Direktor Thalia Theater Halle (Saale), Matthias Brenner (Schauspieler und Regisseur)
Matthias Brenner verabschiedet sich von seinem Job als Intendant am neuen Theater Halle – nach zwölf Jahren. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO/Steffen Schellhorn

"Neues Theater" Halle Abschied von Intendant Matthias Brenner: Für die Bühne geboren

09. Juli 2023, 17:15 Uhr

Matthias Brenner beendet nach zwölf Jahren seine Zeit als Intendant am neuen Theater Halle. Seine Intendanz war geprägt von Kooperationen, unter anderem mit Opernhaus, Ballett und Orchester. Gemeinsam mit unserem MDR-Reporter blickt er auf seine Zeit zurück.

Matthias Brenner ist kein Leichtgewicht, nicht körperlich und schon gar nicht geistig, glücklicherweise, denn sonst hätten ihn die Stürme der letzten zwölf Jahre vielleicht umgehauen, weggeweht, verzweifeln lassen. Zum Beispiel die Proteste gegen die Sparbeschlüsse der Landesregierung, gleich am Beginn seiner Ära. Das Thalia-Theater wurde gerade dicht gemacht, aus Kostengründen.

Weitere radikale Rotstift-Aktionen bedrohen die hallesche Theaterszene einschließlich ihrer Orchestertradition. Da kann sich Kunst nicht raushalten, ist Brenner überzeugt. Und geht auf die Straße, gemeinsam mit seinem Ensemble, mit den anderen Sparten an den Städtischen Bühnen, findet viele Verbündete aus der Kulturszene und vor allem aus der halleschen Zivilgesellschaft. Brenners Mannschaft besetzt das neue Theater, fordert Würde ein und erntet tatsächlich größeren Respekt seitens der Politik. Kompromisse sind dann doch möglich, der Kulturdampfer bleibt – nicht nur in Halle – weiter auf Kurs. 

"Höhepunkte" in Brenners Intendanz-Zeit

Lange braucht Brenner nicht nachzudenken, wenn es um weitere "Höhepunkte" seiner Intendanz geht. Da überschwemmt das Saalewasser die Kulturpläne in Halle, die Händel-Festspiele werden abgesagt, die Theater bleiben geschlossen. "Ein fataler Fehler", kommentiert er schon damals diese Entscheidung aus dem Rathaus.

Nach der Flut kommen Flüchtende ins Land, die Gesellschaft scheint gespalten. Die Theaterleute organisieren einen Treffpunkt, um ins Gespräch zu kommen. Öffnen ihre Spielstätten, setzen sich in ihren künstlerischen Angeboten mit den Veränderungen in der Welt auseinander. Dazu gehören auch die lauter werdenden Stimmen aus dem rechten Rand, das Erstarken der AfD – und schließlich die Corona-Zeit mit dem verordneten Blackout für die Kultur.

Brenners Einstiegsinszenierung in Halle

Und da hat der scheidende Intendant noch gar nicht über die eigentliche Arbeit gesprochen, die sich nicht nur im Bewahren klassischen Erbes erschöpfen darf, sondern gerade in den Stürmen der Zeit immer wieder Diskussionen anregen, Dialog möglich machen soll. Brenners Einstiegsinszenierung passt da wunderbar ins Bild. Mit "Zscherben – eine Stadt nimmt ab" sendet er 2011 schon deutliche Zeichen, wie er sich Theaterarbeit vorstellt. Da wird das gesamte Haus mobilisiert, alle Gewerke eingespannt, jedes Ensemblemitglied besetzt, zur großen Freude der Zuschauer.

Diese Lust am Aktivieren von Möglichkeiten, von Kooperationen, von Grenzüberschreitungen überstrahlt das Dutzend Intendantenjahre. "Die Zusammenarbeit mit dem Opernhaus, dem Ballett, dem Orchester hat vieles möglich gemacht, was vorher als unmöglich schien!" Entstanden sind tolle Inszenierungen aus der Musicalwelt wie "Cabarett", mit einem singenden Matthias Brenner als Senior Schulz, oder auch das Bühnen-Spektakel "Spamalot" nach Monty-Python-Manier.

Die Zusammenarbeit mit dem Opernhaus, dem Ballett, dem Orchester hat vieles möglich gemacht, was vorher als unmöglich schien!

