsatz.
  • LIREX: Unter Federführung des Alstom-Konzerns wurde in Dessau auch der "LIREX" gebaut – die Kurzform für "Leichter innovativer Regionalexpress". Dies war ein moderner, niederfluriger Regionalzug mit Sitzlandschaften, Kino-Bereich und moderner Antriebstechnik. 2002 war er auf der Strecke Wittenberge-Magdeburg fahrplanmäßig unterwegs. Das Konzept konnte sich in Deutschland aber nicht durchsetzen.
  • Doppelstock-Triebwagen: Mitte der Neunzigerjahre wurden in Dessau Doppelstock-Schienenbusse für den Regionalverkehr auf Nebenstrecken entwickelt. Sie kamen zum Beispiel auf der Strecke Stendal-Tangermünde zum Einsatz – dort unter dem Namen "Alma". Doch die Fahrzeuge erwiesen sich als störanfällig. Zuletzt waren die Schienenbusse auf der Dessau-Wörlitzer Eisenbahn unterwegs, sie führt am Firmengelände der Fahrzeugtechnik vorbei.
  • Straßenbahnen: In den Zwanzigerjahren kamen vom Waggonbau Dessau Triebwagen für die Leipziger Straßenbahn. Sie wurden im Volksmund auch Pullmanwagen genannt. In Dessau entstanden auch etliche Niederflur-Straßenbahnen für die Magdeburger Verkehrsbetriebe – sie fahren bis heute.
  • S-Bahnen: Die Heeresversuchsanstalt Peenemünde war zu ihrer Hochzeit mit einem elektrischen S-Bahn-Netz an die Wohngebiete der Insel Usedom angebunden. Ein gutes Dutzend Triebwagen kam aus Dessau.

In der Produktionshalle der Fahrzeugtechnik Dessau GmbH stehen zwei der sogenannten Metropolitan-Züge
Metropolitan-Züge aus Dessau waren bis Ende 2021 noch im ICE-Fernverkehr der Deutschen Bahn im Einsatz. (Archivbild) Bildrechte: picture-alliance / dpa | Wolfgang Kluge

MDR (Martin Krause, Marcel Knop-Schieback, Luca Deutschländer André Plaul)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. März 2023 | 05:00 Uhr

22 Kommentare

ElBuffo am 02.03.2023

Ich meine den Eigentümer vor der Wende.
Und dieser Eigentümer, der ständig vom Weltniveau sprach, ließ sich von der Wirtschaft sagen, dass die sich selbst den Weltmarkt verboten hat? Das muss dann eine der wenigen Ausnahmen gewesen sein.

Kritiker am 02.03.2023

ElBuffo: Inahlt des Kommentares ??????
+...Unter anderen weil er viel zu viele Unternehmen hatte, die nicht nur keinen Gewinn erwirtschafteten, sondern deren Produkte subventioniert werden mussten...+
Meinen Sie mit viel zu vielen Unternehmen ohne Gewinn-Erwirtschaftung nun den Weg des Waggonbau Dessau nach oder vor der Wende? Vor der Wende sei erlaubt zu schreiben das gerade damals die Wirtschaft im Bezug auf Welthandel und dessen Möglichkeit für die damalige DDR sich gegen diese Chance ausgesprochen und den Zugang zum Welthandelsmarkt verboten hat und die damaligen Politiker haben klein-bei gegeben. Einzig und allein war Russland der Abnehmer der Kühlzüge. Keiner weiß wohin diese dann vom Russen (parton =der Sowjetunion=) weiter verkauft wurden.

Kritiker am 02.03.2023

ElBuffo: Bitte unterscheiden Sie erst einmal hier =KUNDE= & =UNTERNEHMENSLEITUNG= Wer stellte denn die Technik her, und wer hat sie an einen =Kunden= später verkauft. Wer als Kunde ist angewiesen auf die Durchführung von Reparaturen? Von wem wurden die Reparaturen ausgeführt. Nur wenn dieses ausführende Unternehmen bei Reparaturkosten nur den eigenen Gewinn sieht, und demnach die Kosten entsprechend hoch ansetzt das diese Gewinn auch "kommt", der geht irgendwann unter. Der ehemaligen Unternehmensleitung stört dies wohl wenig, nur die Arbeitnehmer sind die bedauernswerten Verlierer dieser Unternehmensgrundlage, in dem diese einfachen Bürger/ehemaligen Arbeitnehmer wo ankommen? Diese müssen zu oft dann mit Sozialleistungen > Arbeitslosengeld > Arbeitslosenhilfe > Bürgergeld < mit ihren Familien über "die Runden" kommen. Interessiert das dann noch einen ehemaligen Arbeitgeber? NEIN!

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