Matthias Brenner, Intendant neues Theater Halle

Seine persönliche Herausforderung

Und dann spricht Brenner von seiner persönlichen Herausforderung, die ihm in der Rolle des Peachum in der "Dreigroschenoper" von Brecht/Weill auferlegt wird. "Da musste ich nicht bloß mal etwas singen, da kam es auf jeden Ton, auf jede Note an. Weill macht es den Darstellern nicht leicht, aber wohl nur durch solche Genauigkeit funktioniert das Werk. Da wurde eisenhart geprobt, aber am Ende stand eine Inszenierung auf der Bühne, die uns alle glücklich macht, das Ensemble, die Geschäftsführung und das Publikum." Und das 30 mal!

Zwar wollte er nicht wie der legendäre Theaterdirektor Striese aus "Der Raub der Sabinerinnen" in jeder Inszenierung auch noch als Schauspieler präsent sein, aber manchmal kann er nicht Nein sagen. Zum Beispiel, als ihm seine Haus-Regisseurin Henriette Hörnigk die Rolle des weltfremden Theaterdirektors Hassenreuter in "Die Ratten" von Gerhard Hauptmann anbietet. In einem Dachboden studiert da jener Theatermann mit seinen Schützlingen einen Schillerklassiker, während in den Etagen darunter Bewohner unter unsäglichen Umständen ihr Dasein fristen und an den Verhältnissen zu Grunde gehen.

Und wenn wir schon mal bei den Brenner-Rollen sind, als Schauspieler bleibt er vor allem in seinem eindrucksvollen Solo "Der Trinker" nach Hans Fallada in Erinnerung. "Diesen Text habe ich schon aus meiner Erfurter Zeit mitgebracht und immer wieder auch in Halle gespielt. Ich fand es sehr schön, dass die Leute, die mich auch auf der Straße getroffen haben, mich sehr mit diesem Stück in Verbindung gebracht haben. Das ist schon sehr schön."

Neues Theater Halle, Blick auf Theaterkasse, Haupteingang und NT-Café,  blaue Stunde, Herbst, Außenaufnahme, Querformat
Neues Theater Halle – so sieht es aus. Bildrechte: MDR/Joachim Blobel

Seine ersten Begegnungen mit dem neuen Theater

An seine ersten Begegnungen mit dem Neuen Theater erinnert sich Brenner noch sehr gut. Er kam – damals noch in Erfurt engagiert – nach Halle, um bei einer Kantineneinweihung dabei zu sein. Dabei traf er auf den Erfinder der halleschen Kulturinsel, auf Peter Sodann. Der habe ihn sofort angepflaumt, wieso denn da in Erfurt ein Mann auf die Bühne darf mit diesem Sauerkraut im Gesicht – eine Anspielung auf den Vollbart, dem Brenner seit Jahrzehnten treu ist. Brenner konterte, dass er "ohne den Bart" wohl gar nicht wäre genommen worden. Als dann ein neuer Schauspielchef in Halle gesucht wurde, warf er seinen Hut in den Ring und landete auf dem Intendantensessel.

Mit einigen Darstellern verbindet Brenner schon eine gemeinsame Zeit an der Schauspielschule, doch diese Generation – wie Peter W. Bachmann – nimmt gerade ebenfalls Abschied von der festangestellten Bühnenarbeit. Nun drängen mehr und mehr junge Leute auf die Bühne. Auch deshalb hat sich Matthias Brenner für einen selbstgewählten Schlussvorhang entschlossen und räumt nun seinen Chefsessel. Der Bürokratie weine er keine Träne nach, aber: "Den meisten Sinn hab ich empfunden, wenn früh um sieben das Telefon klingelte und die Chefin des Besetzungsbüros teilte mit, der oder die ist krank, die Vorstellung muss ausfallen." Denn dann wurde umgeplant, angerufen, organisiert, denn abends um 20 Uhr musste der Vorhang aufgehen.

Jetzt aber macht Brenner erst einmal ausgiebig Urlaub, ohne Stress, mit leerem Terminkalender und freiem Kopf. Er will mit seiner Frau, der Schauspielerin und Schriftstellerin Nele Heyse, Italien bereisen. Halle aber will er treu bleiben. Als Bürger der Stadt und natürlich auch als gelegentlicher Gast im Neuen Theater, dessen Geschicke er zwölf Jahre lang erfolgreich geleitet hat. 

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MDR (Theo M. Lies, Johanna Daher)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 08. Juli 2023 | 07:30 Uhr

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